Autorin
Anett Keller
berichtet als freie Journalistin aus Indonesien.Die Tageszeitung „Jakarta Post" nannte die Übergriffe „Staatsterror" und verwies darauf, dass sich die Gewalt gegen die Ahmadiyya erst in den letzten Jahren gehäuft hat. Rund 200.000 Anhänger hat die Sekte in Indonesien. Ahmadis verstehen sich als Muslime, sehen aber nicht Mohammed, sondern ihren Gründer Mirza Ghulam Ahmad als den letzten Propheten an. In den Augen konservativer Muslime sind sie deshalb Häretiker. 2005 hatte der Rat der Muslimgelehrten (MUI) in Indonesien ein Rechtsgutachten (Fatwa) erlassen, laut dem die Lehren der Ahmadiyya vom Koran abweichen. Die Regierung wurde aufgefordert, die Sekte zu verbieten. 2008 untersagte die Regierung den Ahmadis die öffentliche Ausübung ihrer Religion.
Kritiker sehen in diesen Schritten eine Einladung an gewaltbereite Islamisten. Das Setara-Institut in Jakarta, das sich für Pluralismus einsetzt, zählte einen Anstieg der Angriffe auf die Ahamdiyah von 3 im Jahr 2006 auf 50 im Jahr 2010. Führende Vertreter eines toleranten Islam verurteilten die Übergriffe und forderten die Regierung auf, die verfassungsmäßigen Rechte für religiöse Minderheiten zu garantieren. „Es gibt eine Tendenz der Behörden, den abweichenden Glauben von Minderheiten für die ihnen angetane Gewalt verantwortlich zu machen", erklärt Dwi Rubiyanti Kholifah, Indonesien-Direktorin des Asian Muslim Action Network (AMAN). Das Setara-Institut forderte den Rücktritt des Religionsministers und einen nationalen Aktionsplan zur Sicherung der Religionsfreiheit.
Doch die Regierung bezieht nach wie vor nicht Stellung. So forderte Präsident Susilo Bambang Yudhoyono nach dem Angriff Anfang Februar zwar die Auflösung radikaler Gruppen. Er appellierte an die zuständigen Ministerien, in einen Dialog mit religiösen Führern, Menschenrechtsgruppen und Vertretern der Ahmadiyya zu treten und gemeinsam eine Lösung zu finden. Doch die Minister sind Teil des Problems: Innenminister Gamawan Fauzi und Religionsminister Suryadarma Ali sind bekannt für ihre feindliche Haltung gegenüber der Ahmadiyya. Der Religionsminister hat wiederholt öffentlich gefordert, sie zu verbieten. Der Innenminister hat in seinem vorherigen Amt als Gouverneur von West-Sumatra Gesetze eingeführt, die auf der Scharia, der islamischen Rechtsprechung, basieren.
Menschenrechtler kritisieren die Verletzung der verfassungsmäßig garantierten Religionsfreiheit, Vertreter des konservativen Islam hingegen sprechen von einem „inner-islamischen" Problem. Dies war die herrschende Lesart, als Ende März der vom Präsidenten geforderte Dialog in Jakarta endlich stattfand - ohne Vertreter der Ahmadiyya. Diese hatten die Einladung abgesagt, da sie die Umstände und die personelle Zusammensetzung als unfair empfanden. Die Ahmadiyya sei nur für eine einzige Diskussionsrunde während des viertägigen Treffens eingeladen gewesen, beklagt Erna Ratnaningsih von der Indonesischen Rechtshilfeorganisation (YLBHI), die die Gemeinschaft vertritt. „Wir wollen einen fairen Dialog, wir wollen einen neutralen Vermittler." Das Religionsministerium schaue nur durch die religiöse Brille auf die Ahmadiyya. „Wir aber wollen einen Dialog über ihre konstitutionellen Rechte", betont Ratnaningsih. „Sie dürfen nicht wegen ihres Glaubens verurteilt werden."
Inzwischen wurde die Ahmadiyya „sicherheitshalber" in 12 Provinzen und Distrikten verboten. Die Opfer zu Tätern zu machen scheint auch die Devise von Generalstaatsanwalt Basrief Arief: „Wenn sie glauben, dass die Ahmadiyya Gewalt hervorruft und die öffentliche Ordnung stört, dann haben regionale Regierungen das Recht, dies zu unterbinden", meint er. Den islamischen Hardlinern scheint derzeit nichts und niemand Einhalt zu gebieten. Die Demokratische Partei von Präsident Yudhoyono verfügt im Parlament lediglich über 26 Prozent der Sitze. Er muss eine Koalition zusammenhalten, die Vertreter des konservativ-islamischen Lagers umfasst. Die Untätigkeit des Präsidenten wirft laut „Jakarta Post" die Frage auf, „ob gewaltbereite Radikale die Unterstützung sehr einflussreicher und korrupter Personen bei Polizei, Militär, politischen Parteien oder anderen Interessensgruppen haben, die Terror einsetzen, um ihre persönlichen oder institutionellen Interessen durchzusetzen".
Führende Menschenrechtsaktivisten haben inzwischen den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen angerufen. Sie bereiten außerdem Klagen gegen die regionalen und lokalen Ahmadiyya-Verbote vor. Sie fordern die indonesische Regierung auf, das Dekret von 2008, das der Ahmadiyya die öffentliche Ausübung ihrer Religion untersagt, zurückzunehmen. „Als das Dekret erlassen wurde, hieß es, es sei nötig, um Gewalt zu verhindern", erklärt Human Rights Watch (HRW), „doch seitdem ist die Gewalt gegen die Ahmadiyya drastisch angestiegen." Der Ahmadiyya die Ausübung ihrer Religion zu verbieten, verstoße gegen den UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte, den Indonesien 2006 ratifiziert hat.
Auch andere religiöse Minderheiten in Indonesien geraten immer mehr ins Visier islamischer Hardliner. Die Zahl der Angriffe auf christliche Kirchen hat in den vergangenen Monaten zugenommen. Kritiker der Radikalen wie der Gründer des Netzwerkes Liberaler Islam, Ulil Abshar Abdallah, wurden mit Briefbomben bedroht. Indonesien, das Land mit der größten muslimischen Bevölkerung der Welt, galt lange als pluralistisches Vorzeigeprojekt. Dieses Image scheint zunehmend bedroht. Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit in der jungen Demokratie sind angebracht. „Es ist toll, dass es nach Jahrzehnten der Unterdrückung durch Diktator Suharto jetzt eine Vielfalt von muslimischen Stimmen gibt", meint die Publizistin Julia Suryakusuma. „Doch wenn eine Stimme, die ,Töten! Töten! Töten!‘ schreit, alle anderen übertönt, dann muss sie gestoppt werden." Die Demokratie in Indonesien habe wie Frankenstein ein Monster geschaffen, das sich nun gegen sie selbst wende. „Nun muss sich die Demokratie verteidigen."
Dass die zahlenmäßig kleine Gruppe gewaltbereiter Islamisten einen solchen Einfluss gewinnen konnte, hat nach Meinung des Politikwissenschaftlers AE Priyono auch mit dem Versagen der moderaten Mehrheitsgesellschaft zu tun. „Wir müssen geschlossener und demokratischer auftreten", unterstreicht er. „Das sind die Hausaufgaben, die wir zu machen haben. Wir müssen unser Land so gestalten, dass es das autoritäre Erbe endlich wirklich überwindet." Ein Rezept hält der Wissenschaftler bereit - allerdings mit Augenzwinkern: „Vielleicht bräuchten wir einen atheistischen Präsidenten und einen atheistischen Religionsminister, um Pluralismus wirklich sichern zu können."
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