Macht, Krieg und Religion

Welcher Zusammenhang besteht zwischen Religion und Gewalt? Wie lässt sich der islamische Fundamentalismus erklären? Vier Bücher versuchen Antworten zu geben. 

Die Globalisierung religiöser Gewalt“ ist ein Klassiker: Der in den USA lehrende Soziologen Mark Juergensmeyer blickt auf Revolten in allen Religionen und fragt, was ihre Vorkämpfer antreibt. Ein Kernproblem sieht er darin, dass der „säkulare Nationalismus“ an Kraft verloren habe, Staaten zu legitimieren und sozialen Konsens zu schaffen.

Das Buch schildert religiöse Konflikte vom Nahen Osten über Asien und Europa bis in die USA. Deutlich wird, was religiöse Aktivisten empört – oft Korruption oder Sittenverfall im öffentlichen Leben. Leider wird ein Land nach dem anderen rein beschreibend abgehandelt; das ermüdet. Anregend sind die Thesen am Ende: Religionen eigneten sich aufgrund ihrer Mythen und Bilder besonders, Gewalt zu rechtfertigen; der „Krieg gegen den Terror“ sei ein Irrweg; und Anhänger der säkularen Gesellschaft müssten lernen, mit religiös begründeten Forderungen umzugehen.

Juergensmeyers blendet allerdings weitgehend aus, dass oft Regierungen religiöse Krieger gefördert haben, etwa in Afghanistan. Er fragt zu wenig nach Unterschieden zwischen religiösen Bewegungen; warum etwa treten nur die islamischen länderübergreifend auf? Und er unterscheidet nicht zwischen säkularem Staat und Nationalismus. Proteste gegen eine „unmoralische“ Regierung, Aufruhr gegen die Trennung von Staat und Religion und Minderheitenkonflikte mit religiöser Komponente erscheinen so als Spielarten desselben Phänomens.

Analytisch stärker ist das Buch des Berner Soziologen Christian Joppke. Er konzentriert sich darauf, inwieweit die christliche Rechte in den USA und die muslimische Minderheit in Europa den säkularen Staat gefährden. Die Lektüre ist anspruchsvoll, aber sehr lohnend, weil Joppke genau hinschaut und den Hintergrund vieler Kontroversen tief ausleuchtet. Ein historischer Abriss schildert zum Beispiel, warum die Trennung von Staat und Religion gerade im Christentum entstand und im Islam schwieriger erreichbar ist. Die katholische Kirche hat demnach seit dem Mittelalter die Säkularisierung unabsichtlich befördert. Als sie im 19. Jahrhundert versuchte, das Rad mit Hilfe christlicher Parteien zurückzudrehen, bewirkte sie das Gegenteil: Die neuen christdemokratischen Parteien zogen in Parlamente ein, brachten eine neue Führungsschicht von Laien hervor und nahmen der Kirche das Monopol auf die politische Vertretung ihrer Schäfchen.

Im Kapitel über Muslime in Europa greift Joppke heiße Eisen wie den Schleier oder die Scharia auf. Er findet, dass selbst liberale muslimische Gelehrte Probleme haben, wichtige Aspekte der Demokratie und der Menschenrechte zu stützen. Doch gewöhnliche Muslime vertrauten sogar stärker als andere Bürger den liberalen politischen Institutionen. Joppkes Kernthese: Der säkulare Staat ist gefestigt und kann religiöse Ansprüche einbinden; der Islam schafft dabei allenfalls in der Theorie Probleme, nicht in der Praxis.

 

Sehr Lesenswert ist auch Tilman Seidenstickers Einführung zum Islamismus. Sie erklärt die Entstehung des politischen Islam nicht zuletzt aus der historischen Erfahrung, dem Westen unterlegen und ausgeliefert zu sein. Die Thesen der wichtigsten Vordenker werden im Zusammenhang mit ihrer Lebensgeschichte vorgestellt. So betont Seidensticker, dass Hassan al-Banna in Ägypten in den 1930er Jahren mit den Muslimbrüdern die erste Massenorganisation in der arabischen Welt geschaffen hat. Dabei habe er sich weniger an islamischen Vorbildern orientiert wie den Sufi-Orden als an christlichen wie den Pfadfindern und westlichen Parteien – einschließlich leninistischen und faschistischen. Am Schluss behandelt das Buch Dispute unter Muslimen, ob ihre Religion Gewalt gebietet und wenn ja, gegen wen und in welchen Grenzen. Der Befund lautet: Der Islam liefert starke Begründungen für Gewalt; sie sind aber ausdeutbar, und viele der problematischsten Vorschriften wurden und werden fast nie angewandt.

 

Mit den heutigen Kriegen in der arabischen Welt befasst sich Rainer Hermann von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Er fasst sie als Konflikte in der muslimischen Zivilisation: Das Versagen der arabischen Staaten habe zu ihrem Zerfall geführt; die Religion legitimiere im Zuge dieses Prozesses soziale Bewegungen und Widerstand und übernehme schließlich Ordnungs- und Schutzfunktionen. Das Ergebnis sei ein Krieg, der dem in Europa 1618-48 vergleichbar sei. In welchen Punkten, würde man gern genauer wissen.

Das Buch enthält kluge Beobachtungen, wirkt aber etwas impressionistisch und sprunghaft. Mal wird grob verallgemeinert – zum Beispiel das Versagen aller arabischen Staaten auf Nepotismus und Korruption zurückgeführt –, dann die Zusammensetzung der syrischen Opposition gut aufgedröselt, dann ein einzelner Vorfall wie die Entführung zweier Bischöfe in allen Details ausgebreitet. Provozierend schließt Hermann, die Alternative für die arabische Welt heiße Anarchie oder Diktatur und der Westen müsse mit Diktaturen dort zusammenarbeiten. (bl)

 

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