Ich komme auf Einladung der europäischen Solidaritätsbewegung und um meine Tochter zu besuchen, die in Genf in der Universitätsklinik liegt. Sie hat gemeinsam mit meiner Schwester vor drei Jahren in der Schweiz Asyl beantragt.
Warum?
Sie war erst acht Jahre alt, als sie zusehen musste, wie ich von Carabineros an Händen und Füßen gefesselt und nackt ausgezogen wurde. Dann urinierten sie auf mich. Unser Haus wurde niedergebrannt – zum dritten Mal. Ihre Katze verbrannte, ihr Hund wurde getötet. Das war ein traumatisches Erlebnis für ein Kind. Sie will nicht mehr zurück nach Chile. Unsere ganze Familie wurde festgenommen und wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt ins Gefängnis geworfen. Ich wurde zu sechseinhalb Jahren verurteilt. Vier davon habe ich abgesessen. Gleichzeitig wurde uns vor einem Militärgericht der Prozess gemacht, nach einem Antiterrorgesetz von 1984, aus der Zeit der Diktatur. In Chile ist es möglich, vor zwei Gerichten gleichzeitig angeklagt zu werden. Da ich nur auf Bewährung frei bin, brauchte ich jetzt eine Sondergenehmigung, um ausreisen zu können. Sonst muss ich mich jede Woche bei der Polizei melden.
Präsident Sebastián Piñera hat doch versprochen, dieses Antiterrorgesetz abzuschaffen?
Er hat es nicht abgeschafft, sondern erweitert. Jetzt kann es nicht nur gegen Mapuche, sondern auch gegen streikende Gewerkschafter, gegen protestierende Studenten, eigentlich gegen jeden angewandt werden. Es gab ja schon unter der Regierung von Michelle Bachelet eine Diskussion über dieses Gesetz. Aber im Kongress wurde eine Reform oder Abschaffung abgelehnt. Die christdemokratische Partei, Mitglied der damaligen Regierungskoalition, hat sich mit der Rechten (Partei der „Nationalen Erneuerung“) zusammengeschlossen, die jetzt regiert. Sie sprechen dem Volk der Mapuche ihre Grundrechte ab. Unsere legitimen Rechtsansprüche werden kriminalisiert, unsere Anführer eingesperrt.
Worum geht es in diesem Streit?
Um unser Land. Auf Mapuche-Land sollen 26 Staudämme errichtet werden. Es werden transnationale Unternehmen ins Land geholt, die Kraftwerke bauen, Bodenschätze ausbeuten, Eukalyptus- und Pinienplantagen anlegen. Ganze Dorfgemeinschaften werden vertrieben, unser Wasser wird verseucht. Aber alles Land südlich des Bío-Bío-Flusses gehört den Mapuche. Die Regierung hat nicht das Recht, ohne unser Einverständnis darüber zu verfügen.
Wie wehren sich die Mapuche?
2006 stellte sich eine Gruppe den Holzfällern entgegen, die im Auftrag der Elektrizitätsgesellschaft Frontel Bäume fällten, um Hochspannungsmasten zu installieren. Mein Sohn Waikilaf wurde unter anderem wegen Sachbeschädigung und Diebstahl verhaftet. Während der Haft wurde er von der Polizei grausam und erniedrigend behandelt. Schließlich hat ihn das Gericht in Temuco aus Mangel an Beweisen freigelassen.
Worauf stützen sich Ihre Eigentumsansprüche?
Wir haben eine Urkunde der spanischen Krone aus der Kolonialzeit, die von den chilenischen Regierungen anerkannt wurde. Unser Land gehört kollektiv dem Volk der Mapuche und kann weder geteilt noch veräußert werden. Aber unsere Landrechte werden ignoriert, unser friedlicher Widerstand kriminalisiert. Die Polizei kommt nicht, um uns zu beschützen, sondern um die Maschinen der Konzerne zu bewachen. Außerdem werden Sabotageakte konstruiert, die man uns in die Schuhe schiebt. Alte Maschinen, die nichts mehr taugen, werden angezündet. Und dann heißt es, das waren die Mapuche. Dann kassieren sie von der Versicherung und unsere Leute stecken sie ins Gefängnis.
Kann man das beweisen?
Natürlich, wir haben das alles auf Video dokumentiert. Mein Sohn wurde 20 Mal angeklagt und musste immer freigesprochen werden, da es gegen ihn keine Beweise gab.
Vergangenen November wurden 22 Mapuche nach dem Antiterrorgesetz angeklagt. Was ist aus dem Prozess geworden?
Vier von ihnen wurden zu Strafen zwischen 20 und 25 Jahren verurteilt. Nachweisen konnte man ihnen nichts. Das Verfahren war illegal und intransparent. Zeugen sind vermummt aufgetreten und haben Anschuldigungen erhoben, für die sie wahrscheinlich bezahlt wurden. Wir sind in Berufung gegangen.
Die Weltbank unterstützt einige der großen Infrastrukturprojekte im Mapuche-Gebiet. Haben Sie sich an die Weltbank gewandt?
Wir haben Beschwerde vor der Interamerikanischen Menschenrechtskommission erhoben. Dabei stützen wir uns auf die Abkommen, die unsere Rechte garantieren. Wir wollen den transnationalen Konzernen den Zutritt verbieten. Dabei zählen wir auch auf die Solidarität der chilenischen Gesellschaft.
Gibt es die? In Santiago und anderen Städten weiß man sehr wenig über die Mapuche.
Das stimmt so nicht ganz. In Santiago leben viele Menschen, die hart arbeiten. 70 Prozent der Einwohner gehören zu den Ärmsten. 2010 sind vier Kongressabgeordnete in Solidarität mit unseren Gefangenen in Hungerstreik getreten. Auch die Gewerkschaft CUT hat uns unterstützt. 2004 sind wir 875 Kilometer vom Süden bis nach Santiago marschiert. Dabei haben wir viel Solidarität erfahren. Gleichzeitig haben wir gesehen, dass auch in anderen Landesteilen Menschen unterdrückt werden.
Werden Sie von den Medien unterstützt?
Die Medien sind Privatunternehmen und gehorchen den Interessen der Eigentümer. Die stehen auf der Seite der Konzerne. Die Anliegen der Mapuche kommen kaum vor. Für uns hat sich seit der Diktatur nichts geändert.
Die sozialistische Präsidentin Michelle Bachelet hatte einen ausgezeichneten Ruf und hat einiges für die Armutsbekämpfung getan.
Für uns war das nach der Pinochet-Diktatur die schlimmste Regierung. Bachelet hat die Konzerne ins Mapuche-Land geschickt. Für uns gibt es keinen Rechtsstaat. Die Behörden und die Justiz entscheiden immer gegen uns.
Gibt es Vertreter der Mapuche in den Behörden?
Im westlichen System gibt es kaum Mapuche, man will uns da nicht. Und wir brauchen keine Universität. Die Weisheit bekommen wir auf andere Art. Andere Chilenen müssen studieren, um einen Titel zu erwerben. Wir bekommen keinen Posten, auch wenn wir einen Titel vorweisen können. Wozu also studieren? Wir haben ausreichend intellektuelle Fähigkeiten und können sie anwenden. Wir haben unsere eigenen Richter, die keine Urkunde vom westlichen Justizsystem brauchen. In unseren Gemeinden haben wir die indianische Gerichtsbarkeit, die sehr gut funktioniert.
Das Gespräch führte Ralf Leonhard.
Juanita Calfunao
verteidigt die Rechte und die Traditionen der Mapuche in Chile.
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