Viel Getöse um nichts in Ruandas Bergen

Scholastique Mukasonga will Ruandas jüngere Vergangenheit lebendig werden lassen. Doch die Geschichte wirkt konstruiert, die Sprache hölzern.

Ruanda in den 1970er Jahren: Hoch in den Bergen liegt das elitäre Mädcheninternat Notre-Dame-du-Nil. Geführt wird es von katholischen Nonnen und Priestern. 90 Prozent der Schülerinnen sind Hutu, zehn Prozent sind Tutsi, die Aufnahme ist durch eine Quote geregelt. Mukasonga erzählt vom Schulalltag im afrikanischen Ruanda. Dazu gehören die Unterrichtsfächer Hygiene, Mathe und Religion, ein Pfarrer, der die Schülerinnen zwingt, sich auszuziehen, und schwelender Rassismus im Schlafsaal.

Fast jedes Kapitel des Romans vertieft ein anderes Thema, das die Mädchen im Internat beschäftigt. Eines handelt von einem französischen Plantagenbesitzer, der in den Tutsi-Schülerinnen Veronica und Virginia ägyptische Gottheiten und nubische Königinnen sieht und sie auf seinen Anwesen in goldene Gewänder hüllt. Ein anderes vom belgischen Hippie-Lehrer, der aufregend langes Haar hat und trotzdem langweiligen Unterricht gibt. Mit der Einweihung der titelgebenden Statue, der „Heilige Jungfrau vom Nil“, beginnt der Roman, gegen Ende wird sie erneut wichtig. Hier zerstören Gloriosa und Modesta, rassistisch motiviert, die Nase der schwarzen Marienstatue: weil sie „wirkt wie eine Tutsi-Nase“.

Die Autorin wurde 1956 in dem ostafrikanischen Land geboren und wuchs mit ethnischen Konflikten auf. Ein Großteil ihrer Familie fiel dem Völkermord 1994 zum Opfer. Doch trotz der Nähe zum Geschehen funktioniert ihr Roman nicht. Die Geschichte verläuft dramaturgisch flach. Erst spaltet das Thema „große und kleine Brüste“ die Klasse in zwei Lager, später die ethnische Zugehörigkeit. Intrigen und politische Propaganda nehmen zu und leiten schließlich das letzte dramatische Kapitel ein.

Das Geschehen wirkt konstruiert und die Sprache hölzern. „Der fröhliche Tumult erfreute alle Schülerinnen. Es gab ein großes Hin- und Hergerenne,  Geschrei und Getöse, und dazu der Lärm der Boys, die die Flure neu anstrichen.“ Das passiert beim Besuch der belgischen Königin Fabiola und vermutlich soll so ein Stück Postkolonialgeschichte vermittelt werden. Es gelingt nicht. Die Protagonistinnen verharren derweil in ihren Rollen, die nach wenigen Seiten klar sind: Gloriosa ist die Böse, Mitläuferin Modesta stets an ihrer Seite; Veronica und Virginia sind die gefährdeten Tutsi-Mädchen, die die rebellische Immaculée zu retten versucht. Überraschungen gibt es nicht.  Die Autorin schiebt weitere Barrieren vor ihre Geschichte: Über zweieinhalbm Seiten schildert sie die Zubereitung von Kochbananen. Eine Regenmacherin holt „aus einem Feigenbaumrinden-Säckchen neun Knöchelchen“ vom Schaf, um Virginias Zukunft daraus zu lesen. Spaziergänge im Lendenschurz werden beschrieben, untermalt mit Begrüßungsritualen beim Kürbisbier. Das erscheint oft folkloristisch.

Der Roman wurde 2012 mit dem renommierten französischen Literaturpreis „Prix Renaudot“ ausgezeichnet. Dennoch stellt sich am Ende die Frage, für wen er geschrieben wurde. Für politisch Interessierte bleibt er zu oberflächlich. Für literarisch Interessierte mangelt es an Sprachkunst und Spannung. Der Gründer des Wunderhorn-Verlags Manfred Metzner sagte vor kurzem in einem Interview über afrikanische Literatur: „Sie muss vielfarbig und literarisch anspruchsvoll die gesellschaftlichen und politischen Umbrüche reflektieren, dabei geht es um die Suche nach Identität in einer postkolonialen Welt.“ Vielleicht ist es der Übersetzung geschuldet – aber diesen Anspruch erfüllt die „Jungfrau vom Nil“ nicht.

Hanna Pütz
 

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