Ein Sprung aus der Armut?

Die Hoffnung auf ein besseres Leben in Europa treibt viele Schwarzafrikaner an, die vor der spanischen Enklave Melilla den Grenzzaun überwinden wollen. In dem Dokumentarfilm “Les Sauteurs“ hat ein junger Malier sein Schicksal selbst in Szene gesetzt.
 
Der Berg Gurugu gewährt einen imposanten Blick auf die spanische Enklave Melilla an der marokkanischen Mittelmeerküste. Eine dreifach gestaffelte Grenzzaunanlage schottet hier demonstrativ die Europäische Union von Afrika ab. In den Wäldern der Berghänge hausen hunderte Männer, meist aus der Subsahara-Region, in primitiven Zelten und Verschlägen. Mal einzeln, mal in großen Gruppen versuchen sie, die meterhohe Stacheldrahtbarriere zu überwinden. Auch der malische Migrant Abou Bakar Sidibé hat es schon mehrmals versucht – vergeblich.

Nach 14 Monaten nimmt er ein Angebot der Filmemacher Moritz Siebert aus Deutschland und Estephan Wagner aus Chile an, seinen Alltag mit einer Digitalkamera selbst festzuhalten. Dazu gehören nicht nur das zermürbende Warten auf hilfreiche Nebelschwaden und eine günstige Gelegenheit für den nächsten Sprung, sondern auch der Zeitvertreib mit Schicksalsgenossen und die Flucht vor der Polizei, die das Lager wiederholt stürmt und verwüstet.

Zugleich ermöglicht Sidibé einen Einblick aus erster Hand in die Migranten-Community, die sich gut selbst organisiert – und ständig verändert, weil manchen der illegale Grenzübertritt gelingt, andere an Krankheiten oder beim Grenzsprung sterben und viele weitere aufgeben und frustriert heimkehren. Gelegentlich gewinnen diese Beobachtungen aus dem Camp mit Bewohnern aus ganz Afrika sogar humoristische Züge, etwa wenn eine Migrantengruppe aus der Elfenbeinküste gegen ein Team aus Mali Fußball spielt und Sidibé als Sportreporter fungiert.

Die unruhige Handkamera unterstreicht die Authentizität der Darstellung und verstärkt die Dramatik der Außenseiterexistenz vor den Toren des vermeintlichen Eldorados Europa. Sie steht in Gegensatz zu den anonymen Infrarotbildern der Kameras, mit denen spanische Polizisten die Aktivitäten der Flüchtlinge in Zaunnähe ständig überwachen.

Im Vergleich zu vielen anderen Dokumentarfilmen über Vertreibung und Migration bleiben die Geflohenen hier keine bloßen Objekte, vielmehr avanciert der Mann aus Mali zum aktiven Subjekt, das in begrenztem Umfang die Kontrolle über die Bilder erlangt und selbst kreativ wird. Dieses Gestaltungsmittel der filmischen Partizipation hat vor kurzem auch der kurdische Produzent Bahman Ghobadi überzeugend in der Dokumentation „Life on the Border“ eingesetzt, als er acht Kinder aus Flüchtlingslagern in Syrien und im Irak einlud, mit Videokameras ihre Erfahrungen selbst zu erzählen.

In mehreren eindrucksvollen Szenen schildert „Les Sauteurs“, wie die Träume der Migranten vom „Paradies Europa“ mit der harten Realität der „Festung Europa“ kollidieren. Immer wieder wird auch sichtbar, wie die Erfahrungen von  Melilla die Identität der Männer erschüttern, wie sie unter der Entwürdigung leiden, wenn sie in Müllcontainern einer angrenzenden Ortschaft nach Essbarem suchen.

Hilfe von marokkanischer Seite bekommen die Migranten offenbar nicht. Dafür bilden sie eine Art Solidargemeinschaft mit streunenden Hunden, die sich den Afrikanern angeschlossen haben und sie mit Gebell vor anrückenden Polizisten warnen. Weil er lange genug durchhält und sich etwas einfallen lässt, wird  Sidibé am Ende belohnt: Mit Hilfe langer Drahtstifte, die er in seine Sportschuhe bohrt, gelingt es ihm, den Grenzzaun endlich zu überwinden. 

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