Human Rights Watch
Justice Compromised
The Legacy of Rwanda’s Community-Based Gacaca Courts
Mai 2011, 150 Seiten,
www.hrw.org/en/reports/2011/05/31/justice-com-promised
Traditionelle Dorfgerichte, die sogenannten Gacacas, sollten in Ruanda zur Aufklärung des Völkermordes von 1994 beitragen und die Versöhnung in der Gesellschaft voranbringen. Ein Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch stellt ihnen nun ein schlechtes Zeugnis aus. Die Bürgertribunale hätten eine Reihe von Fehlurteilen gefällt, heißt es darin. Die Autoren haben 350 Fälle untersucht und dafür mehr als 2000 Tage an Prozessen teilgenommen. Sie stellten zahlreiche Verstöße gegen Standards fairer Gerichtsverfahren fest.
Angeklagte hätten sich nicht ausreichend verteidigen können, heißt es in dem Bericht. Viele Richter seien nicht gut ausgebildet und korrupt. Zeugen seien eingeschüchtert worden und hätten es nicht gewagt, zugunsten mutmaßlicher Täter auszusagen. Einige Fälle seien von der ruandischen Regierung offenbar dazu benutzt worden, missliebige Kritiker zum Schweigen zu bringen. Ruandas Präsident Paul Kagame hatte die Dorfgerichte 2001 eingerichtet, um die Justiz bei der Aufklärung von Verbrechen während des Völkermordes zu unterstützen. Seit 2005 haben 12.000 solche Bürgertribunale mehr als 1,2 Millionen Fälle verhandelt.
Ausgeschlossen von den Gacaca-Verfahren waren Kriegsverbrechen von Soldaten der seit dem Ende des Genozids regierenden Tutsi-Partei Patriotische Front (RPF). Sie hatten zwischen April und Dezember 1994 zehntausende Menschen getötet. Die Entscheidung, diese Verbrechen von der traditionellen Gerichtsbarkeit auszuschließen, habe deren Beitrag zur Versöhnung zwischen der Bevölkerungsmehrheit der Hutu und der Tutsi-Minderheit stark vermindert, kritisiert Human Rights Watch.
Auch der Beschluss, die Verfolgung von Vergewaltigungen während des Völkermordes an die Gacaca-Gerichte zu übertragen, stößt bei den Menschenrechtlern auf Kritik. In konventionellen Prozessen werde die Privatsphäre der Opfer stärker respektiert. Die Verhandlungen vor einem Dorfgericht hingegen finde vor der gesamten Gemeinschaft statt. Die Gacaca-Gerichte sollen Ende dieses Jahres ihre Arbeit beenden. Human Rights Watch fordert Ruandas Regierung angesichts der neuen Erkenntnisse dazu auf, mutmaßliche Fehlurteile von der offiziellen Justiz überprüfen zu lassen.
In ihrem Bericht erkennen die Menschenrechtler aber auch den Nutzen der Dorfgerichte an: Sie hätten den Menschen geholfen, besser zu verstehen, was während des Völkermordes geschah und wie es dazu kommen konnte. So entsteht ein kritisches, aber differenziertes Bild vom Versuch, das dunkelste Kapitel in Ruandas jüngster Vergangenheit aufzuarbeiten. Bei dem Genozid hatten radikale Hutu-Milizen mehr als 800.000 Menschen, vor allem Tutsi und moderate Hutu, umgebracht.
(gka)
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