Wie finden sich fünf Flüchtlinge aus Eritrea in einem ostfriesischen Dorf zurecht? Und wie reagieren die Einheimischen auf die „gestrandeten“ Neuankömmlinge? Diese Fragen stehen im Zentrum des Dokumentarfilms „Gestrandet“ der jungen Regisseurin Lisei Caspers, die selbst aus Ostfriesland stammt.
Der Kontrast könnte kaum größer sein. Auf langwierigen strapaziösen Wegen sind fünf junge Eritreer vor Verfolgung, Folter und Zwangsarbeit geflohen und haben es durch die Sahara und Libyen nach Europa geschafft. In Deutschland angekommen, schicken die Behörden Aman, Mohammed, Ali, Hassan und Osman in das 1500 Einwohner-Dorf Strackholt bei Aurich. Dort wohnen sie in einem Backsteinhaus am Dorfrand.
Zum Glück kümmern sich zwei Deutsche um die jungen Männer, von denen nur einer englisch spricht. Der pensionierte Schuldirektor Helmut führt sie im Dorf herum, stellt sie im Fußballverein vor und gibt ihnen einmal pro Woche Deutschunterricht. Noch wichtiger ist für sie aber die Lokaljournalistin Christiane: Sie bringt selbstgebackenen Kuchen mit, übersetzt Briefe und begleitet die Asylbewerber auf Behördengänge. „Sie ist wie eine Mutter für mich“, sagt später einer von ihnen.
Die offenkundig traumatisierten Flüchtlinge nehmen die Hilfsangebote gerne an, zumal es ihnen schwer fällt, sich in der fremden Umgebung zurechtzufinden. Doch Aman und seine Kameraden werden immer frustrierter, je länger die Wartezeit bis zur Anhörung und dann bis zum Asylbescheid dauert, der über ihr Lebensglück entscheidet. Denn fast alle haben Frauen und/oder Kinder zurückgelassen. Alle fünf würden gerne arbeiten und Geld verdienen, dürfen es aber nicht. Und bei den Ein-Euro-Jobs zur Grünflächenpflege verdienen sie zu wenig, um Geld an ihre Familien schicken zu können.
Die 1983 in Ostercappeln geborene Regisseurin begleitet das Quintett und die aufopferungsvollen ehrenamtlichen Helfer in ihrem dritten langen Dokumentarfilm über 19 Monate hinweg. In ruhigen Bildern hält ihr Film, der in sieben Kapitel gegliedert ist, die Stationen der nervenaufreibenden Warterei fest, registriert Fortschritte und Rückschläge des Integrationsprozesses, zeigt die Afrikaner beim Langlauf und Fußballgucken mit den Einheimischen und holt auch Menschen vor die Kamera, die den Neuankömmlingen mit Ängsten und Ressentiments begegnen.
Einige kurze eingeschobene Handyvideos veranschaulichen die dramatische Reise von Eritrea über den Sudan bis nach Libyen. So wurde einer der Männer im Gefängnis in Libyen festgehalten, ehe er fliehen konnte. „Ich habe sieben Monate keine Sonne gesehen“, berichtet er. Der taubstumme Osman überlebte wahrscheinlich nur, weil Aman sich seiner annahm, nachdem Osman bei einem Angriff libyscher Soldaten auf den Flüchtlingstreck von seinem Bruder getrennt wurde. In Gebärdensprache berichtet er, dass seine beiden älteren Brüder schon zuvor in Eritrea getötet worden seien.
Die Regisseurin zeigt, wie auch die Helfer unter dem Stillstand aufgrund der überforderten Bürokratie leiden. So klagt Helmut über die mangelnde Kontaktfreudigkeit und wachsende Lethargie der Asylbewerber: „Sie müssen in der westlichen Welt ihr Leben selbst in die Hand nehmen.“ Emotional noch stärker involviert ist Christiane, die etwa bei Mohammed erste Anzeichen von Depression beobachtet. In ihrer Not schreibt sie einen Brandbrief an den Bundespräsidenten und bittet um Hilfe: „Ich muss zusehen, wie ihr Lebensmut schwindet.“
Erst nach anderthalb Jahren kommen die erlösende Briefe: Die fünf erhalten Asyl. Aman trifft seine Frau wieder, der die Flucht übers Mittelmeer gelungen ist. Die Eritreer sind erleichtert, dürfen sie doch nun endlich Arbeit suchen. Auf Christiane und Helmut aber kommen wohl noch größere Aufgaben zu: In Kürze sollen 80 Flüchtlinge eintreffen.
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