Wer wirklich verstehen will, was in Syrien geschieht, sollte dieses Buch lesen. Samar Yazbek berichtet darin eindringlich vom Krieg – vor allem darüber, was er im Inneren der Gesellschaft anrichtet.
Konferenzen und politische Verhandlungen, Luftanschläge und belagerte Städte: Damit sind Berichte über Syrien derzeit untrennbar verknüpft. In Samar Yazbeks Buch geht es um Menschen in dem Kriegsland. Die Autorin befasst sich mit den Schicksalen derer, die in Syrien leben, und mit der Allgegenwart des Todes in einem Land, das in Gewalt versinkt.
Die Lektüre wirkt ähnlich wie Kriegsfotografie: Sie führt so dicht an den Konflikt heran, dass es sich manchmal fast voyeuristisch anfühlt; als sei man versehentlich zu nah an etwas derart Privates wie das Sterben anderer Menschen herangerückt. Die Autorin beschreibt Leichen auf der Ladefläche eines Lasters, unter ihnen ein Junge, dessen „honigfarbenes Haar blutgetränkt“ ist, ebenso wie staubige Kellerräume, die unter der Wucht von Fassbomben und Granaten erzittern. Doch sie sieht sich nicht als Krisenreporterin, sondern als Schicksalsverbündete.
Samar Yazbeck stammt selbst aus Syrien. Als dort 2011 die Revolution begann, protokollierte die Journalistin die Proteste. Sie befragte Demonstranten, aus der Haft entlassene Rebellen, Polizisten und Soldaten. Wenig später wurde sie selbst verfolgt und floh ins Ausland. Seitdem ist sie mehrmals unter falschem Namen in ihre Heimat zurückgekehrt. Wie sie selbst erklärt, will sie über die Toten der syrischen Revolution berichten und zeigen, dass die Welt ihr Land im Stich gelassen hat.
Dabei geht es in dem Buch vor allem um die Lebenden, die sie dort getroffen hat. Darunter sind Frauen, deren Männer im Kampf gegen das Regime Baschar al-Assads gestorben sind, aber auch Dschihadisten sowie Freunde, mit denen sie früher gemeinsam gegen das politische System protestierte. Für ihre Aufzeichnungen hat sie gefährliche Wege auf sich genommen, etwa in die Stadt Maarat al-Numan, in der Rebellen und Regierungstruppen heftige Gefechte austrugen.
Das Buch liest sich wie ein sprachlich ausgefeilter Tagebucheintrag über eine grauenhafte Reise. Denn die Autorin schreibt auch über das eigene Entsetzen hinsichtlich ihrer zerfallenden Heimat. Das ist genauso ansteckend wie die Wut, die sie über Plünderungen, Missbrauch und Morden seitens des Militärs empfindet. Hinzu kommt, dass die Autorin selbst Alawitin ist, also derselben Religionsgruppe angehört wie Assad. Für die Rebellengruppen ist das ein Grund, sie zu hassen. Yazbek verzweifelt mehr als einmal daran, dass sie ihre Identität verheimlichen muss. „Ich bin keine Alawitin, und Du bist kein Sunnit. Ich bin Syrerin und Du bist Syrer“, versucht sie einmal, einem Kämpfer zu erklären – und stößt damit nur auf Unverständnis und noch mehr Hass.
Auch dafür lohnt es sich, das Buch zu lesen. Es macht auf erschreckende Weise klar, wie vertrackt die gesellschaftlichen Geflechte sind. Nichts ist mehr eindeutig, schreibt Yazbek: Bataillone kämpfen gegen Bataillone, die Revolution wurde durch das Militär vernichtet; religiöse Extremisten verbreiten bestialischen Schrecken, Kinder tragen Waffen. Und sie alle unterlägen der „absoluten Herrschaft eines tödlichen Himmels“, von dem es Bomben regnet.
Das Schicksal der Menschen sei der beste Beweis für den moralischen Verfall der Menschheit, hält sie am Ende des Buches fest. Nicht nur der IS, sondern auch Assad und das lange Stillhalten der internationalen Staatengemeinschaft trügen Schuld an der Gewalt in Syrien, hätten sie doch den Nährboden für religiösen Extremismus geschaffen. Es ist traurig, dass sie damit wahrscheinlich Recht hat.
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