Kritik an einem erschöpften Staat

Die Frage, ob sich das große kubanische Gesellschaftsexperiment gelohnt hat, beantwortet der Journalist Hannes Bahrmann in seinem Buch eher mit Nein. Seine Perspektive als langjähriger DDR-Bürger spielt dabei eine wichtige Rolle.

Vorn auf dem Cover der Mythos in Form eines Che-Guevara-Konterfeis: ein Graffiti an einer Mauer in Havanna, aufgenommen 2014. Davor Schutt, in dem ein Straßenarbeiter herumstochert – ein Symbol für den Zerfall des Mythos „kubanische Revolution“. Man könnte allerdings auch den Umkehrschluss ziehen, dass – wenn Che immer noch an einer Mauer prangt – dieser Revolution irgendetwas Bleibendes anhaften muss.

Der Autor selbst mag die Frage „Hat sich das große Gesellschaftsexperiment gelohnt?“ nicht direkt beantworten; die Antwort müsse jeder selbst finden, meint er. Doch im nächsten Satz schon nimmt er sie praktisch vorweg: „Sechs Jahrzehnte nach dem Sieg der Revolution ist das Land erschöpft. Die 11,5 Millionen Kubaner leben im permanenten Ausnahmezustand. Das einst reiche Kuba der 50er Jahre ist verarmt, die Infrastruktur heute beklagenswert.“ Die Utopie einer neuen Gesellschaft habe nur wenige Jahre gehalten, die Zeit des Überlebens dauere hingegen schon Jahrzehnte. Und dann ist da auch noch der 19-jährige Toni, ein Enkel Fidel Castros, der gerade als Model debütiert.

Hannes Bahrmann verdeutlicht fairerweise gleich zu Anfang seine subjektive Perspektive, die davon geprägt ist, dass er 37 Jahre in der DDR gelebt hat und im kubanischen System Details und Strukturen von dort wiedererkennt. Durch diese Brille blickt er auf den Karibikstaat und trägt Fakten zusammen, die die Zeit von der Revolution bis hin zum „heutigen Umgestaltungsprozess mit ungewissem Ausgang“ beleuchten sollen.

Man erfährt auch Details, die den Blick auf die Revolutionsführer erweitern. Che Guevara zum Beispiel – wer hat ihn schon einmal in weißem Hemd, Krawatte und glattrasiert gesehen? Just in diesem Aufzug reiste er 1966 unerkannt nach Bolivien, wie ein Foto in dem Buch dokumentiert. Oder die brav wirkenden Milchbubis in Schuluniform auf einem anderen Foto – wer vermutete in ihnen die Gebrüder Castro, links Fidel, neben ihm der kleine Raúl? An diesen jüngeren Bruder hat Fidel 2006 die Amtsgeschäfte übergeben.  

Oft wird die Absicht deutlich, die Revolutionshelden zu demontieren. Der „Maximo Líder“, bekannt als asketisch wirkender Staatsführer in schlichter olivgrüner Uniform, wird als Frauenheld mit zahlreichen Seitensprüngen porträtiert; schon in jungen Jahren habe er eine Affäre mit der begehrtesten Frau Havannas gehabt, einem Mitglied der High Society. Lange Passagen des Buches befassen sich mit Che Guevara: Der habe, von keinem ökonomischen Sachverstand getrübt, ausgerechnet die Führung der Zentralbank und später des Industrieministeriums übernommen. Er habe den Lohn von der Arbeitsleistung abgekoppelt mit dem Resultat, dass letztere drastisch zurückging. Andererseits habe er Arbeitslager eingeführt, in denen harte körperliche Arbeit zur Umerziehung genutzt wurde. Das mögen historische Fakten sein. Doch durch die Wertung und Gewichtung erzeugt das Buch ein fast ausschließlich negatives Bild der kubanischen Revolution.

Auf den letzten Seiten ist Raúl Castro zusammen mit Barack Obama abgebildet. Bahrmann kommentiert, auf der Pressekonferenz „dominierte der US-Präsident den alten kubanischen Partei- und Staatschef auf eine jungenhaft-sympathische Art und ließ ihn noch älter aussehen, als er ohnehin schon ist“. Inzwischen allerdings ist auch Obamas Präsidentschaft fast Geschichte, die Amtszeit Raúl Castros hingegen dauert bis 2018 an. Der Mythos könnte sich doch als zählebiger erweisen, als man es nach der Lektüre von Bahrmanns Buch erwarten würde.
 

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