Halbherzige Handelsreform

Seit 1971 gewährt die Europäische Union Entwicklungsländern Zollvergünstigungen für die Einfuhr bestimmter Waren. Das Allgemeine Präferenzsystem (APS) hat jedoch als Folge der Handelsliberalisierung in den vergangenen Jahren zunehmend an Bedeutung verloren. Deshalb will Brüssel es jetzt überarbeiten. Doch die EU-Kommission verpasst die Gelegenheit, aus dem APS ein wirksames entwicklungspolitisches Instrument zu machen, kritisieren NGOs.
Formal begünstigt das APS 176 Länder, wobei darin die 78 AKP-Länder enthalten sind, die ohnehin weitgehende Zollfreiheit genießen, sowie die 50 ärmsten Entwicklungsländer, die ebenfalls im Rahmen der „Everything but Arms“-Initiative zollfreien Zugang zum EU-Markt haben. 2005 verfeinerte die EU das Präferenz-System, indem sie solchen Ländern eine zusätzliche Ermäßigung gewährte, die insgesamt 27 internationale Konventionen zu Menschenrechten, Arbeitsbedingungen und Umweltvorgaben anerkennen, wie zum Beispiel das ILO-Verbot der Kinderarbeit.

Autor

Heimo Claasen

ist freier Journalist in Brüssel und ständiger Mitarbeiter von "welt-sichten".

Doch seit der Einrichtung der Welthandelsorganisation WTO hat das APS zunehmend an Bedeutung verloren, da als Folge der Handelsliberalisierung mittlerweile für eine ganze Reihe von Waren aus Entwicklungsländern von den WTO-Mitgliedern keine Zölle mehr erhoben werden. Höchste Zeit also, das Präferenzsystem umzugestalten, um seine entwicklungspolitische Wirksamkeit zu erhalten. Die im Mai von der EU-Kommission präsentierte Vorlage sieht zum einen vor, die Zahl der begünstigten Länder von 176 auf „etwa 80“ zu senken; Länder mit mittlerem Einkommen sollen herausfallen. Zum anderen soll das APS auf weniger Warengruppen beschränkt werden, wobei vor allem die Produkte gestrichen werden, für die gemäß WTO-Vereinbarungen ohnehin keine Zölle mehr erhoben werden.

Länder mit Exportverboten erhalten keine Vergünstigungen

Zudem soll der Grenzwert für die zollfreie Einfuhr bestimmter Produkte eines Landes in die EU leicht erhöht werden: Übersteigt der Anteil eines Landes an den Einfuhren einer bestimmten Warengruppe aus allen APS-Ländern 17,5 Prozent, werden für darüber hinaus gehende Importe die Ermäßigungen gestrichen. Bislang lag der Schwellenwert bei 15 Prozent (für Textilien und Bekleidung sollen künftig 14 Prozent statt 12,5 Prozent gelten). Begründet wird diese Beschränkung damit, dass bei einem so hohen Marktanteil Zollnachlässe nicht mehr nötig sind. Die Kommission will außerdem solche Länder vom APS ausschließen, die ihrerseits Exportverbote für bestimmte Produkte verhängen. Das erscheint wie eine Reaktion auf Ausfuhrverbote für Nahrungsmittel einiger Länder während der jüngsten Preiskrise, die die EU scharf kritisiert hat. Tatsächlich aber dürfte es Brüssel mit dieser Klausel vor allem um den Zugang zu wichtigen Rohstoffen gehen.

Insgesamt werden die Veränderungen dazu führen, dass Schwellenländer die EU-Handelspräferenzen deutlich weniger stark beanspruchen können als bisher. Das ist ganz im Sinne des Unternehmerverbands Business Europe, der zuletzt wenig Verständnis dafür gezeigt hatte, dass Länder wie Brasilien, Indien und Russland weiter Vergünstigungen erhalten. Zum anderen werden auch die neuen APS-Regeln nichts an dem grundsätzlichen Problem ändern, dass Handelspräferenzen in der Vergangenheit wenig zur Diversifizierung der Exportpalette der begünstigten Entwicklungsländer beigetragen haben und diese in der Rolle der Rohstofflieferanten bleiben.

Um das zu ändern, müsste Brüssel beispielsweise die so genannten Ursprungsregeln für Exporte in die EU lockern, fordern zivilgesellschaftliche Organisation. Derzeit müssen alle Vorprodukte einer Exportware aus dem Ausfuhrland kommen. Das behindert die grenzüberschreitende Weiterverarbeitung von Rohstoffen ebenso wie die arbeitsteilige regionale Zusammenarbeit. Doch eine Revision der Ursprungsklauseln käme derzeit nicht in Betracht, ließ die Kommission unlängst wissen.

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erschienen in Ausgabe 7 / 2011: Entwicklungsdienst: Wer hilft wem?
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