William Easterly: The Tyranny of Experts
Economists, Dictators, and the Forgotten Rights of the Poor
Basic Books, New York 2014, 380 Seiten, 15 Euro
Der Entwicklungshilfe-Kritiker William Easterly wettert in seinem jüngsten Buch gegen technische Lösungen im Kampf gegen die Armut. Er will die Menschenrechte stärker in den Mittelpunkt rücken.
Wer verstehen will, warum nach mehr als 50 Jahren Entwicklungshilfe noch immer vieles im Argen liegt, muss zurück zu den Anfängen. Einer davon ist der Besuch des ersten Weltbank-Präsidenten Jonathan J. McCloy 1948 in Kolumbien. Mit dem damaligen Staatsoberhaupt, dem konservativen Mariano Ospina Perez, vereinbarte er ein Entwicklungsprogramm, das den Lebensstandard der Kolumbianer verbessern sollte. Es war der Startschuss für die erste Feldstudie der Weltbank. Zeitgleich brach in Kolumbien ein Bürgerkrieg aus, bei dem in den folgenden Jahren 400.000 Menschen ums Leben kamen. Im ersten Weltbank-Bericht 1950 wurde bemängelt, wie schlecht es um die Ernährung, die Bildung und die Gesundheitsversorgung der Kolumbianer stehe – von der Gewalt als mögliches Entwicklungshindernis war jedoch nichts zu lesen.
Mit solchen Beispielen untermauert der Ökonom und ehemalige Weltbank-Mitarbeiter William Easterly seine Kritik an der Entwicklungshilfe. Sie richtet sich vor allem gegen ein Verständnis von Armut als technisches Problem, das mit entsprechenden Lösungen bewältigt werden kann – ungeachtet der historischen und politischen Bedingungen. Aber Armut sei nicht die Folge fehlender Expertise, sondern mangelnder politischer und wirtschaftlicher Rechte der Einzelnen, schreibt Easterly.
Sein Buch ist eine scharfzüngige Streitschrift gegen ein autoritäres Entwicklungsmodell, das unreflektiert von Fachleuten und Beratern übernommen wird. In einem historischen Abriss verortet er dessen Ursprünge in der Wirtschaftsgeschichte und der kolonialen Vergangenheit zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Die rassistisch begründete Überlegenheit mündete in eine technokratische Bevormundung der unterentwickelten Länder. Immer wieder seien die ausländischen Geber zudem eine unheilige Allianz mit Diktatoren eingegangen.
Doch die Tyrannei der Technokraten gehört für Easterly längst nicht der Vergangenheit an. Die Weltbank und andere einflussreiche Organisationen wie die Bill Gates-Stiftung seien noch immer auf technische Lösungen fixiert – und schreckten nicht davor zurück, für eine möglichst effiziente Umsetzung ihrer Modelle mit autoritären Regimen zu kooperieren. Das führt dazu, dass Menschen im Namen von Entwicklungsvorhaben rücksichtlos unterdrückt werden, wie er an Beispielen aus Äthiopien oder Ghana belegt.
Easterlys Gegenmodell ist schnell zusammengefasst: Er setzt nicht auf den Staat, sondern den einzelnen freien Bürger. Er plädiert für den Austausch von Ideen und Innovationen auf der Basis einer demokratischen Grundordnung. Das klingt gut, bleibt aber abgesehen von historischen Beispielen sehr allgemein. Auch ignoriert der Autor konsequent, dass sich in der Entwicklungszusammenarbeit in den vergangen Jahrzehnte einiges getan hat. Gerade für zivilgesellschaftliche Organisationen – aber nicht nur für sie – stehen heute die Menschenrechte und die Unterstützung von Graswurzelbewegungen an erster Stelle.
Dass Easterly das nicht thematisiert ist schade, schließlich ist auch dieser Ansatz nicht frei von Schwierigkeiten: etwa der Tendenz von Basisorganisationen, sich eher nach den Wünschen ihrer Geldgeber als den Interessen der eigenen Leute zu richten; oder der Frage, was zu tun ist, wenn sie in ihrem Ruf nach mehr Freiheit von autoritären Regimen unterdrückt werden.
Trotzdem liefert Easterly einen wichtigen Beitrag zur entwicklungspolitischen Debatte, vor allem weil seine Polemik sich nicht gegen die Hilfe an sich, sondern die dahinterstehenden philosophischen Prinzipien richtet. Dabei überzeugt und unterhält er vor allem mit historischen Beispielen. Wer eine praktische Handreichung für die Entwicklungszusammenarbeit erwartet, wird dagegen eher enttäuscht.
Sebastian Drescher
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