Streitschrift gegen das Stillhalten

Kathrin Hartmann widerlegt die Illusion, „grünes Wachstum“ sei die Antwort auf alle gegenwärtigen Krisen. Ihr Buch rüttelt auf. An manchen Stellen wäre weniger aber mehr gewesen.

„Grünes Wachstum“ gilt vielen Wissenschaftlern, Unternehmern und Politikern als Patentrezept, um das Wirtschaften angesichts des Klimawandels umweltverträglicher und sozialer zu machen. Mit Hilfe neuer, nachhaltiger Technologien könnten Erderwärmung, Hunger und Armut bekämpft werden, lautet das vollmundige Versprechen. Die Münchner Journalistin und Autorin Kathrin Hartmann hält davon überhaupt nichts. Alle bisherigen Versuche in dieser Richtung – seien es Elektroautos, Biosprit, Aquakultur statt Überfischung oder der „nachhaltige“ Anbau von Ölpalmen – seien „krachend gescheitert“, schreibt sie im Vorwort und tritt dann den Beweis an.

Dabei bekommen alle ihr Fett ab: Politiker, Konzerne, Vertreter staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen, Wissenschaftler und Journalisten. Sie hat mit Anhängern des „grünen Wachstums“ wie dem Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, Ralf Fücks, ebenso gesprochen wie mit dem Vordenker der Postwachstumsideologie, Niko Paech. Sie hat den Deutschen Nachhaltigkeitstag besucht, das German Forum for Food and Agriculture in Berlin, sich mit Wirtschaftsvertretern gestritten. Entwicklungspolitische Initiativen wie die German Food Partnership kritisiert sie ebenso wie die Bill&Melinda-Gates-Stiftung und den US-Saatgut­riesen Monsanto, der mit Hilfe grüner Gentechnik die Produktivität in der Landwirtschaft steigern will.

Vor allem jedoch ist sie zu den Menschen gereist, die mit den Auswirkungen des „grünen Wachstums“ fertig werden müssen: in die „Wiege des Palmölwahnsinns“ in Nordsumatra, zur „Apokalypse“ der Garnelenzucht von Bangladesch und auf die Felder bangladeschischer Bauern, die gentechnisch veränderte Auberginen angebaut haben und nun vor dem Nichts stehen. Die Bilder gleichen sich: Die als „nachhaltig“ gepriesenen Zucht- und Anbautechniken haben die Umwelt weiter zerstört und die Armut vergrößert.

Nicht die Wirtschaft, sondern das kapitalistische System insgesamt müsse verändert werden, befindet Hartmann zum Schluss. In einem abschließenden Kapitel geht sie auch mit der eigenen Branche ins Gericht, dem sogenannten „Lösungsjournalismus“, der mit Hilfe „guter Nachrichten und Geschichten“ das Bild vermitteln will, Wissenschaft und Wirtschaft würden schon die richtigen Wege aus der Krise finden. „Propaganda“ schimpft Hartmann und ruft zu einer kritischen Haltung auf, die sich aber nicht im individuellen Verzicht etwa auf Fleisch oder das eigene Auto erschöpfen dürfe. Gesellschaftliches Veränderungspotenzial attestiert sie dem Bündnis für eine gerechte, gesunde Landwirtschaft „Wir haben es satt!“ und der Protestbewegung gegen das geplante Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA.

Wie es anders als bisher gehen kann: Hier bleiben mehr Fragen als Antworten, aber das regt gleichzeitig zum Nachdenken an. Die Fülle der Themen ist mitunter überwältigend, wobei es Hartmann immer wieder gelingt, den Zusammenhang herzustellen. Sie schreibt detailreich, polemisch und sehr persönlich. Das macht die Probleme anschaulich, nervt und ermüdet aber an manchen Stellen und hinterlässt den Wunsch nach mehr Stringenz. Ihr Buch ist dennoch lesenswert. Nach der Lektüre ist es jedenfalls schwer, sich zurückzulehnen und die Sorge um globale Gerechtigkeit und die Zukunft der Erde weiter „den“ Politikern, Unternehmern und Wissenschaftlern zu überlassen

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