Der britische Ökonom Paul Collier will zu einer sachlicheren Debatte über die Einwanderungspolitik beitragen. Seine Analyse ist nüchtern – und provozierend zugleich.
Kaum eine politische Debatte wird so emotional, so schrill geführt wie der Streit über die richtige Migrationspolitik, beklagt Collier im Vorwort seines Buches. Was er damit meint, ist derzeit auch in Deutschland zu beobachten. Rationale Argumente sind bei den Demonstranten, die gegen eine vermeintliche Überfremdung und Islamisierung auf die Straße gehen, selten zu hören. Aber auch in linksliberalen Kreisen sei der Diskurs oft von diffusen moralischen Einstellungen geprägt, schreibt Collier. In der Forderung nach einer liberalen Einwanderungspolitik drückten sich meist Schuldgefühle gegenüber der abgehängten Milliarde in den Armutsregionen aus.
Mit seinem Buch will der Ökonom die Diskussion versachlichen. Im Mittelpunkt stehen dabei die Folgen der Wanderungsbewegungen für die Aufnahmeländer, die Herkunftsgesellschaften und die Migranten selbst. Über mehrere Kapitel hinweg diskutiert er anhand von Studien, wie sich die Migration auswirkt – und was passieren würde, wenn sie ungebremst weiter ginge. Dabei geht er von folgendem Zusammenhang aus: Je höher der wirtschaftliche Anreiz ist, die Heimat zu verlassen, und je mehr Landsleute den Einstieg im Zielland erleichtern, desto mehr Migranten kommen nach.
Collier warnt vor einer zügellosen Migration. Zwar würden die Aufnahmeländer kulturell und wirtschaftlich eher profitieren. Doch eine zu große Zahl an Einwanderern gefährde den gesellschaftlichen Zusammenhalt und funktionierende Sozialmodelle. Collier, der selbst von deutschen Armutsmigranten abstammt, ist kein Freund des Multikulturalismus. Zuwanderer müssten sich anpassen und in die Mehrheitsgesellschaft integrieren, fordert er.
Auch den armen Herkunftsländern schade die massenhafte Abwanderung. Haiti etwa habe einen Großteil der gebildeten Leistungsträger durch die Migration verloren. Dieser Verlust werde auch durch die hohen Rücküberweisungen nicht ausgeglichen. Die großen Gewinner sind für Collier die Migranten selbst, die ihre Lebensbedingungen in der Regel verbessern können. Ein Recht auf Migration leitet er daraus jedoch nicht ab. Ganz im Gegenteil: Den Sprung in die Diaspora könnten sich meist nur die ökonomisch besser gestellten leisten, die ärmsten der Armen aber blieben zurück. Deshalb stünden die reichen Aufnahmestaaten in der Pflicht, die Wanderungsbewegungen künftig zu steuern – im Interesse aller.
Collier hat Vorschläge parat, wie diese Steuerung funktionieren könnte. Dazu gehört die Festlegung von Obergrenzen und einer strengeren Auswahl der Zuwanderer nach beruflicher Qualifikation, kultureller Herkunft und Schutzbedürftigkeit. Zur Abschreckung illegaler Einwanderer will er die Grenzkontrollen weiter verschärfen, zugleich aber allen Menschen, die es trotzdem ins Land schaffen, einen Gastarbeiterstatus gewähren. Dass dies nicht den Anreiz zu einer gefährlichen Einreise erhöhen sollte, erscheint allerdings angesichts des Flüchtlingsdramas im Mittelmeer bestenfalls blauäugig.
Doch man sollte Colliers Ausführungen ohnehin nicht als Blaupause für ein politisches Programm lesen. Aufschlussreich und zugleich provokant ist vor allem die nüchterne Analyse des Themas. Man würde sich wünschen, dass sich Politiker jeden Couleurs der fordernden aber erhellenden Lektüre dieses Buches stellen.
Sebastian Drescher
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