Revolution der Frauen

Die syrischen Kurden haben sich größtenteils von der Herrschaft Baschar al-Assads befreit. Der Sammelband beschreibt, wie sie ihr Leben in Westkurdistan organisieren – und welche prominente Rolle Frauen dabei spielen.

Die nordsyrische Stadt Kobane gerät immer wieder in die internationalen Schlagzeilen. Denn dort tobt eine Schlacht: Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hat wiederholt versucht, sie zu erobern. Bislang sind die Islamisten jedoch stets von den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) zurückgedrängt worden. In Kobane begann jedoch auch die Revolution in Rojava – und darauf richten die Herausgeber dieses Buches, Anja Flach, Ercan Ayboga und Michael Knapp, ihren Blick.

Als Rojava oder Westkurdistan werden die überwiegend von Kurden bewohnten Gebiete in Syrien bezeichnet. Im Machtvakuum des syrischen Bürgerkriegs gelang es den Kurden 2012, sich größtenteils von der Herrschaft der regierenden Baath-Partei unter Präsident Baschar al-Assad zu befreien.

Flach, Ayboga und Knapp, waren im Mai 2014 für vier Wochen in Rojava und haben dort zahlreiche Gespräche geführt. Das Buch basiert auf ihren Eindrücken und Recherchen. Dazu vermitteln sie die theoretischen Konzepte, die der kurdischen Revolution zugrunde liegen. Ein zentraler Begriff ist „demokratische Autonomie“, die inzwischen auch die PKK, die Arbeiterpartei Kurdistans, für sich in Anspruch nimmt. Ihre neuen Paradigmen lauten: Geschlechterbefreiung, Radikaldemokratie, Ökologie, alternative Ökonomie. Die PKK, so erläutert Knapp, begreife die kurdische Frage heute als eine Frage der Befreiung der Gesellschaft, der Geschlechter und aller Menschen.

Daneben spielt das Modell des „demokratischen Konföderalismus“ eine wesentliche Rolle. Es meint die Organisation in Räten, was die politische Partizipation der Bevölkerung erlaubt. Eine der zentralen Säulen ist der Feminismus. Denn PKK-Führer Abdullah Öcalan, einst klassischer Marxist, sieht schon seit geraumer Zeit das Patriarchat als Basis für Hierarchien und staatliche Unterdrückung. Diese Erkenntnis scheint weitreichende praktische Folgen zu haben. Eine Episode aus dem Buch: Im Mai 2014 – die erste Angriffswelle des IS war gerade zurückgeschlagen worden – wurden in der Akademie für Verteidigungskräfte in Rojava Frauen zu Kommandantinnen ausgebildet. In der Küche standen derweil männliche Kämpfer, kochten und wuschen ab.

Die selbstbewussten Frauen in Uniform, die gegen den Islamischen Staat kämpfen, sind hierzulande wahrgenommen worden. Die dahinter stehenden Gesellschaftsmodelle und praktischen Erfahrungen – etwa die Frauenräte in allen Städten Westkurdistans, die  direktdemokratische Selbstverwaltung, das neue Rechtssystem, die Gesundheitsräte – jedoch nicht.  Auch über die alternative Ökonomie in Rojava erfährt man in den hiesigen Medien nichts. An ihrem Aufbau scheinen Frauen maßgeblich beteiligt zu sein – Anja Flach spricht sogar von einer „Frauen-Ökonomie“ und listet Frauenprojekte auf wie eine Näherei, eine Käsekooperative, eine Linsen-Kooperative, eine Frauen-Bäckerei.

Wer mehr wissen will, dem sei das Buch empfohlen. Es ist teilweise etwas holprig und sperrig. Man merkt, dass es aus einer parteilichen Aktivisten-Perspektive verfasst ist. Und man fragt sich, ob die geschilderten Sachverhalte sich nicht inzwischen schon wieder stark verändert haben. Dennoch, die Mühe des Lesens lohnt sich, wenn man besser verstehen will, welche Grundsätze und Ansätze in Kobane und an anderen Orten Rojavas entwickelt worden sind.

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