Ein Fahrplan für die Zeit nach 2015

Die Zeit der Millenniumsziele geht zu Ende, 2015 soll an ihre Stelle eine neue Agenda treten: Die globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung sollen breiter angelegt sein und Fragen des Umweltschutzes und der sozialen Gerechtigkeit stärker einbeziehen. Sowohl die Politik als auch die Zivilgesellschaft suchen noch nach einer Position.

„Das Bewusstsein, dass wir zum Leben nur diesen einen Planeten haben, muss zu einer neuen Kultur werden“, sagte Horst Köhler unlängst bei einer Diskussionsrunde der KfW-Entwicklungsbank in Berlin. Der frühere Bundespräsident sitzt für Deutschland im hochrangigen UN-Gremium, das bis Mai Empfehlungen für globale Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsziele für die Zeit nach 2015 vorlegen will. Seit dem Jahr 2000, als die UN-Millenniumsziele (MDG) vereinbart wurden, haben sich die Klima- und Umweltprobleme verschärft, die Schere zwischen Arm und Reich geht weltweit auf, Frieden und menschliche Sicherheit sind zerbrechliche, vielfach verletzte Güter.

Die Zeit traditioneller Entwicklungshilfe, für die die Millenniumsziele standen, sei vorbei, sagt Dirk Messner vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE). Wie Horst Köhler will Messner die alten Ziele zu einer umfassenden Nachhaltigkeitsagenda fortentwickelt sehen, die nicht mehr allein auf unmittelbare Armutsbekämpfung fokussiert ist, sondern ökologische Nachhaltigkeit, Ungleichheit, Menschenrechte, gute Regierungsführung und Ernährungssicherheit umfasst.

Allerdings werden zumindest auf der Arbeitsebene bei den UN die beiden Debatten über eine Fortentwicklung der Millenniumsziele einerseits und über neue Nachhaltigkeitsziele andererseits noch getrennt voneinander geführt. Derzeit laufen Länder- und Regionalkonsultationen, und im Mai soll ein hochrangiges Beratergremium UN-Generalsekretär Ban Ki-moon Empfehlungen für neue Entwicklungsziele vorlegen.

Ein Post-2015-Gipfel soll ­umfassende Ziele verabschieden

Eine andere Gruppe arbeitet derzeit an Vorschlägen für globale Nachhaltigkeitsziele, wie sie auf der Umweltkonferenz Rio+20 im Juni vergangenen Jahres anvisiert wurden. Ban Ki-moon muss das Kunststück vollbringen, beide Prozesse zusammenzuführen. Im kommenden September befasst sich die UN-Generalversammlung mit den neuen Entwicklungszielen, im Herbst 2014 sollen die beiden Themenstränge zusammengeführt und dann auf einem Post-2015-Gipfel verabschiedet werden.

Wer mitreden will, muss sich jetzt positionieren. Das gilt auch für die deutsche Zivilgesellschaft. „Wie können Umwelt- und Entwicklungsarbeit, Menschenrechts- und Friedensarbeit unter einen Hut gebracht werden?“ fragten sich Ende Januar der Dachverband der entwicklungspolitischen Organisationen Venro, das Forum Umwelt und Entwicklung und das Forum Menschenrechte bei einem Treffen in Berlin. Das Ergebnis: Es gibt Schnittmengen, aber auch große Differenzen. Eine Organisation, die sich für ökologische Nachhaltigkeit stark macht, setzt die Akzente anders als eine, die den Hunger bekämpft. Fundamentale Friedenspositionen kollidieren mit Fragen menschlicher Sicherheit in Gewaltkonflikten, etwa dem militärischen Schutz von Zivilisten. Wer vor allem für mehr soziale Gleichheit und menschenwürdige Arbeit eintritt, wie etwa der DGB, gerät schnell in Konflikt mit der Forderung, wirtschaftliches Wachstum zu bremsen.

Als gemeinsamer Grundkonsens sind bis jetzt nur drei Oberbegriffe ausgemacht: Menschenrechte, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Reicht das für eine gemeinsam ausformulierte Post-2015-Position oder gar einen Forderungskatalog? „Gut, dass das Schubladendenken allmählich überwunden wird“, sagt Klaus Seitz (Brot für die Welt) immerhin hoffnungsvoll. Weitere Verständigungsrunden sind geplant.

Und die Politik? Abgesehen von Papieren, in denen Entwicklungspolitiker von den Grünen und der SPD unlängst für eine breit aufgestellte Post-2015-Agenda plädiert haben (siehe welt-sichten 12/2012-1/2013, S. 66), herrscht weithin noch Funkstille. Ein sehr allgemein gehaltenes Grundsatzpapier der Bundesregierung mit dem Titel „Globalisierung gestalten“ vom Februar 2012 sieht vor, eine „regelbasierte“ globale Ordnungspolitik fördern zu wollen: von Frieden und Sicherheit über Menschenrechtsschutz und Arbeitsstandards bis zu Klimaschutz und Armutsüberwindung.

In der Bundesregierung ist „noch nichts abgestimmt“

Auch das Entwicklungsministerium hält sich noch bedeckt. Man sei dran am Thema, sagt ein Sprecher. Das BMZ befürworte ein neues „Zielsystem“, das sowohl Entwicklungs- als auch Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtige. Federführend zuständig sei das BMZ indessen nur für die Beratungen zur Zukunft der Millenniumsziele. Für die Debatte um weitergehende Nachhaltigkeitsziele teile man sich die Zuständigkeit mit dem Umweltministerium. „In der Bundesregierung ist noch nichts konsolidiert abgestimmt“, sagt dazu Jens Martens vom Global Policy Forum, der die deutschen wie auch die internationalen entwicklungspolitischen Mühlen gut kennt.

Auch in der Europäischen Union wird bis zur UN-Generalversammlung im September emsig geplant, getagt und berichtet: Die EU-Kommission will im Mai ein Positionspapier vorlegen, das die Ergebnisse der Beratungen mit Entwicklungsorganisationen im vorigen Jahr, des im April anstehenden Ministertreffens mit den Ländern Afrikas, der Karibik und der Pazifikregion (AKP) und die Empfehlungen des ebenfalls im April erwarteten Europäischen Entwicklungsberichts aufgreift. Das EU-Parlament und der Ministerrat müssen dann vor der Sommerpause die Marschrichtung der EU-Vertreter für die Verhandlungen bei den Vereinten Nationen vorgeben.

Das EU-Parlament hatte dazu Ende Januar eine Anhörung mit Vertretern der Vereinten Nationen und von Entwicklungsorganisationen. Es herrschte Übereinstimmung, die Millenniumsziele hätten zu Fortschritten in der Armutsbekämpfung beigetragen, indem sie den Fokus der Politik auf die dafür relevanten Felder gelenkt hätten. Vertreter der Vereinten Nationen und von Entwicklungsorganisationen betonten aber auch, es reiche nicht, nach 2015 einfach auf den gleichen Gleisen weiterzufahren.

Das Südwind-Institut in Siegburg, das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik und das Center for European Policy Studies in Brüssel legten dem Parlament anlässlich der Anhörung ein gemeinsames Gutachten vor, das zeigt, wie man aus neuen Entwicklungs- und neuen Nachhaltigkeitszielen ein Paket schnüren könnte. Der Entwicklungsausschuss des Parlaments arbeitet derzeit an einem Bericht, der dieses Ziel hat und im Mai im Plenum verabschiedet werden soll.

Die Hilfsorganisationen kritisierten auf der Anhörung die „Sicht von oben“ in den Millenniumszielen. Die zunehmende Ungleichheit in großen Schwellenländern und in Ländern mit mittlerem Einkommen werde ausgeblendet. Wirtschaftliches Wachstum allein bedeute nicht, dass auch das Wohlbefinden in einer Gesellschaft steige, sagte Tanya Cox von Save the Children. Im Gegenteil: Eine von AllianceSud, dem Netzwerk Schweizer Hilfswerke, erstellte Übersicht zu Fortschritten bei den Millenniumszielen zeigt, dass Wachstum in vielen Ländern die Ausgrenzung von benachteiligten Gruppen verschärft.

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erschienen in Ausgabe 3 / 2013: Neue Geber: Konkurrenz stört das Geschäft
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