Krieg als Normalzustand

Atef Abu Saif hat ein bedrückendes Tagebuch über den Gaza-Krieg im vergangenen Jahr geschrieben. Dabei nimmt er konsequent die Perspektive der zivilen Opfer ein und verzichtet auf Schuldzuweisungen. Zumindest fast.

„Papa, wann kommt der nächste Krieg?“, wird Atef Abu Saif von seinem Sohn Mustafa gefragt. Der Knabe ist elf Jahre alt, als der 51 Tage dauernde Angriff Israels auf Gaza im Sommer 2014 endet. Es ist der dritte Krieg, den Mustafa erlebt hat. „Nun bereitet er sich auf den vierten vor“, schreibt Abu Saif am Ende seines Buches. Auf den 240 Seiten davor hat uns der palästinensische Schriftsteller eindrucksvoll eine Ahnung davon vermittelt, was es heißt, mit Frau und fünf Kindern in einer dicht besiedelten Stadt zu leben, die sieben Wochen lang von einer übermächtigen Militärmaschine aus der Luft, von Land und von See aus mit Raketen, Bomben und Granaten beschossen wird.

Solche Geschichten gab es bestimmt auch aus der tschetschenischen Hauptstadt Grosny oder gäbe es aktuell auch aus Aleppo zu erzählen. Das Besondere an Gaza ist, dass die Leute vor dem Beschuss nicht fliehen können: Sie sitzen buchstäblich in der Falle. Atef Abu Saif schildert die 51 Kriegstage aus Sicht der palästinensischen Zivilbevölkerung als permanenten Ausnahmezustand. Fast täglich sterben bekannte oder verwandte Männer, Frauen und Kinder, jeder fragt sich, ob sein Haus als nächstes getroffen und dem Erdboden gleichgemacht wird. Mit der Zeit wird der Krieg allerdings mehr und mehr zum Normalzustand: Man arrangiert sich, beschäftigt irgendwie die Kinder, solange die nicht auf die Straße dürfen, verlegt das Schlafzimmer ins Treppenhaus, weil das der sicherste Ort im Haus ist, und trifft sich abends mit Freunden, um darüber zu diskutieren, wie lange die neue Feuerpause wohl dauern wird.

Dann aber folgt der Horror: Während eines israelischen Luftangriffs hetzen wir mit Abu Saif durch die Straßen des Flüchtlingslagers Jabalia in Gaza und spüren geradezu, wie beim Einschlag der Rakete und der folgenden Explosion der Boden bebt. In nüchterner Sprache schildert Abu Saif, wie er nach dem Angriff mit anderen Helfern Teile der zerfetzten Leichen einsammelt, sie auf Laken bettet und in Autos packt, die sie ins Krankenhaus bringen.

Atef Abu Saids Buch handelt vom Krieg, aber nicht vom Nahostkonflikt zwischen Israel und den Palästinensern. Wer welche Schuld an der Eskalation im Sommer 2014 trägt, spielt bei ihm keine Rolle. Das Buch handelt nicht von politischen Hintergründen und militärischen Strategien, es geht nicht um Kämpfer, sondern allein um die Opfer in Gaza.

Nur an einigen wenigen Stellen macht sich Abu Saif Gedanken über die israelischen Soldaten in den vorrückenden Panzern oder F-16-Kampfjets. Sie erscheinen ihm als im besten Falle gedankenlose, im schlimmsten Fall sadistische Roboter, die ohne mit der Wimper zu zucken töten, was sich ihnen in den Weg stellt. Das ist aus seiner Sicht gut nachvollziehbar. Beim Leser aber verursacht das einen schalen Nachgeschmack, denn es fehlt etwas: Die in Gaza herrschende Hamas, die diesen Krieg wenn nicht angezettelt, so doch wie ein Lebenselixier gebraucht hat, kommt in dem Buch nicht vor.

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