Eindringliche Erzählungen, schwacher Text

Mit seiner Monographie möchte der Journalist Wolfgang Bauer den Opfern der Boko Haram eine Stimme geben und das Versagen des nigerianischen Staates erklären. Gelungen ist ihm das nicht.

Seit die islamistische Sekte Boko Haram den Norden Nigerias mit Terroranschlägen und Entführungen überzieht, taucht das westafrikanische Land regelmäßig in der aktuellen Berichterstattung auf. Das gilt vor allem seit der Entführung der Schülerinnen aus Chibok im Jahr 2014. In diesem Zusammenhang steht auch die Monographie des Journalisten Wolfgang Bauer. Ihm ist es gelungen, im Nordosten des Landes etliche Interviews mit Frauen und Mädchen zu führen, die aus den Fängen der Boko Haram frei gekommen sind und deren leidvolle Berichte Einblick in die Terrororganisation aus der Sicht der Opfer geben.

Der Autor hat zum einen den Anspruch, den Opfern ihre Stimme zurückzugeben, zum anderen will er den nigerianischen Staat und dessen Versagen in Sachen Boko Haram erklären. Beides macht neugierig. Doch tritt schon nach wenigen Seiten Ernüchterung ein, die am Ende des Buches in Enttäuschung mündet. Zwar erzählen die Geschichten der missbrauchten und misshandelten Frauen und Mädchen auf bemerkenswerte Weise von erlittenem Leid, allgegenwärtiger Gewalt und auch Hoffnung. Der Autor selbst aber legt erhebliche Schwächen und Mängel im Umgang mit Zahlen und Fakten an den Tag. Eine teils lockere, in manchen Passagen auch flapsige Sprache, gespickt mit etlichen missglückten Sprachbildern, sowie banal formulierte rhetorische Fragen und vage Andeutungen verstärken diesen Befund.

Offenbar kennt Bauer einschlägige und leicht zugängliche Darstellungen und Analysen zum nordnigerianischen Islam, seinen islamistischen und salafistischen Ablegern und zu Boko Haram nicht – zum Beispiel von Klaus Hock, Roman Loimeier oder  Pérouse de Montclos. Sonst käme er nicht zu so abenteuerlichen Aussagen wie der, dass über Boko Haram weniger bekannt sei als über Nordkorea. Falsch ist auch, dass er Izala als die erste islamische Reformbewegung bezeichnet. Derartige Fehler und Fehldeutungen ziehen sich durch den gesamten Text. So ist die These absurd, dass der Fall der Großstadt Mubi im Jahr  2014 das Ende Nigerias einzuläuten schien. Und die Behauptung, dass Polizisten und Richter die korruptesten Akteure seien, deutet auf lediglich rudimentäre Kenntnisse des politischen Systems: In Fachkreisen ist unumstritten, dass in Nigeria die politische Klasse und die Generalität in puncto Korruption den Spitzenplatz einnehmen.

Dass der Buchtitel „Die geraubten Mädchen“ etwas anderes suggeriert, als der Text einhält, fällt da kaum noch ins Gewicht: Vier der acht Berichterstatterinnen sind keine Mädchen, sondern Frauen zwischen 25 und 41 Jahre. Die Lektüre hinterlässt einen faden Nachgeschmack. Zu groß ist der Gegensatz zwischen den eindringlichen Erzählungen und den ausdrucksstarken Schwarzweißfotos der Frauen und Mädchen einerseits und dem schwachen Text des Autors andererseits, der ein Drittel des Buches ausmacht.
 

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