Andreas Boueke
Guatemala. Recherchen auf heißem Pflaster
Horlemann Verlag, Berlin 2013
336 Seiten, 16,90 Euro
Andreas Boueke verstößt gegen ein zentrales journalistisches Prinzip: der Reporter soll beobachten, berichten, aber nicht Partei ergreifen. Was der Autor über Guatemala schreibt, lässt diese Distanz vermissen. Und das ist gut so.
Unentwegt stößt Boueke auf schreiendes Unrecht: Interessen, die mit Gewalt durchgesetzt werden, Kumpanei zwischen Ganoven und Funktionären, Rechtsbeugung und die konsequente Verweigerung von Gerechtigkeit für die Opfer von Gewalt. Boueke bezieht Stellung, gibt sich aber nicht mit einfachen Antworten und einseitigen Informationen zufrieden. Gründliche Recherche verleiht seinen Reportagen die nötige Glaubwürdigkeit.
In manchem Fällen haben die engagierten Berichte sogar positive Folgen. Etwa wenn Boueke mit bewundernswerter Beharrlichkeit verborgene Öllecks im Urwald aufsucht, um zu dokumentieren, dass das saubere Image, das ein Ölkonzern sich zu geben versucht, nicht der gelebten Praxis entspricht. Als die nationale Presse diese Reportagen abdruckt, bewegt sich das Umweltministerium. Der Konzern gibt Versäumnisse zu und beginnt, verseuchten Urwaldboden zu reinigen.
Die Bilanz ist trotzdem gemischt: Ein Informant, der den entscheidenden Hinweis gegeben hat, wird bedroht und muss außer Landes fliehen. Ein anderer wird von Sicherheitsleuten des Ölkonzerns ermordet. Er habe gestohlen, heißt es zur Rechtfertigung. Die Mutter widersetzt sich der Exhumierung, weil sie von den mutmaßlichen Tätern unter Druck gesetzt wird. Die Machtlosigkeit macht wütend.
Bis zum Ende spannend
Boueke, der in Guatemala lebt und dort inzwischen auch Familie hat, schreibt nicht nur über politische Themen wie den Völkermordprozess gegen den ehemaligen Diktator Efraín Ríos Montt, sondern vor allem über den Alltag: das Leben kinderreicher Familien, das Vordringen evangelikaler Sekten, deren Wirken den Gemeinsinn und die Solidarität zerstört, die Folgen des bewaffneten Konflikts, der in den Köpfen noch immer weiterlebt. So gelingt es ihm auch, einen ehemaligen Soldaten zu interviewen, der überzeugend über die Gräueltaten berichtet, die die Armee in den 1980er Jahren an der indigenen Bevölkerung beging.
Seine Erinnerungen decken sich mit dem, was unzählige Überlebende der Maya-Völker geschildert haben: ein Blutrausch, in den die auf Grausamkeit gedrillten Soldaten hineingezwungen wurden. Damals schauten viele weg und die städtische Mittel- und Oberschicht wollte gar nicht wissen, was da in den Bergen passierte. Und wer sich heute daran macht, die Wahrheit ans Licht zu bringen, wird noch immer als Feigling, Nestbeschmutzer oder Lügner diffamiert, wie Leserreaktionen auf dieses Interview belegen.
Reportage-Bände, besonders wenn sie sich über mehrere Jahrzehnte erstrecken, sind problematisch und lassen oft einen großen Bogen vermissen. Das vorliegende Buch ist aber von Anfang bis Ende spannend zu lesen und lässt keine Zweifel aufkommen, dass auch die länger zurückliegenden Geschichten an Aktualität nichts verloren haben. Kleine Schlampigkeiten bei der spanischen Orthographie sind ärgerlich, trüben aber kaum den Gesamteindruck. (Ralf Leonhard)
Erschienen in welt-sichten 12-2013/1-2014