Neue Märkte im Visier

Vietnam, Laos und Kambodscha sind von der gemeinsamen Geschichte als französische Kolonie, von mehreren großen Kriegen und von der Lage zwischen Indien und China geprägt. In den vergangenen Jahrzehnten haben sie einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt, ohne echte politische Reformen anzugehen. Das und ihre Naturschätze machen sie für Investitionen interessant – nicht zuletzt aus China.
In den Augen vieler Europäer sind im östlichen Teil der indochinesischen Halbinsel die Wunder Asiens versammelt. Die Pracht der Tempel von Angkor wetteifert mit der beeindruckenden Zitadelle der Königsstadt Hué in Vietnam und mit der stillen Schönheit von Luang Prabang, der vormaligen Hauptstadt des Königsreichs mit Millionen Elefanten. Die Region hat unzählige Naturwunder. Sie haben wunderbarerweise die zahlreichen blutigen Kriege überstanden, die die Region im 20. Jahrhundert heimgesucht haben. Eingekeilt zwischen China und Indien, stellen Kambodscha, Laos und Vietnam, die drei Staaten der früheren französischen Kolonie Indochina, noch heute eine eigene Gruppe unter den Nationen Südostasiens dar.
 

Autor

Arnaud Leveau

ist französischer Historiker mit Schwerpunkt Asien. Er hat über chinesische Gemeinden in Südostasien gearbeitet und promoviert zur Zeit in Seoul über das Verhältnis Südkoreas zu Südostasien.

Im Gegensatz zu Algerien war Französisch-Indochina keine Siedlerkolonie. Die Zahl der Franzosen, die dort lebten, war nie größer als 34.000. Das an Naturschätzen reiche Indochina war vor allem eine Kolonie zur Rohstoffausbeutung. Aus Kambodscha holte man Pfeffer und Reis, Vietnam lieferte Tee, Kohle, Kaffee, Zink, Zinn und vor allem Kautschuk. Die Franzosen investierten auch in verarbeitende Industrien wie Textilfabriken, das Brauereiwesen, die Tabakindustrie, Brennereien und die Zementindustrie und bauten die Transport- und Kommunikationswege aus. So avancierte Saigon 1937 zum sechstgrößten Hafen Frankreichs. Abgesehen von Algerien investierte Frankreich von allen seinen Kolonien am meisten in Indochina.

Das Ende der französischen Bestrebungen in der Region läutete der Zweite Weltkrieg mit der japanischen Besetzung von Indochina ein. Nach Kriegsende und mit dem Abzug der japanischen Truppen versuchte Paris, das Gebiet zurückzugewinnen. Während dies in Kambodscha und Laos glatt verlief, ergab sich in Vietnam eine dramatische Wendung: Der Viêt Minh, der 1941 aus der Vereinigung der Kommunistischen Partei Indochinas mit nationalistischen vietnamesischen Bewegungen entstanden war, schuf unter Führung von Hô Chi Minh die Grundlagen für eine Widerstandsbewegung. Nach der Niederlage von Dien Bien Phu zog Frankreich sich 1954 endgültig aus Indochina zurück und hinterließ ein in zwei Teile zerschnittenes Vietnam: Der Landesteil nördlich des 17. Breitengrads wurde von den Kommunisten kontrolliert, die Regierung im südlichen Teil von den USA gestützt.

Anders als im Friedensabkommen vorgesehen, wurde die Grenze geschlossen. Die Regierung Südvietnams verhinderte 1956 die vereinbarten Wahlen im ganzen Land. Die Kämpfe zwischen der Regierung des Südens und den Kommunisten führten zum offenen militärischen Eingreifen der USA 1964 und zum zweiten Vietnamkrieg. Er endete mit der Niederlage der USA 1975 und führte zur Entstehung kommunistischer Regime in Vietnam, Laos und Kambodscha. Das Regime der Roten Khmer in Kambodscha, das von China unterstützt wurde, brachte einem Fünftel der kambodschanischen Bevölkerung – 1,7 Millionen Menschen – den Tod, bis es vom militärischen Eingreifen Vietnams 1979 beendete wurde. Das Ende des Kalten Krieges, der Rückzug der vietnamesischen Truppen aus Kambodscha 1989 und die Reformpolitik (Doi Moi, wirtschaftliche Erneuerung) ab 1986 erlaubten eine zunehmende Normalisierung der Lage auf der indochinesischen Halbinsel; alle drei Staaten begannen Verhandlungen für den Beitritt zum Verband südostasiatischer Staaten (ASEAN). Die ASEAN war 1967 in der thailändischen Hauptstadt Bangkok mit der Absicht gegründet worden, die drei Staaten Indochinas zu isolieren und zu verhindern, dass sich der Kommunismus in der Region weiter ausbreitet.

Seit rund 15 Jahren verzeichnen Laos und mehr noch Vietnam eine Reihe von Erfolgen bei der Armutsminderung, ohne dass beide Staaten sich in dieser Zeit um echte politische Reformen bemüht hätten. Von allen drei Ländern hat einzig Kambodscha den Kommunismus aufgegeben und eine konstitutionelle Monarchie eingeführt. Die Staaten des früheren Indochina wirken aber mit ihrer bemerkenswerten politischen Stabilität und dem schnellen wirtschaftlichen Fortschritt stabilisierend in einer dynamischen Region, die sich in einem oft labilen Gleichgewicht befindet.

In Kambodscha macht sich der Einfluss Chinas von Tag zu Tag stärker bemerkbar. Dagegen sind Laos und Vietnam um eine gewisse Distanz zu ihrem großen Nachbarn bemüht, indem sie den Austausch mit anderen ASEAN-Mitgliedern und Industriestaaten weltweit verstärken. Vietnam ist zum bevorzugten Partner der Entwicklungszusammenarbeit Südkoreas geworden. Ebenso wie Frankreich im vergangenen Jahrhundert bemüht sich Südkorea, über Vietnam die Beziehungen zu den anderen Staaten der Halbinsel zu verstärken, besonders zu Kambodscha und Laos. Laut Kim Dohoon, dem Direktor der Forschungsgruppe zu öff entlicher Entwicklungshilfe im Koreanischen Institut für Industrie-Ökonomie und Handel, „bekommen ausländische Unternehmen mehr und mehr Schwierigkeiten in China. Sie versuchen, einen Teil ihrer Produktion zu verlagern, und Vietnam ist eine gute Alternative, zumal das Land ein geeignetes Einfallstor zum Rest Südostasiens ist.“

Die regionale Zusammenarbeit gehört zu den erklärten Prioritäten der Regierung Vietnams. Das Land exportiert 60 Prozent seiner Güter in andere Länder Südostasiens. Von dort wird ein guter Teil weiter in die Europäische Union oder die USA exportiert. Letztere interessieren sich ebenfalls immer mehr für Vietnam: Die USA sind dort mittlerweile der sechstgrößte ausländische Investor. Manche vietnamesische Amtsträger gehen so weit, von einem neuen „gemeinschaftlichen Geist“ zwischen den beiden Staaten zu sprechen.

Das ist natürlich nicht nach dem Geschmack des pro-chinesischen Lagers im Land, das den eigenen Einfluss in den vergangenen Jahren schwinden sah. Der Direktor des Forschungsinstituts für das zeitgenössische Südostasien (IRASEC) in Bangkok, Benoît de Tréglodé, erklärt: „Die Nähe der Regime in China und Vietnam und die starken kulturellen Bindungen zwischen beiden Völkern sind auf der vietnamesischen Seite immer von einem Gefühl der Angst begleitet worden, die sich aus dem Machtzuwachs des riesigen Nachbarn ergab. Eine politische Tradition in Vietnam ist, alles gegen China zu tun, ohne das je zu zeigen.“

Da sich die Beziehungen zu China verschlechtern, treten auch die Streitobjekte im Meer wieder in den Vordergrund: Die Spratly-Inseln und die Paracel-Inseln beanspruchen Vietnam, China, Taiwan, die Philippinen, Malaysia und Brunei allesamt für sich. Die Inselchen sind wegen ihrer Lage von strategischer Bedeutung, besonders für die Seehandelswege nach Taiwan, Japan und Südkorea. Darüber hinaus sind sie für Vietnam als Fischgründe und wegen möglicher Erdöl- und Erdgasvorkommen wichtig. Der Streit über die Paracel-Inseln, die nahe an der chinesischen Insel Hainan liegen und von China 1974 annektiert worden sind, vergiften regelmäßig die bilateralen Beziehungen. Vietnams Küste ist wieder strategisch wichtiger geworden, und das nicht nur, weil vier Fünftel seines Handels über den Seeweg abgewickelt werden. China hat 2008 bekannt gegeben, auf Hainan eine Basis für Atom-U-Boote zu errichten und in der autonomen Region Guanxi in Südchina, nahe der Grenzstadt Mong Cai, ein Atomkraftwerk zu bauen, von dem im Fall eines Unfalls Gefahr für Vietnams Hauptstadt ausginge. Vietnam tut sich schwer damit, das zu akzeptieren. Die Zwischenfälle an der Grenze haben zugenommen, so dass Peking und Hanoi 2009 ein rotes Telefon für Notfälle eingerichtet haben. Seit die chinesische Marine im April 2009 einseitig ein Fischfangverbot in einer Zone nahe der Paracel-Inseln verhängt hat, durchsucht sie zunehmend vietnamesische Fischerboote.

Während Vietnam Zeichen des Widerstands gegen die zunehmende Macht Chinas in der Region zeigt, neigen Kambodscha und mehr noch Laos zu Kompromissen mit China. Laos stand in seiner ganzen Geschichte unter dem Schutz oder der Herrschaft von Großmächten, die darum konkurrierten, das Land auszubeuten. Das große und an Naturschätzen reiche Gebiet war relativ dünn besiedelt, ohne starken Staat und eine Art Puffer zwischen anderen Mächten. Heute kann seine Lage ähnlich beschrieben werden: Zwischen einem vergessenen Land und einem reichen Stück Erde, das von den Regionalmächten China, Vietnam und Thailand umzingelt ist.

Vietnam ist historisch im Vorteil, weil die Gründung der Kommunistischen Partei Indochinas 1930 die kommunistischen Parteien aus Vietnam, Kambodscha und Laos zusammengeführt hat. Diese besondere Verbindung wurde in einem dreißig Jahre dauernden Krieg gegen Frankreich und die USA gefestigt. Sie wurde dann im Krieg zwischen Vietnam und Kambodscha 1979 bestätigt, in dem Laos gezwungen war, seine diplomatischen Beziehungen zu China bis 1986 einzufrieren.

Laos weitete seine wirtschaftlichen und diplomatischen Beziehungen zu China erst aus, als im November 1992 Kaysone Phomvihane gestorben war – der Präsident von Laos, Generalsekretär der Laotischen Volkspartei und ein langjähriger Verbündeter Vietnams. Seitdem nimmt der Einfluss Chinas in Laos zu. Infolge eines offiziellen Besuchs des chinesischen Präsidenten Jiang Zemin im November 2000 in Laos – dem ersten offiziellen Besuch eines chinesischen Staatschefs überhaupt – erließ Peking Laos Schulden in Höhe von 1,7 Milliarden US-Dollar und stabilisierte damit die laotische Währung, den Kip, der in der Asienkrise zwischen 1997 und 1999 rund 87 Prozent seines Wertes verloren hatte. So wurde Laos zu einem Planeten im chinesischen Orbit. Seit 2007 ist die Volksrepublik der größte ausländische Investor in Laos.

Chinas Interesse ist vor allem wirtschaftlicher Natur. Laos kann einen Teil der für Chinas Wachstum unerlässlichen natürlichen Rohstoffe liefern und als Einfallstor für andere südostasiatische Märkte dienen. Entsprechend investiert China vor allem in Wasserkraft, Bergbau (Gold, Zinn, Eisen, Kalium, Bauxit) und die Landwirtschaft. Peking verfolgt eine langfristige Strategie der „weichen Macht“, mit der es die laotische Elite für sich gewinnen will, die noch enge Verbindungen zu Vietnam hat. Dazu finanziert China beispielsweise in Laos den Bau eines neuen nationalen Kulturzentrums und restauriert den Triumphbogen in der Hauptstadt Vientiane. Peking sucht auch seinen Einfluss auf die nächste Generation der laotischen Elite zu verstärken, indem es Studenten und junge Parteikader ermutigt, sich in China ausbilden zu lassen. In dem Maße, wie die Veteranen der laotischen Revolution nach und nach von der politischen Bühne verschwinden, kann sich also die Waage auf die Seite Pekings neigen.

Das zwingt Vietnam, seine Strategie zu überdenken, um den eigenen Einfluss in Laos zu wahren. Laos ist das wichtigste Zielland vietnamesischer Auslandsinvestitionen. Vietnam investiert vor allem in Wasserkraft, Bergbau, Kautschukpflanzungen, Holzverarbeitung und in den Textilsektor. Seit 2010 scheint Laos von neuem bemüht, die Beziehungen zu Vietnam zu verbessern – es will in diesem Spiel die Konkurrenz zwischen China und Vietnam für seine Zwecke nutzen.

Der dritte wichtige Investor in Laos ist Thailand, dessen regionaler Einfluss aber seit dem Militärputsch vom September 2006 schwächer geworden ist. Das Königreich durchlebt eine tiefe Identitätskrise, zusätzlich belastet von der heiklen Frage der bevorstehenden Nachfolge des Königs. So scheint Thailand derzeit nicht mehr in der Lage, politische Impulse für die Region zu geben. Dieser Bedeutungsverlust ist zweifellos in Kambodscha am deutlichsten sichtbar: Der Grenzkonflikt um einen von beiden Ländern beanspruchten Tempel, den Thailands ultranationalistische Royalisten neu angefacht haben, hat die Spannungen erhöht und die Abgrenzung von Thailand beschleunigt.

Den meisten Nutzen daraus hat Vietnam. Im Juni 2009 haben die Premierminister von Vietnam und Kambodscha, Nguyen Tan Dung und Hun Sen, in Ho-Chi-Minh-Stadt ein Abkommen und Verträge über Investitionen im Rahmen der bilateralen Zusammenarbeit unterzeichnet. Vietnam ist heute einer der drei wichtigsten Investoren in Kambodscha und hat versprochen, sich vor allem im Energiesektor, in der Nahrungs- und Düngemittelproduktion, beim Anbau von Kautschukbäumen und im Abbau von Bauxit in den Minen der Provinz Mondulkiri zu engagieren. Vietnams Banken sind in Kambodscha bereits gut verankert.

Währenddessen schläft China nicht. Seit 2009 ist es zum größten Geber Kambodschas aufgestiegen und hat damit die EU und Japan hinter sich gelassen. Chinas Engagement in Kambodscha wird von der Regierung dort umso mehr begrüßt, als China im Gegensatz zum Westen für Hilfsgelder keine Zugeständnisse wie den Schutz der Menschenrechte verlangt. Ebenso wie Laos strebt Kambodscha ein Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Regionalmächten an und sucht auch Südkorea zu beschwichtigen, das zu seinem wichtigsten Handelspartner geworden ist.

Vietnam, Laos und Kambodscha werden in den kommenden Jahren davon profitieren, dass China für die Produktionsverlagerung weniger attraktiv wird: immer mehr Unternehmen werden in den drei Ländern einen neuen Standort suchen. Die Frage wird sein, ob es diesen gelingen wird, solche Investitionen zu nutzen, um ihre Infrastruktur zu verbessern und ihre Volkswirtschaften nachhaltig zu entwickeln. Das starke Wirtschaftswachstum in allen drei Staaten veranlasst bisher ihre Regierungen, notwendige politische, wirtschaftliche und soziale Reformen auf später zu verschieben. Das könnte das langfristige Wachstum aufs Spiel setzen.

Die Staaten zögern noch, welchen Weg sie einschlagen sollen, ohne nationalistische Reflexe oder das Streben zum Rückzug auf sich selbst zu riskieren. Da ihre Binnenmärkte schwach sind und die Wirtschaftsstrukturen sich wenig ergänzen, ist der Austausch untereinander gering; das macht die drei Länder zunehmend abhängig von Exporten in die USA, nach China, in die EU, nach Japan und nach Südkorea. Das alte Indochina ist heute mehr denn je eine Schnittstelle zwischen den großen Mächten und versucht, diese auszubalancieren.

Aus dem Französischen von Felix Ehring.

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