Der Journalist Jonathan Fenby sieht die Volksrepublik trotz wirtschaftlichen Erfolgen in einer politischen Sackgasse. Doch er schaut nicht genau genug hin.
Chinas Aufstieg sei der bedeutendste Umbruch in der internationalen Politik seit Ende des Kalten Krieges, schreibt Jonathan Fenby. Das ostasiatische Land ist heute der weltweit größte Exporteur, es hält die größten Währungsreserven, und chinesische Investoren kaufen Firmen in Europa. Es ist das Land mit den meisten Millionenstädten, dem längsten Schienennetz für Hochgeschwindigkeitszüge und den meisten ins Ausland reisenden Touristen. Steigt China zur globalen Führungsmacht des 21. Jahrhunderts auf, wie viele Beobachter voraussagen?
Keineswegs, erklärt Fenby. Der gelernte Journalist hat unter anderem eine Hongkonger Tageszeitung geleitet und ist jetzt Teilhaber einer Beratungsfirma, die aufstrebende Märkte beobachtet. Fenby weist auf strukturelle Schwächen der chinesischen Volkswirtschaft hin: Ihr Wachstum stoße an ökologische Grenzen, knappe Naturgüter würden verschwendet. Der Konsum sei zu niedrig, die innere Verschuldung hoch und schlechte Koordination bewirke, dass viel Kapital in sinnlose Projekte fließe wie leerstehende Gebäude. Noch immer sei Chinas Wirtschaft wenig innovativ und könne Technik besser kopieren als entwickeln.
Die Ursache dieser Probleme sieht Fenby im politischen System der Volksrepublik. Damit meint er nicht nur bekannte Phänomene wie die Korruption und die Rivalitäten zwischen Zentralregierung, Provinzen und Kreisen. Er behauptet, Chinas wirtschaftlicher Erfolg könne nur anhalten, wenn ein demokratischer Rechtsstaat eingeführt werde. Die kommunistische Elite herrsche jedoch über einen totalitären Staat, der weder zu Reformen noch zu einer strategischen Steuerung der Wirtschaft fähig sei.Diese These ist befremdlich. Ohne Frage ist China weder eine Demokratie noch ein Rechtsstaat. Aber den Begriff „totalitär“ haben Politologen wie Hannah Arendt geprägt, um eine spezielle Form der Diktatur von anderen zu unterscheiden. Danach war China unter Mao Zedong totalitär, ist es aber heute nicht mehr.
Fenby ignoriert diese Differenzierung. Er betont, Chinas Führung halte weiter an der kommunistischen Ideologie fest, und übersieht: Politischer Wandel geht mit Neuinterpretationen der Ideologie einher, die nicht selten unter dem Deckmantel der Kontinuität ihren Inhalt stark verändern. Er setzt sich auch nicht mit Thesen von Sinologen auseinander, wonach Chinas Führung besser als westliche Demokratien strategische Ziele setzen kann und nicht von vornherein ausgeschlossen ist, dass ein autoritäres System längere Zeit legitim und stabil bleibt.
Femby macht sich wenig Mühe zu zeigen, welche politische Fehlfunktion genau welches Wirtschafts- oder Umweltproblem verursacht oder verstärkt. Gelegentlich widerspricht er sich – etwa wenn er erst einen höheren Anteil der Konsumausgaben am Sozialprodukt fordert, dann aber höhere Löhne als Problem darstellt. Kapitalverkehrskontrollen unterstellt er als schädlich, obwohl China damit besser gefahren ist als asiatische Staaten mit freiem Kapitalverkehr und obwohl die Finanzkrise von 2008 den Glauben an freie Kapitalmärkte erschüttert haben sollte.
Zu Recht mahnt Fenby, Chinas Erfolg nicht zu überschätzen, und verweist darauf, dass Peking die globale Ordnung kaum aktiv mitgestaltet – es ist mit innenpolitischen Problemen beschäftigt. Viele seiner Hinweise auf wirtschaftliche Schwächen und politische Probleme sind interessant. Leider benutzt er sie vorwiegend als Belege für die These, China steuere aufgrund eines totalitären politischen Systems zwangsläufig in die Sackgasse. Diese Kernthese des Buches ist weniger eine Diagnose als ein Vorurteil.
Bernd Ludermann
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