Die Gemeinsame Fischerei-Politik (GFP) der Europäischen Union hat ökonomisch und ökologisch versagt – das räumt die EU-Kommission selbst ein und will ab dem kommenden Jahr neue Regelungen durchsetzen. Fischereikommissarin Maria Damanaki hat dazu noch für Juli einen Entwurf angekündigt. Doch der enthält wenig Ansätze, Probleme wie Fangquoten und wirksamere Kontrollen anzupacken, damit sich die stark dezimierten Fischbestände erholen können.
Autor
Heimo Claasen
ist freier Journalist in Brüssel und ständiger Mitarbeiter von "welt-sichten".Mit der Fischereipolitik sind aufgrund widerstreitender Interessen gravierende Probleme verbunden. Keineswegs scherzhaft hieß die eigene interne Einschätzung der EU-Kommission zum wirtschaftlichen wie ökologischen Desaster der GFP der „Frankenstein-Bericht“. Diese Analyse vom Oktober 2010, die bis heute nicht von der Kommission zugänglich gemacht wurde, aber im Parlament bekannt ist, bestätigt die Kritik von Umwelt- und Entwicklungsorganisationen, dass die bisherigen Regeln zur Überfischung der Meere beitragen haben – innerhalb wie außerhalb der Wirtschaftszonen vor den Küsten der EU-Länder.
Ferner wird darin belegt, in welchem Maße sich die EU-Fischerei selbst ruiniert. Sie erzielt mit zunehmendem technischen Aufwand aus weit entfernten Fischgründen immer weniger Ertrag. In der Folge sinken die Bestände und die erlaubten Fangquoten (total allowed catches, TAC), die jährlich im EU-Ministerrat oder zum Beispiel für den Nord- und Ostatlantik in regionalen Fischereiabkommen ausgehandelt werden, gehen zurück. Umso größer wird danach der Druck, mehr als erlaubt zu fischen, um die Boote noch mit Gewinn betreiben zu können – ein Teufelskreis.
„Ein Desaster für die Entwicklungsländer“
Die Pläne für eine erneuerte „Gemeinsame Fischereipolitik“ der Europäischen Union (EU) sind bei Entwicklungsexperten auf scharfe Kritik ...
Das Kernproblem, dass die Kapazität der EU-Fischereiflotte zu groß ist, haben frühere Reformen nicht in den Griff bekommen. Im Gegenteil: Die Subventionen für die Modernisierung der Schiffe und die Abwrackprämien haben sich in den vergangenen zwanzig Jahren auf fast eine Milliarde Euro 2009 verdoppelt. Die Zahl der Boote ist dadurch nur geringfügig zurückgegangen, aber die Fangkapazität beträchtlich gestiegen. Zudem liegen die TACs regelmäßig weit über den von den Wissenschaftlern empfohlenen Obergrenzen.
Ein Beispiel: 2008 schlugen Meeresforscher für Thunfisch ein Limit von 15 Millionen Tonnen vor, um ein völliges Einbrechen der Bestände zu vermeiden. Sie empfahlen sogar nur 10 Millionen Tonnen, damit sich die Bestände erholen könnten. Der damalige EU-Fischereikommissar Joe Borg handelte hingegen im Thunfisch-Ausschuss unter dem internationalen Fischerei-Abkommen, dem alle Thunfisch fangenden Länder angehören, einen „Kompromiss“ über 25,5 Millionen Tonnen aus. Tatsächlich gefangen wurden fast 61 Millionen Tonnen, worauf die EU immerhin die Thunfischerei ihrer Anrainer im Mittelmeer zeitweilig sperrte.
Der Vorgang wirft auch ein Schlaglicht auf die Qualität der staatlichen Kontrollen in den Fischereihäfen der EU-Länder. Der „Frankenstein-Bericht“ beklagt sich bitter über die Unzuverlässigkeit der von den nationalen Behörden gelieferten Daten zur Menge der in den Häfen angelandeten Fische, auf deren Basis auch die TACs des folgenden Jahres berechnet werden. Recherchen von nichtstaatlichen Organisationen wie Greenpeace oder der Pew-Umweltstiftung belegen das Ausmaß der Misere: Etwa ein Drittel der Anlandungen in großen spanischen Häfen wie Vigo wird nicht erfasst. Der spanische Verbraucherverband fand bei einer landesweiten Erhebung im Einzelhandel fast 40 Prozent falsche oder regelrecht gefälschte Etikettierungen von Fischen und Fischprodukten.
Nach einem Abgleich von „sehr widersprüchlichen“ globalen Daten kommt auch der „Frankenstein“-Bericht zu dem Schluss, dass „erhebliche“ Mengen von illegal gefangenen Fischen auf dem EU-Markt landen. Die Pew-Stiftung schätzte sie im vergangenen September auf ein Fünftel des gesamten EU-Verbrauchs. Ganze 24 Fischerei-Inspektoren hat die EU-Kommission in Dienst, die solchen Dingen nachgehen könnten – wenn die EU-Staaten ihr Einverständnis geben, dass sie auf Schiffen unter ihrer Flagge oder in ihren Häfen tätig werden. Dies ist schon gar nicht vorgesehen für die EU-Fischflotten, die vor Afrikas Küsten abräumen. Prinzipiell müssen nur die Länder, unter deren Flagge die Boote fischen, sowie die Staaten, in deren Gewässern gefischt wird, für die Einhaltung der Regeln sorgen – auch dort, wo EU-Fischereiabkommen geschlossen worden sind. Das sind zurzeit zehn in Afrika und drei im östlichen Pazifik.
Der Entwurf für eine neue GFP-Regelung lässt wenig Ansätze erkennen, all diese Probleme anzugehen. Zwar sollen die EU-Staaten verpflichtet werden, der Kommission statistisch reinen Wein einzuschenken, was auf ihren Flotten und in ihren Häfen vor sich geht. Es ist aber keine Rede davon, mehr und wirksamere Kontrollen einzusetzen, obwohl der Filz zwischen lokalen Behörden und Reedern einen erheblichen Teil illegaler Fischanlandungen deckt. Verbindliche Ziele für Fangmengen sind zwar vorgesehen, doch sie sollen nicht ausschließlich an den wissenschaftlichen Gutachten ausgerichtet werden. Der Spielraum für widersinnige Beschlüsse von Kommission und Ministerrat wird nicht eingeengt.
Ferner sollen die Fischer verpflichtet werden, allen Beifang regulär an Land zu bringen, statt ihn wie bisher über Bord zu werfen oder an den Kontrollen vorbeizuschmuggeln. Wenn der Beifang dann auf die erlaubten Quoten angerechnet wird, bedeutet das aber eine Quotenminderung. Zugleich bietet die neue Regelung Anreize für ökologischen Unfug: Jungfische einer Quoten-Sorte müssen zwar angelandet, dürfen aber nicht für den menschlichen Verzehr verkauft werden. Sie werden für die Herstellung von Fischmehl oder für Haustier-Futter verwendet – zusätzlich zu dem Fisch, der ohnehin schon für die Fischmast aus dem Meer geholt wird, das sind weltweit rund 40 Prozent der Fisch-Biomasse (ohne Garnelen, Muscheln und ähnliches).
Und schließlich soll die Konzession fürs Fischen, die zusammen mit der Quote bisher jeweils an ein einzelnes Schiff gebunden war, innerhalb der EU frei handelbar werden. Ähnlich wie beim Handel mit CO2-Zertifikaten würde damit ein Markt geschaffen, auf dem sich die finanzstärksten Einkäufer mit den meisten „Rechten“ für die Ausbeutung der Umwelt eindecken können. Nach Auffassung der Kommission werden so im Wettbewerb um die Konzessionen und Quoten die effizientesten Boote besser ausgelastet und somit rentabler. Keine Rede ist aber davon, was mit den anderen Booten geschieht, die dann ungenutzt im Hafen dümpeln. Die Kommission schweigt ebenfalls zu der Forderung von Umwelt- und Entwicklungsorganisationen, verheerende Fischereiwerkzeuge wie Grundschleppnetze mit vorlaufenden Balken und Ketten zu verbieten und hinreichend große fischereifreie Gebiete auch in europäischen Gewässern einzurichten, damit sich die Fischbestände erholen können.
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