Die Bedeutung der Fischerei als Quelle von Nahrung, Einkommen und Wohlstand kann gar nicht hoch genug veranschlagt werden. Umso erstaunlicher ist es, dass in diesem Bereich so wenig Klarheit herrscht, so vieles falsch dargestellt und deshalb auch falsch geregelt wird. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich das Fischereiwesen stark verändert. Die Fangtechniken sind kapitalintensiver und weniger umweltverträglich geworden. Die zunehmende internationale Nachfrage ließ das Handelsvolumen und die Fangmengen wachsen und hat damit auch den Druck auf die Fischbestände verstärkt. Mehr und mehr müssen Gemeinschaften, die traditionell vom Fischfang leben, mit anderen Interessenten um die Nutzung der Küsten und ihrer Naturschätze konkurrieren. Vielfach wenden sie deshalb intensivere Fangmethoden an, die weniger nachhaltig und fair sind.
Urbanisierung, Industrialisierung und Zuwanderung konzentrieren sich vor allem auf die Küstengebiete. Dadurch verändert sich der Lebensraum der Menschen, die in kleinem Umfang Fischfang betreiben. Ihr Zugang zu den Küstengewässern wird zum Teil erheblich beeinträchtigt. Weltweit bedroht der gesellschaftliche und wirtschaftliche Wandel traditionelle soziale Arrangements. Außerdem muss sich die Bevölkerung niedrig gelegener Gebiete auf den Anstieg der Meeresspiegel und auf häufigere Naturkatastrophen einstellen. Es ist zu befürchten, dass der Klimawandel und extreme Unwetter die Fischerei stark gefährden, auf die diese Menschen angewiesen sind.
Nach den Daten der Welternährungsorganisation FAO lieferte das Fischereiwesen (Fischfang und Aquakultur) 2008 insgesamt 142 Millionen Tonnen Fisch, von denen 115 Millionen Tonnen der menschlichen Ernährung dienten. Im Jahr 2007 machte Fisch knapp 16 Prozent des auf der Welt verzehrten tierischen Proteins und rund 6 Prozent der gesamten verzehrten Proteinmenge aus. Über 1,5 Milliarden Menschen deckten fast 20 Prozent ihres durchschnittlichen Pro-Kopf-Verzehrs an tierischem Eiweiß mit Fisch, 3 Milliarden Menschen mindestens 15 Prozent. Laut FAO produzierte der Fischfang (ohne Aquakultur) 2008 insgesamt einen Ertrag von etwa 90 Millionen Tonnen, dessen geschätzter Erstverkaufswert sich auf knapp 94 Milliarden US-Dollar belief. Davon stammten etwa 80 Millionen Tonnen aus dem Meer, während Erträge aus Binnengewässern das Rekordniveau von 10 Millionen Tonnen erreichten.
Autor
Brian O’Riordan
ist Vorsitzender der belgischen Sektion des International Collective in Support of Fishworkers (ICSF).Die Fischerei bietet Millionen Menschen eine wichtige Nahrungs- und Einkommensquelle. Laut FAO hat die Beschäftigung im Fischfang und in den Aquakulturen in den vergangenen drei Jahrzehnten stark zugenommen. Für 2008 wird angenommen, dass knapp 45 Millionen Menschen ganztägig oder, häufiger, stundenweise direkt in diesen beiden Bereichen tätig waren, darunter mindestens 12 Prozent Frauen. Auch dies ist wahrscheinlich eine zu niedrige Schätzung, denn die Arbeit der Frauen wird oft weder bezahlt noch anerkannt und dokumentiert. Viele für Statistik zuständige Regierungsbehörden erheben dazu überhaupt keine Zahlen.
Ein zentraler Fehler in der Einschätzung des Fischfangs besteht darin, ihn als isolierte Nischenbeschäftigung zu betrachten. Darauf stützen sich ungeeignete Strategien und verfehlte Konzepte für das Fischereimanagement und den Erhalt der Bestände. So wird im Bereich Fischerei die Steigerung der Produktion und die Maximierung des Gewinns politisch gefördert – auf Kosten der sozialen und ökologischen Aspekte. Deshalb werden Ökosysteme in Meeren, Flüssen und Seen überall auf der Welt von Überfischung und rücksichtslosen Fangmethoden gefährdet. Die Menschen, die vom Fischen abhängig sind, leben weiterhin unter schlechten sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen. Die Fixierung auf die Produktionssteigerung, nach der sich der Wert jeder Modernisierung im Wesentlichen an einer erhöhten Rentabilität bemisst, trägt nicht zur Nachhaltigkeit und sozialen Gerechtigkeit bei.
Grob gesagt lässt sich die Fischerei drei Kategorien zuordnen: der Kleinfischerei, der halbindustriellen Fischerei und der großindustriellen Fischereiwirtschaft. Jede dieser Produktionsweisen hat ihre Vor- und Nachteile. Die handwerklich betriebene Kleinfischerei beschränkt sich meist auf die unmittelbare Umgebung; sie ist arbeitsintensiv, energieeffizient und hat wenig schädliche Folgen für die Umwelt. Sie arbeitet hauptsächlich mit Stellnetzen, Angelleinen und Reusen, die nur für den Fang bestimmter Fischarten geeignet sind. Das bringt einen eher geringen Ertrag, der aber eine hohe Qualität haben kann.
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Die klein- oder halbindustrielle Fischerei ist meist von geringer Betriebsgröße, setzt aber weniger schonende Fanggeräte ein und ist weniger umweltverträglich. Sie arbeitet unter anderem mit Schleppnetzen und ähnlichen Geräten, die viel Energie und Treibstoff verbrauchen. Meist bedient sie Märkte, auf denen Fisch in großen Mengen und auch hochwertige Exportware wie Krabben gehandelt werden. Es wird relativ viel Kapital investiert, was auf Kosten der Arbeitsplätze geht. Je stärker die Fangmethoden mechanisiert werden, desto weniger wirtschaftlich und umweltverträglich sind sie. Steigende Energiepreise und knapper werdende Ressourcen lassen ihre Nachhaltigkeit fragwürdig werden.
Die industrielle Großfischerei hängt nicht von einem Standort ab. Sie setzt destruktive Fanggeräte wie Schleppnetze und Ringwadennetze ein und hat eine schlechte CO2-Bilanz. Sie produziert den meisten Beifang (er beträgt etwa 40 Prozent und mehr der gesamten weltweiten Fangmenge), weil ihre Ausrüstung nicht auf bestimmte Fische spezialisiert ist und weil Fische mit geringerem Marktwert aus wirtschaftlichen Gründen aussortiert werden. Sie beliefert internationale Märkte und produziert Fisch als Lebensmittel und Tierfutter für den Massenkonsum. Sie ist in die globalen Systeme der Lebensmittelindustrie und der Finanzwelt integriert und deshalb auch Gegenstand der Finanzspekulation.
Immer häufiger beschäftigen diese großindustriellen Unternehmen unqualifizierte Arbeitskräfte aus armen Ländern, die unter schlechten Bedingungen und gegen geringe Bezahlung arbeiten müssen. Das gilt besonders für die Europäische Union, denn dort finden die jungen Leute die Arbeit in der Fischerei wegen der niedrigen Löhne, der schlechten Arbeitsbedingungen und des geringen Ansehens unattraktiv. Zwischen 20 und 30 Prozent der gesamten Fänge aus der Großfischerei werden zu Fischmehl und Fischöl verarbeitet. Dafür werden große Mengen nicht ausgewachsener Fische gefangen, die in erwachsenem Zustand auch als Lebensmittel hätten dienen können.
Vor allem in Europa werden Fischprodukte zunehmend unter einem Zertifikat wie dem Marine Stewardship Council (MSC) als umweltverträglich vermarktet. Doch arbeiten die MSC-zertifizierten Fischereibetriebe überwiegend mit Schleppnetzen, einer der am wenigsten nachhaltigen Fangtechniken, die je entwickelt wurden. Allein mehr als drei Millionen Tonnen Fisch mit MSC-Label – etwa die Hälfte dieser Fänge – werden auf hoher See mit Schleppnetzen in mittlerer Tiefe oder mit Grundschleppnetzen gefangen.
Die Fischerei ist ein Teil komplexer Produktionssysteme vom Fang über die Vermarktung bis zum Verzehr. Zur Produktion gehören vorgeschaltete Tätigkeiten wie die Bereitstellung der Schiffe, des Treibstoffs und der Fanggeräte, das Fangen der Fische selbst sowie nachgelagerte Arbeiten wie das Anlanden, der Erstverkauf und die Wartung der Schiffe und der Ausrüstung. Die Vermarktung beinhaltet die Aufbereitung der Fische nach dem Erstverkauf, den Verkauf an Zwischenhändler, die Weiterverarbeitung und Verpackung, den Transport und den Endverkauf. Beim Konsum schließlich kann man unterscheiden zwischen dem direkten Verzehr vor Ort, dem Luxuskonsum auf lokaler und globaler Ebene sowie dem globalen Massenkonsum. Zu den Fischprodukten für den menschlichen Verbrauch zählen auch immer mehr Nahrungsergänzungsmittel und Erzeugnisse der pharmazeutischen und kosmetischen Industrie.
Es kommt auch darauf an, wo, wann und wie gefischt wird
In der handwerklichen Fischerei sind die Produktionsketten lang und die verschiedenen Tätigkeiten auf viele Schultern verteilt. Dagegen sind sie in der industriellen Fischproduktion zunehmend im selben Unternehmen integriert. Bei der Kleinfischerei wird deshalb der Nutzen viel eher breit verteilt und soziale Gleichheit begünstigt als in der industriellen Fischerei.
Es besteht weitgehend Übereinstimmung, dass die Überfischung und die Überkapazitäten der Fangflotten zu den größten Problemen gehören. Die Fischbestände und die Lebensräume im Meer können sich nicht mehr regenerieren und die Fischereiflotten sind um ein Vielfaches größer, als es für den Fang der verfügbaren Fische nötig wäre. Daraus wird jedoch fälschlich geschlossen, der Kern des Problems sei, dass zu viele Schiffe zu wenig Fischen nachjagen, man müsse also in erster Linie die Zahl der Schiffe verringern. Doch die Fankapazität und die Überfischung hängen nicht nur von der Anzahl der Schiffe ab. Es kommt auch darauf an, wo, wann und wie gefischt wird. Entscheidend ist das Zusammenwirken von Größe, Macht, Fangtechnik, Fanggebieten, Fangzeiten und vielen anderen Faktoren. Dazu gehört auch der Einsatz von nicht selektiven und umweltschädigenden Geräten und von verschwenderischen Geschäftspraktiken wie der, weniger hochwertige Fische und solche, deren Fangquote bereits ausgeschöpft ist, wegzuwerfen.
Wenn nur die Zahl der Schiffe in den Mittelpunkt gestellt wird, versäumt man, die Flotten zu benennen, die am meisten fangen und den größten Schaden anrichten. Es wird dann auch nicht zwischen traditioneller Kleinfischerei und industrieller und halbindustrieller Fischerei unterschieden. Nachhaltige Entwicklung setzt aber voraus, dass soziale, wirtschaftliche und ökologische Belange gleichermaßen berücksichtigt werden.
Die industrialisierte Fischerei, die kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen gegenüber sozialen und ökologischen Gesichtspunkten den Vorrang gibt, bietet schlechte Voraussetzungen dafür, Arbeitsplätze, anständige Arbeitsbedingungen, die Nahrungsversorgung und eine gesunde Umwelt zu erhalten. Für das International Collective in Support of Fishworkers (ICSF), einen Interessenverband der asiatischen Kleinfischer, beginnt die Lösung für das Problem der Überfischung mit einem „SMART“-Ansatz (small-scale artisanal fishery activities, kleine handwerkliche Fischerei). Das bedeutet man soll viele Fischarten in unterschiedlichen Jahreszeiten mit verschiedenen Geräten fischen, und das energieeffizient, arbeitsintensiv und umweltschonend. Der Fischfang muss in vor- und nachlagerte Tätigkeiten der einheimischen Bevölkerung integriert bleiben und die Fischereiwirtschaft darauf ausgerichtet sein, für einen dauerhaften Verdienst zu sorgen und die Ressourcen zu schonen. Diese Art der Fischerei respektiert die Menschenrechte. Sie ist für die Gesellschaft wertvoller als großindustrielle Fischerei und kann, richtig unterstützt, einen bedeutenden Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung und zum Erreichen der Millenniums-Entwicklungsziele leisten.
Das Subsidiaritätsprinzip kann ein Schritt in die richtige Richtung sein. Nach diesem Prinzip sollen alle Fischbestände, die von Kleinfischern gefangen werden können, auch diesen vorbehalten bleiben. Großfischerei dürfte nur außerhalb solcher Gebiete zum Einsatz kommen. Dabei müssten die Arbeitsbedingungen und die Sicherheit auf den Fangschiffen gebührend berücksichtigt werden.
Das würde einhergehen mit einem Menschenrechtsansatz in der Fischerei. Ihr Nutzen darf nicht auf Kosten der Gesellschaft privatisiert werden. Fischereirechte mit Menschenrechten zu verknüpfen ist ein Ansatz, der den unterschiedlichen Lebensbedingungen der Kleinfischer und der Vielschichtigkeit der Armut besser als bisher gerecht wird. Wenn man Fangrechte unter dem Gesichtspunkt der Menschenrechte verteilt, bedeutet das auch, das Menschenrecht der Fischer auf angemessene Lebensbedingungen und faire Gewinnmöglichkeiten zu berücksichtigen. Sinnvolle Nutzungsrechte können für einen Ausgleich von kulturellen, wirtschaftlichen und ökologischen Zielen sorgen, zur Verringerung von Konflikten beitragen, die Ernährungssicherheit und die Einkünfte der Kleinfischer und der Fischergemeinden verbessern und die Erhaltung der lokalen Ökosysteme erleichtern.
Von diesen Grundsätzen ausgehend arbeitet die FAO derzeit an neuen Richtlinien für die Erhaltung der nachhaltigen Kleinfischerei (Voluntary Guidelines on Securing Sustainable Small Scale Fisheries). Damit vollzieht sie eine grundsätzliche Wende. Denn in der Vergangenheit waren ausschließlich Staaten ihre Ansprechpartner. Ein auf den Menschenrechten beruhendes Herangehen setzt jedoch die Beteiligung aller Betroffenen voraus. Die Verknüpfung des Subsidiaritätsprinzips mit den Menschenrechten könnte dazu beitragen, viele Fehlentwicklungen in der Fischerei rückgängig zu machen.
Aus dem Englischen von Anna Latz
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