Ondjakis Roman ist erfindungsreich, sprachlich experimentell – und surrealistisch. Wer sich darauf einlässt, wird mit einer abwechslungsreichen und zugleich informativen Lektüre belohnt. Die politische, soziale und wirtschaftliche Lage Angolas bildet die Hintergrundfolie.
Im Zentrum der angolanischen Hauptstadt Luanda steht ein heruntergekommenes Hochhaus. In einer Wand klafft ein riesiges Loch, im ersten Stock strömt Wasser aus maroden Leitungen. Die Bewohner leben auf labyrinthartigen Fluren: Jeder für sich und doch als eingeschworene Gemeinschaft gehen sie ihren Geschäften nach. Dazu gehören ein illegales Porno-Kino auf dem Dach, kleinkriminelle Pläne und die Suche nach dem besten Weg, an Geld zu kommen. Whisky wird dabei eigentlich dauernd getrunken. Das sei besser, als das knappe Trinkwasser zu verbrauchen, versichern sich die Protagonisten gegenseitig.
Das Haus ist auch ein Anlaufpunkt für andere schräge Gestalten. Etwa für den Briefträger, der vorwiegend selbstgeschriebene Briefe mit Antrag auf ein Zweirad verteilt. Und für BBC-Journalisten, korrupte Beamte sowie einen geschäftstüchtigen Muschelverkäufer. Auch wenn sie sich gegenseitig abzocken, bestechen und misstrauen: Sie kümmern sich umeinander. Denn der Irrwitz der Stadt wirkt auf die Protagonisten wie ein verbindendes Element. Als die Regierung die anstehende Sonnenfinsternis absagt, löst das kaum mehr als müdes Erstaunen aus, unterlegt mit ruppigen Flüchen und Selbstironie. Das Absurde wird als vollkommen normal angesehen.
Ondjakis Roman wirkt atemlos. Der Autor verzichtet weitgehend auf Satzzeichen. Buchstäblich ohne Punkt und Komma jagt er den Leser durch das Gewirr der sechs Millionen Einwohner großen Metropole. Die Groß- und Kleinschreibung beachtet er selten. Und auf manchen Seiten stehen nur die oft verworrenen, manchmal klugen Gedanken der Romanfiguren – nicht schwarz auf weiß, sondern weiß auf schwarz.
Die einzelnen Handlungsstränge des Buches sind miteinander verknüpft. Je weiter die Geschichten voranschreiten, desto düsterer werden sie. Im Untergrund von Luanda wird nach Erdgas gebohrt, chinesische Investoren fallen ein und die Straßen sind mit Werbeplakaten einer dubiosen Ölfördergesellschaft gepflastert. Die Erde beginnt zu beben, ein zweites Loch wird ins Haus gerissen, als eine Leiche vom Tisch rollt und durch sämtliche Decken und Böden bricht.
„Die Durchsichtigen“ ist laut Klappentext eine poetische Satire auf das postkoloniale Angola. Das trifft es nicht ganz: Der Roman mutet eher surrealistisch an. Eine weiße Kakerlake krabbelt mehrmals über Fliesen und Tische, ohne dass ihre Rolle je geklärt wird. Der Hausbewohner Odonato wird durchsichtig – weil er arm ist, sagt er. Als Luanda in den Flammen der explodierenden Erdgasleitungen aufgeht, ist er fast so durchscheinend wie Pergament und schwebt davon.
Der Autor stammt selbst aus Luanda, „Die Durchsichtigen“ ist sein zweiter, auf Deutsch erschienener Roman. In das fantastische Geschehen lässt Ondjaki sein Wissen über die Lage des Landes einfließen. Angola ist Afrikas zweitgrößter Erdölproduzent und zählt trotzdem zu den ärmsten Ländern der Welt; Religion ist nicht nur Glaubenssache, sondern auch ein Riesengeschäft – in der Kirche der heiligen Schäfchen wird geblökt statt gebetet.
Die spielerische Sprache ist zunächst gewöhnungsbedürftig, aber wert, sich darauf einzulassen: Das Feuer sieht aus wie ein langsames Rot, eine harte waagrechte Stille legt sich über den Friedhof. Übersetzer Michael Kegler hatte vermutlich keine leichte Aufgabe, dennoch klingen die Bandsätze wunderbar unverkrampft. Der Verlag Afrika Wunderhorn hat mit dem Buch einen Treffer für literarische Unterhaltung gelandet.
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