Der Junge Syiar
Norwegen/ Deutschland/ Irak, 2013
105 Minuten, Kinostart: 11. September 2014
Der kurdische Regisseur Hisham Zaman widmet seinen ersten langen Spielfilm dem Thema Ehrenmord: Eine Verfolgungsjagd quer durch Europa.
Er wird in Plastikfolie eingewickelt, von Kopf bis Fuß. Atmen kann er nur durch einen schmalen Riss über dem Mund. Im Bauch eines Tanklasters gelangt Siyar über die irakisch-türkische Grenze. Dann schlägt er sich nach Istanbul durch, wo er in einer schäbigen Pension unterkommt.
In der Rückblende wird der Grund für seinen Aufbruch aus dem Dorf im kurdischen Norden des Irak erzählt: Seine ältere Schwester hat sich geweigert, einen einflussreichen Mann aus dem Nachbardorf zu heiraten. Sie ist mit ihrem Liebsten geflohen. Der 16-jährige Siyar, seit dem Tod seines Vaters das Familienoberhaupt, muss sie töten, um die Familienehre wiederherzustellen.
Der Clan des enttäuschten Bräutigams hilft ihm dabei – und sein Einfluss reicht weit: von Istanbul über die türkisch-griechische Grenze bis in die norwegische Hauptstadt Oslo. Der Film begleitet Siyar auf seiner Odyssee. Bereits in Istanbul hätte sie zu Ende sein können, dort trifft er seine Schwester, entschlossen, sie umzubringen, doch sie kann ihm entwischen. So muss er weiter – der enorme soziale Druck, seine Pflicht zu tun, lastet schwer auf ihm und treibt ihn gleichzeitig an.
Dann lernt er das Straßenmädchen Evin kennen und ganz allmählich vollzieht sich ein Wandel. Siyars finstere Miene hellt sich auf, sie freunden sich vorsichtig an. Gemeinsam begeben sie sich auf den gefährlichen Weg nach Europa – auf dem Siyar einen folgenschweren Fehler macht, um Evin zu retten.
Der Filmemacher Hisham Zaman, der im Irak geboren wurde und in Norwegen lebt, erzählt Siyars Geschichte in eindrucksvollen Bildern. Die Dialoge sind knapp, oft schroff, vieles spielt sich zwischen den Zeilen ab. Vor allem die beiden jungen Hauptdarsteller überzeugen: Ihr Spiel macht den Film anrührend und erschütternd, aber nie rührselig oder banal. Der Film hält seine Spannung bis zum Schluss. Hisham Zaman zeichnet ein differenziertes Bild von todbringenden Traditionen, sozialen Regeln und Clan-Bindungen, denen der Einzelne kaum etwas entgegensetzen kann. Das ist der düstere Befund dieses sehenswerten Films.
Gesine Kauffmann
Neuen Kommentar hinzufügen