Autorin
Anja Ruf
ist freie Journalistin in Frankfurt am Main.Solche Zeugnisse gewaltsamer Entladung des Volkszorns werden versteckt gehalten. Denn der Stolz auf die Revolution ist gepaart mit dem Bemühen, die Zerstörungen vor den Touristen zu verbergen. Der Fremdenverkehr ist in dem nordafrikanischen Land ein wichtiger Wirtschaftszweig. Laut offiziellen Angaben liegt sein Anteil am Bruttoinlandsprodukt zwischen 6,5 und 8 Prozent. Schon zwei Wochen nach der Revolution versammelten sich 150 Vertreter der tunesischen Tourismusbranche und der Übergangsregierung, um über Maßnahmen für eine Wiederbelebung zu diskutieren.
Zu diesem Zeitpunkt war laut dem Online-Informationsportal für das Hotelgewerbe in Tunesien, DestinationTunisie, „die Revolutionseuphorie bereits verflogen“ und die Angst vor den Folgen dominierte. Die Teilnehmer des Treffens waren sich einig, dass die Meinung in Europa, „die Psychologie der Konsumenten“, positiv beeinflusst werden müsse. Und so hat die tunesische Regierung schon einen Monat nach der Evakuierung von Urlaubern versucht, die Devisenbringer zurückzuholen.
Zu der schnell gestrickten Kampagne in mehreren europäischen Ländern gehörte eine Plakataktion in Frankreich: „Tunisie, enfin libre de bronzer!“ Der Slogan lehnte sich an Freiheitsparolen der Revolution an und sollte darauf hinweisen, dass Sonnenhungrige sich nun in einem freien Tunesien bräunen können. Aber die Franzosen (und nicht nur sie) legten sich lieber anderswo an den Strand. Die Umwälzungen in dem nordafrikanischen Land haben sie mit Angst und Unbehagen erfüllt.
Also wurde im Mai eine weitere Kampagne gestartet. Dieses Mal zeigten die Plakate in Frankreich nicht Sand und Meer, sondern antike Säulen, dazu den Satz: „On raconte que la Tunisie est un champ de ruines“ (Man erzählt, dass Tunesien ein Ruinenfeld sei). Diese Anspielung bezieht sich auf die verbreitete Vorstellung, dass das nordafrikanische Land nach den Revolutionswirren in Trümmern läge. Nun ist Tunesien zwar tatsächlich kein Trümmerhaufen, doch bei der Revolution ist einiges zu Bruch gegangen. Die zerstörten Monumente von Ben Alis Herrschaft sind nicht das Einzige, das dem Blick der Touristen entzogen wird.
Das gilt ebenso für die andauernde Streikwelle im ganzen Land. Sie hat auch den Flughafen Monastir erreicht, den der türkische Betreiber schließen will. Nicht nur das Flughafenpersonal, sondern auch viele Einwohner der Stadt Monastir protestieren gegen die Schließung. Am 29. April, dem Tag des Generalstreiks, halten in der Hotelzone an der Küste außerhalb des Ortes weder Taxis noch Busse. Die Gäste in den Ferienanlagen werden über den Ausstand und dessen Gründe nicht informiert. Die Hotelangestellten sind seit langem darin geübt, Urlauber gegen „störende“ Realitäten abzuschotten. Sie praktizieren es auch jetzt wieder mit Erfolg. Und die Touristen fragen nicht nach.
Geholfen haben die Werbeaktionen bislang nichts. Die tunesische Tourismusindustrie befürchtet eine „katastrophale Sommersaison“. Sie beschäftigt nach Angaben der Fédération nationale de l’hôtellerie direkt und indirekt rund zwei Millionen Menschen. Nur wie lange noch? Für diesen Sommer sind die Buchungen um 50 bis 60 Prozent zurückgegangen. Die leere Schalterhalle des neu erbauten, rund 50 Kilometer von Monastir entfernten Enfidha-Hammamet International Airport, der als architektonisches Wunder aus Glas und Beton gepriesen wird, wirkt gespenstisch. Die Träger vor dem Eingang warten vergeblich auf Kundschaft.
Nicht nur die Europäer, sondern auch die Algerier bleiben weg, und die Libyer kommen als Flüchtlinge. Beim G8-Gipfel in Deauville hat Premierminister Béji Caïd Essebsi seine Forderung nach finanzieller Unterstützung für Tunesien nicht zuletzt mit der „Flaute im Schlüsselsektor Tourismus“ begründet – dort sei kurzfristige Hilfe nötig. In Monastir fordern die lokalen Unternehmen dieses Sektors Kredite, um ihre Angestellten weiter bezahlen zu können. Im benachbarten Sousse haben Anfang Juni 30 von 104 Hotels ihre Pforten geschlossen.
Erst die Revolution, dann die ausbleibenden Touristenströme – das trifft die Menschen in der Region hart. Ein Bekleidungsgeschäft in Sahline in der Nähe von Monastir war wegen der Revolution drei Monate geschlossen. Nun bietet der Inhaber als Kaufanreiz seine ohnehin schon billigen Waren um die Hälfte reduziert an. Straßenhändler „verschenken“ billigsten Tand und erbitten im Gegenzug „ein bisschen Kleingeld“. In den Hotels sind im Verhältnis zur geringen Zahl der Gäste viel zu viele Angestellte tätig. Ihr Gehalt ist niedrig und sie sind auf Trinkgelder angewiesen.
Animateure arbeiten häufig nur gegen Unterkunft und Verpflegung. Die Pferdekutschenbesitzer warten vor den Hotels oft vergeblich auf Kunden; in den Läden der Medinas stapeln sich die Waren, die keine Käufer finden. „Die Revolution hat Gutes, aber auch Schlechtes gebracht. Die Menschen in Tunesien sind schmaler geworden“, meint Ameer Zagoub, der als Führer im Museum für islamische Kunst im Ribat, dem historischen Wehrkloster, in Monastir arbeitet.
Während der ersten drei Monate nach der Revolution war die Sehenswürdigkeit geschlossen und er selbst verdiente kein Geld. Auch seit der Wiedereröffnung finden nur wenige Touristen in das Museum.
Mitten in der Krise des Badetourismus hat Tourismusminister Mehdi Houas Pläne vorgelegt, den Tourismus zu „diversifizieren“: Reisenden möchte er den Alltag im Landesinneren sowie archäologische Stätten, das Kunsthandwerk und die tunesische Kultur näherbringen. Dafür soll die nötige Infrastruktur geschaffen werden. Und auch in manchen Zentren des Badetourismus soll nun das Kunsthandwerk gefördert werden. Ökotouristische Projekte sind für Wald- und Wüstengebiete geplant, auf einer Insel soll eine ökologische Oase für Luxustouristen entstehen. Voraussetzung für das Gelingen all dieser Vorhaben ist aber, dass sich wieder mehr Menschen für einen Urlaub in Tunesien entscheiden. Die großen deutschen Reiseunternehmen rechnen jedoch nicht mit einer raschen Erholung des Tunesien-Geschäfts. Sie haben die Zahl der deutschsprachigen Reiseleiter vor Ort, die Zahl der Flüge und die Hotelkontingente stark verringert.
Alexandra Hüner von TUI sieht in der Demokratisierung immerhin „viel Potenzial“, sie könne „die Strahlkraft Tunesiens erhöhen“. Thomas Cook ist optimistisch, dass die Deutschen Tunesien als Urlaubsland wiederentdecken, möchte aber keine zeitlichen Prognosen abgeben. Das Unternehmen versucht mit Zeitungsanzeigen den Tourismus in das nordafrikanische Land wieder anzukurbeln, auch weil – so Sprecherin Nina Kreke – „wir als Reisekonzern eine Verpflichtung haben, Demokratisierungsprozesse zu unterstützen“. Außerdem könne man neue Kunden gewinnen, indem man die Vielfalt des Landes herausstellt, nicht nur seine Badestrände.
Der Präsident des Deutschen Reiserverbandes, Jürgen Büchy, sagte unlängst in Tunis zu, die Finanzierung von Werbekampagnen für den Tunesien-Tourismus in Deutschland zu unterstützen. In gemeinsamen Workshops sollen Aktionen entwickelt werden, mit denen „die Destination Tunesien in den Augen deutscher Touristen ihren Glanz wiedergewinnt“. Aber das ist Zukunftsmusik. Noch bleiben die Touristen aus. Eine schlüssige Erklärung dafür hat Edwin Doldi, Sicherheitsmanager beim Reiseanbieter Studiosus, nicht. Die Unruhen hätten sich nirgendwo gegen Touristen gerichtet und die Kriminalität in Tunesien werde von den meisten südamerikanischen Ländern „locker getoppt“, sagt er. Trotzdem buchen viele Studiosus-Kunden Brasilien-Reisen. Nach Tunesien möchten nur wenige.
Der Umsturz in Tunesien ist noch nicht Geschichte, die Stabilität lässt auf sich warten. Die Widersprüchlichkeit der Bilder in den westlichen Medien – „tunesischer Frühling“ einerseits, „Chaos und Unruhen“ andererseits – macht es Urlaubern schwer, die Situation dort realistisch einzuschätzen. Welcher Information können sie trauen? Im Internet zum Beispiel wirbt der Freizeitpark in Monastir, der bei den Unruhen in Flammen aufgegangen ist, immer noch ungebrochen mit Kinderglück und Ferienspaß.
Das Auswärtige Amt verstärkt die Verunsicherung, indem es zum Beispiel vor „gewalttätigen Übergriffen auf Touristen“ warnt. Erst wer nachfragt, erfährt, dass damit lediglich eine „leicht gestiegene Kleinkriminalität“ gemeint ist, wie schlimmstenfalls Handtaschenraub. Solche missverständlichen Reisehinweise schaffen ein diffuses Gefühl der Bedrohung. Aber auch reine Imagewerbung, die die Probleme beim Übergang zur Demokratie ausblendet, steuert dem Misstrauen auf dem europäischen Reisemarkt nicht entgegen.
Der Versuch, die „hässlichen“ Seiten der Revolution mittels PR schnell aus dem Bewusstsein der Europäer zu drängen und die Fiktion eines „schönen neuen Tunesien“ zu erzeugen, hat nicht gegriffen. Eine differenziertere Berichterstattung in den Medien hier, aber auch mehr Offenheit in Tunesien selbst über die wahren Verhältnisse im Land könnten dem Tourismus den nötigen Aufschwung verschaffen. Die meisten Urlauber vor Ort begrüßen die Demokratisierung; ihr praktisches Problem sind nicht Sit-Ins und Streiks, sondern Händler, die sie auf Schritt und Tritt bedrängen.
„Le tourisme fait sa revolution“, der Tourismus macht seine Revolution, lautete das Motto einer Reisemesse Ende Mai in Tunis. Was Organisator Afif Kchouk in einem Interview als vordringlichste Ziele nannte, klingt zwar wenig revolutionär: die Beschäftigten im Tourismussektor retten und die Reiseveranstalter davon überzeugen, dass sie weiterhin Tunesienreisen anbieten. Aber vielleicht weist dieser Slogan dennoch in eine richtige Richtung. Denn die gesellschaftlichen Umbrüche, die Herausbildung neuer Strukturen nach dem Sturz eines Despoten könnten spannend sein – möglicherweise mehr als jede archäologische Fundstätte. Die Tourismusindustrie könnte die Veränderungen im Land als Attraktion entdecken und dabei auch sich selbst verändern.
In Monastir beispielsweise soll es um die 300 kulturelle und künstlerische Organisationen (associations) geben, darunter auch neu gegründete – warum die Touristen nicht damit in Berührung bringen, statt ihnen nur bei „Teppichfestivals“ Teppiche andrehen zu wollen? Warum die Realitäten vor Ort und die Umwälzungen in Tunesien nicht zum Thema touristischer Angebote machen? Möglicherweise könnten so neue Jobs in den Ferienzentren entstehen – und eine neue Art der Beziehung zwischen Einheimischen und Touristen.
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