Im Sechstagekrieg setzten sich die Israelis gegen eine übermächtige Allianz arabischer Nachbarstaaten durch. Der Dokumentarfilm „Censored Voices“ veröffentlicht nun Gespräche, die die Schriftsteller Amos Oz und Avraham Shapira mit heimgekehrten Soldaten geführt haben. Ein Dokument der Nachdenklichkeit.
Mit dem Sieg über die Streitkräfte Ägyptens, Jordaniens und Syriens nahm Israel 1967 Jerusalem, das Westjordanland, den Gazastreifen, den Sinai und die Golanhöhen ein und vergrößerte sein Territorium auf das Dreifache. Plötzlich waren Juden nicht mehr allein Opfer wie im Holocaust, sondern auch Eroberer, die arabisches Land besetzten. Viele Soldaten genossen das rauschhafte Gefühl des Sieges, doch die Ernüchterung folgte rasch. Anders als die Heldengesänge in den Medien erwarten ließen, fiel einigen aufmerksamen Kibbuz-Bewohnern auf, wie traurig die heimgekehrten Krieger waren. Sie beauftragten ein Team von Kibbuzim, die Gründe dafür herauszufinden.
Da Oz und Shapira ebenfalls am Sechstagekrieg teilgenommen hatten, fiel es ihnen nicht schwer, die Kameraden in kleiner Runde zum Reden zu bringen. Sie zeichneten 140 Gespräche auf Tonband auf. Einen kleinen Teil davon konnte Shapira in dem Buch „The Seventh Day“ veröffentlichten. Doch den Löwenanteil kassierte die Zensur. Erst jetzt – mehr als 40 Jahre nach Kriegsende – gelang es der jungen israelischen Regisseurin Mor Loushny, Zugang zu den Tonbändern zu erhalten. Aus ihrer Kindheit kennt auch sie noch die Verherrlichung der militärischen Erfolge. Als sie jetzt diesen Stimmen lauscht, treibt sie vor allem eine Frage um: „Wie wären wir als Gesellschaft geworden, wenn wir diesen Stimmen Raum gegeben hätten?“
In ihrem packenden Film macht die Absolventin der renommierten Sam Spiegel-Filmschule in Jerusalem eine Auswahl der Zeitzeugenberichte in einem strengen Arrangement öffentlich. Während wir die Mitschnitte hören, sehen wir eine Collage aus historischen Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Zugleich sitzen die mittlerweile über 70-jährigen Veteranen in einem Raum und hören gebannt ihren jungen Stimmen zu.
Was die Heimkehrer 1967 erzählen, hat wenig mit Stolz zu tun. Gut, man hat einen „gerechten“ Krieg gewonnen und das Überleben der bedrohten Nation gesichert. Doch zu welchen Kosten? Viele Soldaten äußern sich wesentlich freimütiger und kritischer, als die Interviewer erwartet haben. Ein Heimkehrer bekennt freimütig seine große Angst vor dem Sterben, andere leiden unter wochenlanger Schlaflosigkeit. Etliche Veteranen haben den Tod von Freunden miterlebt, sind traumatisiert von Gräueltaten.
Vor allem aber geben Zeugen mehrmals Kriegsverbrechen zu. Einer berichtet von einem Befehl, versprengte feindliche Soldaten zu fangen und zu töten: „Kein Erbarmen!“ Ein anderer berichtet, wie seine Einheit unbewaffnete Zivilisten erschossen hat. Noch frappierender sind die manifestierten Schuldgefühle wegen der Vertreibung der Palästinenser: Ein Soldat fühlt sich bei der Zwangsräumung eines arabischen Dorfes an die Vertreibung der europäischen Juden durch die Nazis erinnert und sagt: „Dann verstehst du, was Holocaust bedeutet.“
Und was sagen die alten Herren heute zu ihren Erlebnisberichten von damals? Regisseur Loushy gibt in seinem Film leider keine Antworten auf diese Frage – eine vergeudete Chance. Erst am Ende erhalten sechs Ex-Militärs per Voice-Over Gelegenheit zu resümierenden Statements, die sich zwischen Weisheit und Resignation bewegen. Unter Hinweis auf einen Vers der Nationalhymne sagt einer von ihnen: „Solange wir ein anderes Volk beherrschen, sind wir kein freies Volk.“ Gerade weil solche Mahnungen und Denkanstöße nicht von außen, sondern aus den Reihen des eigenen Militärs kommen, gewinnen sie angesichts des festgefahrenen Friedensprozesses an Brisanz und Gewicht.
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