Zum Frieden nicht bereit

Vor der Wahl in Israel sind die Fronten im Nahen Osten verhärtet
Vor der Wahl in Israel sind die Fronten im Nahen Osten verhärtet

In Israel wird am 17. März gewählt. Aber auch eine neue Regierung wird sich nicht mit Zugeständnissen an die Palästinenser hervortun. Dafür gibt es gute Gründe, meint „welt-sichten“-Redakteur Tillmann Elliesen.

Unlängst beglückwünschte uns eine „welt-sichten“-Leserin zu einem Kommentar, in dem sich der Autor für eine Anerkennung Palästinas als Staat aussprach. Weiter fragte die Leserin in ihrem Brief: „Wie können wir Israel zwingen, einen gerechten Frieden zu schließen?“ Mal abgesehen davon, dass die Vorstellung ziemlich bedrückend ist, ausgerechnet wir Deutschen sollten die Juden in Israel zu irgendetwas zwingen: Hinter der Frage verbirgt sich der weit verbreitete Trugschluss, es gäbe eine fertige Friedenslösung in Nahost, die nur noch von beiden Seiten akzeptiert werden müsste. Vor allem von Israel.

Aber so einfach ist es nicht. Eine Zweistaatenlösung scheint derzeit in weiter Ferne, und das liegt nicht nur an Israel. Das Misstrauen ist zu groß – auf beiden Seiten. „Israel lügt!“, sagt etwa Husam Zomlot von der Palästinenser-Partei Fatah. Er glaube nicht daran, dass die israelische Regierung ein Partner für Frieden in der Region sein wolle. Sie sei viel stärker daran interessiert, auf Dauer das ganze Westjordanland und Ostjerusalem zu kontrollieren.

Das stimmt wahrscheinlich sogar. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat in seiner Amtszeit seit 2009 nichts dafür getan, die Präsenz Israels in den Palästinensergebieten zu verringern – im Gegenteil: Die Zahl der Siedler hat sich deutlich erhöht. Zudem muss man lange suchen, um in Israel eine Landkarte zu finden, in der die Westbank als solche und die sogenannte Grüne Linie, die sie vom Kernland Israels trennt, eingezeichnet sind. In der Regel zeigen die Karten zwischen Mittelmeer und Jordan nur einen Staat – und der heißt Israel. Kein Wunder, dass die Palästinenser skeptisch sind.

Aber fragwürdige Landkarten findet man auch in Ramallah. Eine steht im Haus des Roten Halbmonds im Empfangsbereich in einer Vitrine, kunstvoll gearbeitet auf einer Steinplatte: Sie zeigt die Region ohne Israel, dafür komplett in den Farben der Flagge Palästinas. Daneben in goldumrandeten Lettern die Worte „We will return“: Wir werden zurückkommen. Und das im Haus einer renommierten, international anerkannten Hilfsorganisation, nicht bei irgendwelchen Extremisten. Dazu passt, was drei junge palästinensische Friedensaktivisten erzählen: Ihre Eltern seien entsetzt gewesen, dass sich ihre Kinder für eine Verständigung mit Israel einsetzen wollen. Kurz: Man muss gar nicht die antisemitischen Vernichtungsfantasien der Hamas in Gaza bemühen, um Zweifel an der Kompromissbereitschaft auch der Palästinenser zu bekommen.

"Geblendet von der Angst"

Israel ist die stärkere Seite in dem Konflikt und könnte mehr tun, um eine Einigung mit den Palästinensern zu erzielen. Das sehen auch viele Israelis so. Aber Israel ist nicht unverwundbar. Es mag derzeit nicht in seiner Existenz bedroht sein wie in den ersten 25 Jahren nach der Staatsgründung, als es sich in mehreren Kriegen gegen seine arabischen Nachbarn verteidigen musste. Aber viele Bürger des Landes sorgen sich um ihre Sicherheit – zumal nach dem Gaza-Krieg im Sommer 2014, in dem die Raketen der Hamas erstmals Tel Aviv erreichten. Für große Unsicherheit, vor allem im Süden, sorgten zudem die vielen Tunnel von Gaza nach Israel (die Zahlen schwanken zwischen 9 und 31), die die Hamas offenbar zur Vorbereitung von Anschlägen gegraben und zu regelrechten Bergwerksstollen ausgebaut hatte.

Welchen Terror sie verbreiten können, haben palästinensische Extremisten während der zweiten Intifada von 2000 bis 2005 gezeigt. Damals starben bei Dutzenden Selbstmordanschlägen in israelischen Städten und bei Feuerüberfällen Hunderte israelische Zivilisten. Und während in Europa drei islamistische Amokläufer aus Frankreich genügen, um den halben Kontinent tagelang in Angst und Schrecken zu versetzen, ist Israel von feindlich gesinnten religiösen Fanatikern umzingelt: im Norden die Hisbollah und der Islamische Staat und im Süden die Hamas sowie etliche bewaffnete Gruppen auf dem Sinai.

Vor diesem Hintergrund sind nicht nur radikale jüdische Siedler gegen einen Abzug aus dem Westjordanland, sondern auch viele Israelis, die die Siedlungspolitik an sich nicht gutheißen. Denn die Sorge ist groß, dass Unsicherheit und Terror dann noch näher an Israel heranrücken. Die israelische Autorin und Bloggerin Anita Haviv drückt es so aus: „Die Israelis sind nicht blind. Aber sie sind geblendet von ihren Ängsten.“

Für den Schriftsteller Etgar Keret ist es noch mehr als Angst: Während des Gaza-Krieges im vergangenen Sommer habe er in seiner Umgebung ein allgemeines Gefühl der Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung gespürt, schreibt er in einem öffentlichen Briefwechsel mit einem arabischen Freund. Das sei noch schlimmer, denn Angst könne neue Energie freisetzen und Lösungen voranbringen. Verzweiflung hingegen lähme und verdamme zur Untätigkeit. Für Keret gleichen die wiederkehrenden Gaza-Kriege der rituellen und sinnlosen Opferung einer Jungfrau, die verhindern soll, dass das Ungeheuer aus dem Meer steigt.

Die säkularen Kräfte haben es schwer

Ein weiterer unter Israelkritikern verbreiteter Trugschluss ist, dass die israelische Politik und gesellschaftliche Positionen zum Nahostkonflikt heute nichts mehr mit dem Holocaust zu tun haben. Die Regierung halte die Erinnerung daran künstlich am Leben, um ihre harte Politik gegenüber den Palästinensern zu rechtfertigen, heißt es manchmal. Tatsächlich ist es Unsinn, wenn der israelische Ministerpräsident von „Europas zweiter Kristallnacht“ spricht, weil das EU-Parlament vor kurzem für eine bedingte Anerkennung Palästinas gestimmt hat. Aber der Völkermord an den Juden ist bis heute viel stärker Teil der israelischen Identität, als sich das viele Deutsche offenbar vorstellen können oder wollen.

Man muss ziemlich jung sein in Israel, zwischen 20 und 30 Jahre, um es wieder selbstverständlich zu finden, Großeltern zu haben. Wer hingegen zur Generation davor gehört, also zu den 40- bis 60-Jährigen, hat wahrscheinlich nahe Verwandte im Holocaust verloren. Das zeigt, wie gegenwärtig der Völkermord noch ist. Der 23-jährige Panzerkommandant Daniel Levy etwa sagt, seine Oma sei stolz darauf, dass er Uniform trage. Ein Soldat Israels zu sein, sagt der junge Mann, sei für ihn wie ein später Sieg über die Nazis: „Ich sorge dafür, dass Auschwitz nie wieder passiert.“

Wie können Israelis und Palästinenser dem Frieden näher kommen? Der israelische Sicherheitsfachmann Uli Dekel sagt, ein umfassendes Abkommen, das alle strittigen Fragen regelt, sei unrealistisch. Besser sei es, Schritt für Schritt Lösungen und Kompromisse für einzelne Konfliktpunkte zu finden. Der Palästinenser Husam Zomlot in Ramallah widerspricht: So funktioniere das nicht; ein solches Vorgehen würde von den Radikalen auf beiden Seiten ständig torpediert.

Für eine Konfliktlösung in Nahost sind das trübe Aussichten. Zudem sind beide Seiten zunehmend mit sich selbst beschäftigt. Für Israel sagt die Schriftstellerin Lizzie Doron mit Blick auf die bevorstehenden Parlamentswahlen Mitte März: „Dieses Land steht an der Schwelle eines Kampfes um seine Zukunft.“ Und Husam Zomlot von der Fatah-Partei ruft fast verzweifelt: „Wir sind die letzte säkulare Bewegung in der Region. Ich weiß nicht, wie lange wir noch standhalten.“

Tillmann Elliesen

Die Recherche für diesen Beitrag wurde unterstützt von der Bundeszentrale für politische Bildung.

 

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