Bis vor kurzem war es um die Ökumene am Nil nicht gut bestellt. Vor allem die koptisch-orthodoxe Kirche hatte signalisiert, dass sie auf eine Zusammenarbeit mit den kleineren Kirchen nicht angewiesen sei. Mit rund neun Millionen Mitgliedern ist sie die größte Kirche in Ägypten und im ganzen Nahen Osten. Außerdem schöpft sie Selbstbewusstsein aus ihrer langen Tradition, und das ließ mancher koptischer Kirchenvertreter die Kollegen der wesentlich jüngeren Kirchen noch bis vor kurzem gerne spüren. Theologische und dogmatische Unterschiede haben das Verhältnis zwischen den Kirchen in den vergangenen Jahrzehnten ebenfalls belastet. So erkennt die koptisch-orthodoxe Kirche nach wie vor die evangelische Taufe nicht an.
An der Basis wird die Ökumene schon praktiziert
Seit einiger Zeit herrscht aber offensichtlich Tauwetter. Erste Ideen für einen nationalen Kirchenrat wurden im November 2011 am Rande der Vollversammlung des Middle East Council of Churches (MECC) auf Zypern diskutiert. Der Wahlsieg der Muslimbrüder im vergangenen Sommer machte in den Augen vieler Christen die ökumenische Zusammenarbeit unabdingbar. Mitte Februar haben sich Vertreter aller Kirchen zur konstituierenden Sitzung des Ägyptischen Kirchenrats in Kairo zusammengefunden. In der Anfangszeit wird der koptisch-orthodoxe Patriarch Tawadros II. den Vorsitz haben. Geplant ist, dass die Präsidentschaft unter den Konfessionen rotieren soll.
Der Kirchenrat soll künftig eine gemeinsame Position der ägyptischen Christen vertreten. „Es geht um Themen, die alle Christen in Ägypten betreffen wie die neue Verfassung, Gesetze oder das Personenstandrecht“, sagt der koptische Jurist Naguib Gabriel. Ferner könne etwa der Umgang mit Abtreibungen im Kirchenrat diskutiert werden. Das Gremium will außerdem die Ökumene an der Basis in den Blick nehmen. Schon jetzt finden ökumenische Gebete und Bibelarbeiten statt. Regionale Komitees laden zu Vorträgen und gemeinsamen Diskussionen über die politische Situation in Ägypten ein. „Unter den Christen gibt es ein ungemein großes Bedürfnis, sich auszutauschen“, sagt Tharwat Kades, Referent für Ökumene und interreligiösen Dialog bei der Evangelisch-Presbyterianischen Kirche von Ägypten, der größten der insgesamt 17 protestantischen Denominationen am Nil.
Keine Konkurrenz zum Kirchenrat des Mittleren Ostens
Der arabische Frühling und die neue Regierung dürften nicht die einzigen Gründe für das Zusammenrücken der verschiedenen Konfessionen in Ägypten sein. In der koptisch-orthodoxen Kirche hat sich offensichtlich viel verändert, seit im vergangenen November ein neuer Patriarch gewählt wurde. Tawadros II. soll wesentlich ökumenischer gesinnt sein als sein Vorgänger Schenuda III. An den Schlüsselstellen in der Kirchenhierarchie wurden Hardliner durch offenere Kollegen ausgetauscht. Tawadros II. wird hoch angerechnet, dass er im Dezember 2012 einen Weihnachtsempfang für die Kirchen gegeben hat, die das Fest nach dem gregorianischen Kalender feiern und sich nicht wie die Kopten am Julianischen Kalender orientieren.
Beim Middle East Council of Churches stoßen die ökumenischen Bestrebungen auf positive Reaktionen – obwohl unter seinen Mitgliedern ein stillschweigendes Abkommen besteht, auf nationale Kirchenräte zu verzichten und die gemeinsamen Kräfte im MECC zu bündeln. „Angesichts der Situation in Ägypten ist die Initiative der ägyptischen Kirchen sehr zu begrüßen“, sagt Habib Badr, Leitender Pfarrer der Nationalen Evangelischen Kirchen in Beirut. Und bei den Ägyptern ist man sehr darauf bedacht, nicht als Konkurrenz oder Alternative zum MECC zu erscheinen. „Sowohl im organisatorischen Aufbau als auch bei den Inhalten ist der MECC für den neuen Kirchenrat ein Vorbild“, sagt Ökumene-Referent Kades.
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