Solidarität – eine Fastnachtsposse?

Der hartnäckige Einsatz der Schweizer Hilfswerke hat sich gelohnt: Die Schweiz will die öffentliche Entwicklungshilfe bis 2015 auf 0,5 Prozent des Bruttonationalprodukts aufstocken. Das ist ein Grund zur Freude. Doch die politische Diskussion, in der eine grenzüberschreitende Solidarität gänzlich in Frage gestellt wurde, stimmt nachdenklich.

Ich liebe die Wahlkampfzeit! Wissen Sie warum? Weil ich mich dann wie in der Fastnachtszeit fühle. Es ist schön, Masken zu tragen und anderen etwas vorzumachen. Der Politkarneval erinnert mich immer wieder an solche Szenen: lustig, lächerlich und oft auch bedenklich. Es gewinnt, wer auffällt, möglichst schräg und provokativ. Jede Partei beansprucht, die eine Lösung zu bieten – glasklar und ganz einfach. Längst habe ich mich an die Parolen gewöhnt, die in der Realität keinen Bestand haben.

Autor

Antonio Hautle

ist Direktor des katholischen Hilfswerks Fastenopfer in Luzern.

Ein Werbeinserat der Schweizerischen Volkspartei (SVP) ist mir besonders aufgefallen. Da steht: „Sie (gemeint sind die linken und die „netten“ Parteien) wollen über 16,5 Milliarden in den IWF einzahlen, zur Rettung bankrotter EU-Staaten.“ Mir ist neu, dass die Schweiz die EU subventioniert – und sei es über den IWF. Bisher hat sie jedenfalls alle Kredite an den IWF zurück erhalten und von der Weltwirtschaft kräftig profitiert. Doch man lernt nie aus! Dass die Mechanismen des IWF etwas komplizierter sind (und auch bei mir nicht nur auf Zustimmung stoßen), hat natürlich in den politischen Kurzbotschaften keinen Platz.

In einem weiteren SVP-Inserat steht ein Satz, der mich aufhorchen lässt: „Sie (die „Linken“ und die „Netten“) wollen die Entwicklungshilfe um 640 Millionen auf über 2,5 Milliarden aufstocken.“ Er ist inzwischen aus den SVP-Inseraten verschwunden, denn Ende Februar ist endlich nach mehrfachem Hin und Her der Entscheid zur Erhöhung der Entwicklungshilfe auf 0,5 Prozent des Sozialprodukts gefasst worden. Knochenhartes Lobbying der zivilgesellschaftlichen Organisationen, Parteien und Kirchen waren dazu nötig.

Als Direktor des Fastenopfers bin ich definitiv nicht für die Maskierung in der Fastnachtszeit, sondern für die Demaskierung in der Fastenzeit zuständig – auch wenn ich mich gerne im Luzerner Fastnachtstreiben mitreißen lasse. Widerspruch und sachliche Aufklärung tun deshalb Not. Ein Land wie die Schweiz mit einem der höchsten Pro-Kopf-Einkommen der Welt kann und darf sich nicht aus der internationalen Solidarität ausklinken. Wenn gewisse politische Gruppen die „Schweizer Werte“ in egomanen Eigennutz ummünzen – im Sinne „schweizerisch ist nur, was unseren Reichtum und Wohlstand wahrt und alles so belässt, wie es im 20. Jahrhundert war“ –, dann ist im Namen der Humanität und des universellen Gemeinwohls deutlicher und lauter Widerspruch angezeigt. Ich will eine Schweiz, die ihre Rolle als verantwortliche Nation wahrnimmt – wohl unter Wahrung der politischen Neutralität. Zu wünschen ist gleichzeitig, dass auch unsere Wirtschaftspolitik „neutraler“ wird und nicht zum Beispiel in bilateralen Handelsabkommen die Länder bevorzugt, die unseren Wirtschaftsinteressen dienen, und dabei die Einforderung der Menschenrechte vergisst.

Die erwähnten Politkampagnen sind zum Glück eher dem Politkarneval als der politischen Realität zuzuordnen. Bis zu den Wahlen werde ich sie noch ertragen müssen. Nachdenklich macht mich aber die veränderte Diskussion über die Begründung der Entwicklungszusammenarbeit. Da scheinen solche Parolen durchaus Wirkung zu zeigen. Selbst im Außendepartement und in der Entwicklungsagentur DEZA gibt es Stimmen, die uns Hilfswerken nahegelegen, auf den „Solidaritätszusammenhang“ zu verzichten, weil das politisch nicht mehr zu verkaufen sei. Effizient und effektiv muss die Hilfe sein und dem ökonomischen Vokabular entsprechen, das als alleiniger Maßstab unserer Zukunft gilt? Wo bleibt da die Idee der Gerechtigkeit?

Die Ökonomie müsse dem Menschen dienen, das universelle Gemeinwohl sei der Maßstab des politischen und ökonomischen Handelns und jeder Mensch habe Anspruch auf ein menschenwürdiges Dasein. Das sagen nicht linke Parteien, sondern die christliche Soziallehre. Das mag unpopulär sein, vielleicht auch ineffizient – aber es ist menschlich und macht mich dankbar. Glücklicherweise muss ich nicht für eine Partei kandidieren. Das gibt mir die Narrenfreiheit, am „Güdisdienstag“, dem Tag vor Aschermittwoch, und in der ganzen Fastenzeit demaskierende Geschichten zu erzählen. Eine lautet: Solidarität und Gerechtigkeit sind definitiv keine Fastnachtspossen, sondern ein Fundament unserer gemeinsamen Zukunft!

 

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