„Nichts für uns ohne uns!“

Der hehre Begriff der Partnerschaft ist oft fehl am Platz, wenn länderübergreifende Advocacy-Netzwerke zusammenwirken, um Politik in fernen Ländern zu beeinflussen, schreibt das Teaam um Alex de Waal. Sein Sammelband zeigt, wie leicht lokale Akteure bei internationalen Kampagnen mit ihren Forderungen ins Hintertreffen geraten können – und zieht daraus wichtige Lehren.

Die Mehrheit der Autoren bringt persönliche Erfahrungen mit, wenn es darum geht, per Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit darauf hinzuwirken, Menschenrechtsverletzungen oder gewalttätige Konflikte zu beenden. Sie kennen die Advocacy-Netzwerke, über die sie schreiben, aus eigener Anschauung. Das gibt dem Band seine besondere Stärke: Es geht weniger um abstrakte Forschung (auch wenn einige Beiträge von einer unnötig wissenschaftlichen Sprache geprägt sind), sondern mehr um die Reflexion eigener Praxis und eigener Erfahrungen.

In insgesamt neun Fallstudien geht es um politische Lobby- und Advocacyarbeit in Myanmar, Guatemala und Gaza sowie um Konflikte in Afrika (Kongo, Uganda, Südsudan), außerdem um Lobbyarbeit zu den Rechten von Menschen mit Behinderungen, zur internationalen Waffenkontrolle und zu „Landgrabbing“. Immer wieder unterscheidet sich die Agenda der in den USA und Europa engagierten Aktivistinnen und Aktivisten von der derjenigen vor Ort.

In einem historischen Beitrag skizziert de Waal darüber hinaus, wie sich seit Mitte der 1990er Jahre in Nordamerika und auch in europäischen Ländern neue, auf Kooperation orientierte Beziehungen zwischen zivilgesellschaftlichen und staatlichen Akteuren gebildet haben. Ehemals zivilgesellschaftliche Aktivistinnen und Aktivisten wechselten verstärkt in staatliche Funktionen – bis hinein in den Nationalen Sicherheitsrat der US-Regierung. Dadurch, so seine These, hat sich der Kern transnationaler Zusammenarbeit vom „Prinzip der Solidarität“ hin zum politischen Lobbyismus verschoben,  der konkrete politische Lösungen „verkauft“. Die neuen, dank staatlicher Mittel oft gut ausgestatteten „advocacy superpowers“ bestimmen selbst die Advocacy-Agenda, und nicht mehr die Aktivisten vor Ort in den Gegenden der Welt, um deren Probleme es eigentlich gehen sollte. Entscheidendes Merkmal für die Festlegung der Agenda ist, ob sich das Anliegen medial in Nordamerika und Europa vermitteln und die angestrebte Lösung politisch „verkaufen“ lässt.

Alle Fallbeispiele enthalten eine Fülle von Material für wissenschaftliche und persönliche Lehren.  So beschreibt Rody Brett anhand der Entwicklung in Guatemala, wie die örtlichen Akteure den politischen Konflikt auf der Grundlage der internationalen Konventionen über die kollektiven Rechte der indigenen Völker lösen wollten, während die sehr viel einflussreicheren „Bündnispartner“ in Nordamerika und Europa auf das klassische Konzept des „liberal peacebuilding“ setzten und die politischen Rahmenbedingungen unangetastet ließen.  Eine Schwäche der Studie ist allerdings, dass sie sich beinahe exklusiv auf das Wirken des US-amerikanischen Politikbetriebs konzentriert. Nur gelegentlich finden sich beiläufige Bezüge zur europäischen politischen Arena – ergänzt allerdings von einem umfangreichen und hilfreichen Quellenapparat mit vielen weiterführenden Hinweisen.

Die Forderung des Journalisten und überzeugten Pan-Afrikanisten Tajudeen Abdul-Raheem „Nichts für uns ohne uns!“ harrt indes weiter ihrer Anerkennung und Realisierung in der transnationalen Advocacy- und Lobbyarbeit. Dieses Buch ist ein wichtiger Beitrag, um aus den Fehlern und Fehlentwicklungen der vergangenen 15 Jahre Lehren zu ziehen.
   

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