Daniel Rössler deckt in seinem Buch einen Schwindel mit Waisenhäusern in Ghana auf: Die meisten Kinder dort haben Familie und kommen nur zeitweise ins Heim, damit Amerikaner und Europäer dort Gutes tun können.
Ein junger Betriebswirt und Entwicklungsexperte kommt bei seinem ersten Auslandseinsatz nach Ghana. In einem entlegenen Dorf im Norden des westafrikanischen Staats soll er unter anderem ein Waisenhaus schließen. Durch einen Zufall entdeckt er, dass die meisten der Kinder gar keine Waisen sind, sondern Mütter oder zumindest Großfamilien haben, die sich um sie kümmern würden. Das macht ihn nachdenklich und er beginnt zu recherchieren.
Zwei Jahre nach seinem achtmonatigen Einsatz kehrt er zurück, um der Sache auf den Grund zu gehen. Und er entdeckt eine regelrechte Industrie, die Freiwillige aus Europa und Nordamerika für kurze Zeit in ein Dorf vermittelt. Dort sollen sie sich einen Monat oder zwei um die „Waisenkinder“ kümmern. Sind die Sulimingas – die Weißen – einmal weg, dürfen die Kinder wieder nach Hause.
Allerdings werden sie von den Gleichaltrigen gemieden und von der Dorfgemeinschaft als verwöhnte Kinder betrachtet, die nicht zur Arbeit taugen und später auf dem Heiratsmarkt nicht vermittelbar sind. Sie haben Schuhe, teure Schulsachen und vielleicht sogar ein Handy und gelten damit als Weiße mit schwarzer Haut. Die künstlichen Waisenhäuser zerstören den sozialen Zusammenhalt und das Leben vieler Mädchen und Jungen, denen eigentlich geholfen werden soll.
Der Autor lässt den Leser an seinen Überlegungen, Zweifeln und Fragen teilhaben. Er nimmt ihn mit in die afrikanische Savanne, die Ämter in der Hauptstadt Accra und zu den Vermittlungsagenturen, die arglosen Freiwilligen aus den reichen Ländern viel Geld abknöpfen, damit sie ein paar Wochen „Gutes tun“ können. Sie kommen ganz begeistert von ihrem Einsatz im Waisenhaus zurück, sind überzeugt, dass sie wirklich gebraucht werden. Und manche geben zu, dass sich ein Freiwilligeneinsatz in Afrika im Lebenslauf gut ausnimmt. Ghana ist eines der sichersten Länder in Afrika und erfreut sich daher besonderer Beliebtheit bei Leuten, die gern einmal in die „Dritte Welt“ hineinschnuppern wollen.
Die ghanaischen Behörden sind längst bemüht, das Geschäft mit den falschen Waisenhäusern einzudämmen. Sie schätzten nach Angaben des Autors die Zahl der Kinder, die ohne Notwendigkeit in Waisenhäusern leben, auf über 4000. Gemeinsam mit dem UN-Kinderhilfswerk Unicef hat das Wohlfahrtsministerium einen Plan zur „De-Institutionalisierung“ ausgearbeitet. Damit sei es gelungen, 1500 falsche Waisen in die Familien zurückzubringen. Gleichzeitig seien aber 2000 neue „Waisen“ rekrutiert worden.
Der Autor stellt die Profiteure des Systems nicht an den Pranger. In den Dörfern des kargen Nordens geben die Äcker wenig her, alternative Verdienstmöglichkeiten gibt es kaum. Ein Waisenhausleiter, der sich für seine Dienste gerade einmal den Luxus eines lauwarmen Malzbiers täglich leisten kann, steht am unteren Ende der Profitleiter. Die Freiwilligen schwärmen von einem einmaligen Erlebnis. Daniel Rössler verzichtet in persönlichen Begegnungen darauf, sie über den Betrug aufzuklären. Er bricht auch nicht pauschal den Stab über der Entwicklungshilfe, wie es viele andere Kritiker tun. Auch Freiwilligenarbeit könne „eine tragende Säule im Kampf um eine gerechtere Welt sein – solange keine Wölfe an ihrem Fundament scharren“.
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