Groß waren die Erwartungen beim „Erdgipfel“ von Rio 1992. Wirksame Leitplanken sollten errichtet werden gegen die schon damals offensichtliche Übernutzung und Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen. Der Begriff der nachhaltigen Entwicklung war in aller Munde: Sustainable Development! Künftig sollte es gelingen, stetiges Wirtschaftswachstum, Wohlstand und Armutsbekämpfung miteinander zu verbinden – und dabei gleichzeitig auch noch die Umweltbelastungen zu reduzieren, den Rohstoffverbrauch zu verringern und die Energieeffizienz zu erhöhen. Die internationalen Umweltregime sollten gestärkt und das Zeitalter der nachhaltigen Entwicklung eingeleitet werden. Zwanzig Jahre später – im Juni 2012 – werden die Regierungen aus aller Welt erneut in Brasilien zum Nachfolgegipfel „Rio plus 20“ erwartet. Zeit für eine Zwischenbilanz.
Autorin
Cornelia Füllkrug-Weitzel
ist Präsidentin von „Brot für die Welt“ in Berlin.Der Blick zurück ist ernüchternd. Die 1993 in Kraft getretene Biodiversitätskonvention hat ihr Ziel nicht erreicht, das Artensterben einzudämmen. Es mangelt an politischem Willen, wie die letzte Vertragsstaatenkonferenz im Oktober 2010 festgestellt hat. Ebenso erfolglos verliefen die Bemühungen, die Ausbreitung von Wüsten einzudämmen. Auf etwa einem Viertel der globalen Landfläche, Heimat von 1,5 Milliarden Menschen, sind die Böden degradiert, das heißt, sie sind völlig ausgelaugt und landwirtschaftlich nicht mehr nutzbar. Die Desertifikation schreitet vor allem in Afrika voran. Auch die Wälder werden weiter abgeholzt; in den vergangenen beiden Jahren hat die Rate vor allem in Südamerika wieder zugenommen. Rund vier Millionen Hektar Tropenwald gehen hier jedes Jahr verloren. Weltweit werden 2011 – im „Jahr der Wälder“ – voraussichtlich 13 Millionen Hektar abgeholzt. Das entspricht etwa der Fläche Griechenlands. Die Abholzung ist eine wichtige Ursache für Bodendegradierung und Wassermangel, globale Erwärmung und Artensterben. Dennoch konnte sich die Staatengemeinschaft bislang auf keine rechtlich verbindliche Walddeklaration einigen.
Auch im Kampf gegen den Klimawandel ist der Fortschritt eine Schnecke. Sechzehn Weltklimagipfel sind vergangen und ein völkerrechtlich bindendes Klimaabkommen mit ambitionierten Emissionsobergrenzen und einer gerechten Lastenverteilung ist nicht in Sicht. So steigen die Treibhausgasemissionen weiter an – und zwar schneller als je zuvor. Die globale Erwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, sei nur noch „eine nette Utopie“, urteilte die Internationale Energieagentur angesichts der aktuellen Zahlen. Vielmehr werde sich die Erde bis zum Ende des Jahrhunderts wahrscheinlich um vier Grad, langfristig gar um sechs Grad erwärmen. Die Folgen wären katastrophal und würden noch in diesem Jahrhundert die Existenzgrundlagen von hunderten Millionen Menschen bedrohen.
Ganz offensichtlich ist ein grundlegender Wandel „unseres“ Entwicklungsmodells vonnöten. Der wachstumsorientierte, ressourcen- und kohlenstoffintensive Entwicklungsweg der Industrieländer ist kein zukunftsfähiges Modell mehr, auch wenn ihn nahezu alle anderen Länder unhinterfragt nachahmen – allen voran China und andere Schwellenländer. Nicht „Einholen und Überholen“ darf die Maßgabe sein. Vielmehr muss sich die Weltgesellschaft grundlegend wandeln, indem sie dem Wachstumswahn abschwört, die Grenzen des Ressourcenverbrauchs und die Lebensrechte der belebten Mitwelt auf einem endlichen Planeten anerkennt, unseren ökologischen Fußabdruck auf ein entsprechendes Maß reduziert und weltweit angleicht sowie Wohlstand ohne Wachstum schafft.
Rio plus 20 bietet Anlass und Chance für ein globales Umsteuern und einen Ausweg aus einer Zivilisationskrise, derer sich immer mehr Menschen bewusst werden. Dazu bedarf es einer handlungsleitenden Ethik des rechten Maßes, sozialer Gerechtigkeit, politischer Vision und technologischer Innovation. Die globale Transformation braucht Vorreiter, unter den Ländern wie in den Gesellschaften. Hier stehen auch wir – die Kirchen und ihre Werke – in der Verantwortung. Dieser Aufgabe müssen und werden wir uns stellen: in der Programmarbeit ebenso wie im Dialog mit unseren Partnern, der Politik und der Gesellschaft – und nicht zuletzt auch durch nachhaltiges Handeln im Alltag des eigenen Hauses.
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