Gegen die Einbahnstraße

Die Vermittlung von Fachleuten in der Entwicklungszusammenarbeit verläuft in der Regel von Nord nach Süd, umgekehrt ist sie die Ausnahme. Dabei ist das Interesse am Süd-Nord-Austausch hoch. Viele Fachleute befürworten den Austausch auf Augenhöhe. Restriktive Ausländergesetze behindern das. Und in Deutschland fehlt die staatliche Unterstützung für Süd-Nord-Programme.

Am Anfang wollen alle den Chef spielen. Aber Romaricson Alognon macht ihnen schnell klar, dass das nicht geht. Das Theaterstück, das er mit dem guten Dutzend von Jugendlichen einüben will, hat viele unterschiedliche Rollen. Es handelt von den ausbeuterischen Arbeitsbedingungen auf Bananenplantagen und den ungerechten Handelsbeziehungen zwischen Nord und Süd. Die jungen Frauen und Männer aus verschiedenen Berufsschulen in Oldenburg sollen selbst erleben, wie es ist, für einen Hungerlohn schuften zu müssen, weil die Bananen in Industrieländern zum Schleuderpreis verkauft werden. Ganz überzeugt sind sie noch nicht, aber allmählich spielen sie sich warm.

Autorin

Gesine Kauffmann

ist Redakteurin bei "welt-sichten".

Der Workshop unter dem Motto „Wen macht die Banane krumm?“ ist Teil einer Projektwoche zum ökofairen Einkauf, die Ende Mai in der Oldenburger Lambertikirche ihren Abschluss findet. „Ich liebe meine Arbeit“, sagt Romaricson Alognon und strahlt. Der 35-Jährige aus Togo ist seit gut einem Jahr beim Ökumenischen Zentrum in Oldenburg als Bildungsreferent angestellt. Heute hatte er allerdings ziemlich Mühe, die Jugendlichen zum Mitmachen zu bewegen, wie er selbstkritisch einräumt. Was hängenbleiben wird, ist schwer zu sagen. Immerhin: Während des Workshops blieben Mobiltelefone und MP3-Player stumm.

Alognon hält Vorträge in Schulen und Kirchengemeinden, organisiert Tagungen und berät Schülerinnen und Schüler, wenn sie ein Referat über Afrika halten sollen. Nebenbei gibt er das ein oder andere Interview zum Klimawandel, ein Thema, über das er auch schon ein Buch geschrieben hat. Mit seiner Arbeit will er für Völkerverständigung werben und den Kindern und Jugendlichen die Angst vor dem Fremden nehmen. „Gerechtigkeit hat für mich einen riesigen Wert“, sagt er. Armut und Benachteiligung kennt er aus seiner Kindheit, die er in Anecho im Südwesten von Togo verbracht hat. Aus eigener Erfahrung könne er den Menschen im reichen Deutschland klar machen, welche schädlichen Auswirkungen ungerechte Handels- und Produktionsbedingungen auf Afrika haben, sagt er selbstbewusst. Das findet auch sein Chef. „Uns ist der Blick aus dem Süden wichtig“, unterstreicht Pfarrer Gerd Pöppelmeier vom Vorstand des Ökumenischen Zentrums.

Mitfinanziert wird Romaricson Alognons Stelle vom Evangelischen Entwicklungsdienst (EED). An dem Programm Ökumenische Dienste in Deutschland nehmen außer ihm noch drei weitere junge Frauen und Männer teil, eine fünfte Stelle ist ausgeschrieben. Es ist eines der wenigen Angebote, mit dem Fachleuten aus dem Süden ein mehrjähriger Arbeitsvertrag im Bereich der entwicklungspolitischen Bildung in Deutschland angeboten wird. Missionswerke wie das Evangelische Missionswerk in Südwestdeutschland und die Vereinte Evangelische Mission (VEM) in Wuppertal fördern ebenfalls die Beschäftigung von Mitarbeitern südlicher Partnerkirchen in Deutschland. Über die VEM sind derzeit vier Frauen und Männer aus Kirchen in Afrika und Asien für insgesamt drei Jahre in Gemeinden, in Ökumenereferaten von deutschen VEM-Mitgliedskirchen oder in Projekten tätig – mit der Option auf Verlängerung um weitere drei Jahre. Das Interesse der deutschen Partner sei groß, erläutert VEM-Sprecher Christoph Wand. Das Programm solle deshalb ausgebaut werden.

In der Regel bleiben die Gäste aus dem Süden, auch bei anderen nichtstaatlichen Organisationen, aber nur einige Wochen oder höchstens Monate. Nur „sehr vereinzelt“ finde ein Austausch vom Süden in Richtung Norden statt, die Mehrzahl der Entsendungen gehe den umgekehrten Weg, bestätigt Hartwig Euler, Geschäftsführer des „Arbeitskreises Lernen und Helfen in Übersee“, in dem sieben Entwicklungsdienste zusammengeschlossen sind. 2009 hätten 131 Freiwilligendienste 9382 Deutsche ins Ausland vermittelt, dagegen kamen lediglich 579 Frauen und Männer aus Afrika, Lateinamerika, Asien und Pazifik in die Bundesrepublik. Immerhin hat sich ihre Zahl im Vergleich zu 2008 um 93 erhöht. Das signalisiert ein wachsendes Interesse bei den Organisationen in Deutschland und bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus dem Süden. Die meisten von ihnen reisen mit einem Touristenvisum ein und dürfen, wie es offiziell heißt, „keiner Erwerbstätigkeit nachgehen“.

Probleme mit Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung nennt Euler denn auch als vorrangige Gründe, dass so wenige Frauen und Männer aus Entwicklungsländern für eine längere, aber begrenzte Zeit in Deutschland etwa in der politischen Bildungsarbeit tätig sind. Hinzu kommt die Finanzierungsfrage – denn staatlich gefördert werden solche Programme nicht. Auch für Romaricson Alognon war es nicht einfach, den Job im Ökumenischen Zentrum zu bekommen. Er hatte zuvor in Bremen studiert und durfte danach ein Jahr lang in Deutschland bleiben, um sich eine Arbeit zu suchen. Trotzdem habe die Bremer Ausländerbehörde Schwierigkeiten gemacht, erzählt er. Sein Aufenthalt sei zunächst einen Monat, dann sechs Monate, schließlich bis zum Ende seines Vertrages genehmigt worden. An diese Zeit der Unsicherheit denkt Alognon nur ungern zurück – schließlich hat er eine Frau und zwei kleine Kinder, für die er sorgen muss.

In der Schweiz behindern ebenfalls restriktive Gesetze einen längeren Aufenthalt von Fachleuten aus Entwicklungs- und Schwellenländern, erklärt der Geschäftsleiter des Dachverbandes der Schweizer Entsendeorganisationen unité, Martin Schreiber. Laut seiner Statistik kamen im vergangenen Jahr bei staatlich geförderten Einsätzen 4 Personen aus dem Süden in die Schweiz, während umgekehrt 197 Schweizer ausreisten. Die meisten Süd-Nord-Einsätze dauerten höchstens drei Monate, erläutert Schreiber. Für diese Zeit sei die Einreise mit einem Touristenvisum möglich. Vor allem evangelische Hilfswerke engagieren sich im Süd-Nord-Austausch. Aber auch die nicht-kirchliche Entwicklungsorganisation „é-changer“ setzt zunehmend darauf, die „Einbahnstraße Nord-Süd“ zu verlassen, wie Generalsekretär Beat Wehrle sagt. Insbesondere der Austausch zwischen Partnerorganisationen im Süden, vorrangig sozialen Bewegungen in Lateinamerika, trage dazu bei, deren Arbeit voranzubringen.

Danéa Mairena war nur einen Monat in Bern. Aber das hat sich offenbar gelohnt. „Eine sehr gute Idee“, sagt die Nicaraguanerin, die in Managua die pädagogische Abteilung der Weiterbildungseinrichtung für Lehrer und Schulleiter „Fé y Alégria“ leitet. Gemeinsam mit Georg Bühler-García, Dozent am Institut für Heilpädagogik der Pädagogischen Hochschule in Bern, hat sie den Austausch geplant. Bühler war selbst vor einigen Jahren mit der Entsendeorganisation „interteam“ bei „Fé y Alégria“. Er wird noch heute ärgerlich, wenn er erzählt, wie er von den Nicaraguanern als etwas „Besseres“ angesehen wurde, nur weil er aus der Schweiz kommt.

Bühler-García wünscht sich einen Dialog auf Augenhöhe, etwa indem deutlich werde, dass Lehrerinnen und Lehrer in der Schweiz mit ähnlichen Problemen kämpfen wie in Nicaragua – zum Beispiel, wie sie behinderte oder verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche in ihren Unterricht einbeziehen, der nach den neuesten Vorgaben inklusiv angelegt sein muss. Danéa Mairena stimmt ihm zu. Statt einer Beziehung des „Gebens“ müsse eine Beziehung des „Teilens“ zwischen Nord und Süd aufgebaut werden, sagt sie. „Ich will deutlich machen, dass wir trotz Armut gute pädagogische Konzepte haben.“

Das scheint ihr gelungen zu sein. Nach ihrem Ansatz üben die Schulen in Nicaragua viel mehr Einfluss auf die Gesellschaft aus als in der Schweiz. Sie legten großen Wert auf die Arbeit mit den Eltern und den Gemeinschaften insgesamt. So gelinge es ihnen auch, Jugendliche zu mehr Engagement zu ermutigen, erklärt sie ihre Arbeitsweise. Dies sei bei den Seminaren und Schulbesuchen in der Schweiz interessiert aufgenommen worden. Die Lehrerinnen und Lehrer seien ihr sehr offen begegnet und hätten sich bereitwillig auf ihre Sicht der Dinge eingelassen. „Ich bin freundlich aufgenommen worden“, sagt Danéa Mairena.

Romaricson Alognon in Oldenburg kann das bestätigen. Sein Terminkalender ist gut gefüllt, bei den Schulklassen und kirchlichen Jugendgruppen kommt er mit seiner gelassenen Art und seinem Fachwissen gut an. Jürgen Deile, Förderinstrumentenmanager beim EED, ärgert sich angesichts solcher Erfahrungen umso mehr, dass es in Deutschland keine staatliche Unterstützung für Einsätze von Freiwilligen aus Entwicklungs- und Schwellenländern gibt. Ein „Blick von außen“ täte vielen Unternehmen und Organisationen gut, meint er. Doch die Bundesregierung sei „so stur“, dass sie noch nicht einmal im Rahmen ihres „weltwärts“-Programms für junge Freiwillige einen Süd-Nord-Einsatz ermögliche, kritisiert Deile. „Das ist nicht zu verstehen.“ Als Ursache vermutet Deile die Angst, die Menschen aus Entwicklungsländern könnten nach Ablauf ihres Arbeitsvertrages nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren wollen.

Mit großer Anerkennung blicken die deutschen und Schweizer Entwicklungsexperten Richtung Norden. In Norwegen setzt das Friedenskorps seit zehn Jahren erfolgreich auf einen Austausch in drei Richtungen: Nord-Süd, Süd-Nord und Süd-Süd. Die Organisation, die dem Außenministerium untersteht und komplett aus staatlichen Mitteln finanziert wird, vermittelt Fachleute für sechs bis zwölf Monate in Unternehmen oder Organisationen unterschiedlicher Branchen. Darunter sind Gehirnchirurgen, Handwerker und Lehrer. 2010 nahmen 576 Frauen und Männer aus 56 Ländern an dem Programm teil, darunter 198 aus Norwegen.

Die staatliche Anbindung des Friedenskorps erleichtere den Umgang mit Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen, erklärt dessen Sprecher Jorn Henning Lien. Trotzdem laufe das Prozedere oft nicht reibungslos. Zu viele Dokumente seien notwendig, die oft verzögert bearbeitet werden. Den Nutzen des Austausches sieht Lien auf zwei Ebenen: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer lernen im sozialen Bereich, bei der Kommunikation und dem Verständnis für eine andere Kultur dazu und erweiterten zugleich ihre Fachkenntnisse. Davon profitierten die Frauen und Männer selbst und die Organisationen, in denen sie arbeiten. Aber auch ein Einsatz über das Friedenskorps hat seine Grenzen: Die Austauschwilligen müssen zwischen 18 und 35 Jahre alt sein, und die Beschäftigungsmöglichkeiten beschränken sich auf Norwegens Partnerländer für Entwicklungszusammenarbeit.

Inzwischen gibt es auch in Deutschland einen kleinen Lichtblick: Mit dem Bundesfreiwilligendienst, der am 1. Juli den Zivildienst abgelöst hat, hätten voraussichtlich auch Freiwillige aus nichteuropäischen Ländern die Chance auf einen – staatlich geförderten – Einsatz in Deutschland, sagt Hartwig Euler vom „Arbeitskreis Lernen und Helfen in Übersee“. Dieser Dienst hat dann noch nicht einmal eine Altersbeschränkung. In der Schweiz hingegen sind laut Martin Schreiber von unité „keine Erleichterungen für Süd-Nord-Einsätze in Sicht“.

Danéa Mairena und Georg Bühler-García machen unterdessen Pläne, wie sie ihren pädagogischen Austausch fortsetzen und auf weitere Teilnehmer ausdehnen können. „Fé y Alegria“ könnte etwa ein Weiterbildungszentrum ins Leben rufen, an dem Studenten der Pädagogischen Hochschule Bern einen Teil ihres Studiums absolvieren, überlegen sie. Romaricson Alognon ist noch unsicher, ob er nach dem Ende seines Arbeitsvertrags mit dem Ökumenischen Zentrum nach Togo zurückkehren will. Voraussetzung dafür sei ein grundlegender Wandel der politischen Verhältnisse, sagt er. Das westafrikanische Land wird seit Jahren autoritär von Präsident Faure Gnassingbé regiert. Und an seinen letzten Aufenthalt für ein Praktikum dort hat Alognon keine guten Erinnerungen.

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erschienen in Ausgabe 7 / 2011: Entwicklungsdienst: Wer hilft wem?
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