Wir Indigenen verstehen unter dem Wert des Waldes etwas anderes: Er ist die Quelle unseres Lebensunterhalts und unserer Identität. Wir fragen nicht, welchen Preis Bäume erzielen, sondern wie viele nötig sind, damit weiter Wasser auf unsere Reisfelder fließt und die Tiere zu fressen haben. Wir wissen, dass der Wald zum Klimaschutz beiträgt, aber er liefert auch sauberes Wasser, steigert die Artenvielfalt und ist eine Grundlage unserer Kultur. Wir müssen deshalb das große Bild anschauen: Wie können die Entwicklungsländer vorankommen, wenn die Kohlendioxid-Emissionen begrenzt werden? Dazu müssen wir umdenken und andere Optionen suchen als das herkömmliche Entwicklungsmodell – zum Beispiel auf erneuerbare Energien setzen statt auf Staudämme und Kernkraft. Genauso müssen wir den Druck auf die Wälder verringern: Wir müssen für die Frage, wie Menschen einen Lebensunterhalt verdienen können, andere Lösungen finden als das Vordringen in den Wald.
Sie denken, dass auch die Treibhausgas-Emissionen der Entwicklungsländer begrenzt werden sollen?
Für die Emissionen sämtlicher Länder muss es eine Obergrenze geben. Natürlich werden die Industrieländer ihre Emissionen sehr viel stärker senken müssen. Aber es hat keinen Sinn für uns, das Entwicklungsmodell der Industrieländer nachzuahmen. Auch wenn das vielleicht eine für Süd-NGOs untypische Ansicht ist.
Das Prinzip, dem Wald einen Preis zu geben, teilen Sie nicht?
Dem Wald kommerziellen Wert zu geben, ist für uns ein fremdes Konzept. Und es ist nicht notwendig, um REDD zu einem wirksamen Klimaschutzinstrument zu machen. Man sollte einfach anerkennen, dass die Wälder geschützt werden müssen – nicht nur weil sie Kohlendioxid binden, sondern wegen ihres vielfältigen Umweltnutzens. Und die Menschen, die sie schützen, sollten davon einen Nutzen haben. Das muss nicht unbedingt Geld sein, sondern zum Beispiel grundlegende Sozialdienste wie sauberes Wasser, Schulen, Elektrizität, Straßen, Gesundheitsposten.
Wo liegen aus der Sicht von indigenen Völkern die Hauptprobleme bei der Ausgestaltung des REDD ?
Erstens sind wir nicht sicher, dass die Regierungen unser Recht auf den Wald achten. Zur Zeit ist in den meisten Ländern, die mit internationaler Hilfe eine nationale REDD-Strategie ausarbeiten, der Staat Eigentümer der Wälder – zum Beispiel in Indonesien, Laos, Bangladesch, Thailand und Kambodscha. Damit haben wir schlechte Erfahrungen. So sind in der Vergangenheit indigene Gemeinschaften aus dem Wald vertrieben worden mit dem Argument, sie würden ihn nicht schützen. Zweitens fürchten wir, dass im Namen des Waldschutzes unser Lebensunterhalt, der auf Nutzung des Waldes beruht, in Frage gestellt oder gar für illegal erklärt wird. Auch hier haben wir schlechte Erfahrungen: Der nachhaltige rotierende Feldbau ist in manchen Fällen als Ursache von Abholzung klassifiziert und verboten worden. Einige Indigene wurden sogar wegen dieser Wirtschaftsweise als Kriminelle verfolgt. Mit REDD wird das zunehmen. Drittens beanspruchen die Regierungen die Einnahmen aus dem Waldschutz unter REDD. Doch es sind die indigenen Gemeinschaften, die den Wald schützen, ohne dass ihre Grundbedürfnisse nach Schulen, Gesundheitseinrichtungen oder Infrastruktur erfüllt werden.
Alle indigenen Völker schützen den Wald?
Das war immer der Grundsatz unserer Lebensweise. Allerdings ändern sich die Dinge. Früher hat man nur Bäume gefällt, wenn man ein Haus bauen wollte. Aber unsere Bevölkerungszahl wächst. Viele von uns haben begonnen, Bäume zu fällen, um sie zu verkaufen, damit sie etwas zu essen kaufen, ihre Kinder in die Schule schicken oder im Krankenhaus bezahlen können. Einige Opportunisten wollen auch einfach nur Geld machen. Doch wenn es andere Möglichkeiten gibt zu überleben, werden indigene Völker ihren Wald schützen.
Mit den Opportunisten sollte die Gemeinschaft selbst sich auseinandersetzen?
Ja. Aber sie braucht Unterstützung, zum Beispiel bei der Entwicklung des Handwerks. Auch indigene Gemeinschaften müssen sich heute nach zusätzlichen Einkommensquellen umsehen, um den Druck auf den Wald zu verringern. Unsere Ressourcen reichen nicht mehr für unsere alltäglichen Bedürfnisse. Und die wachsen: Anders als früher gehen die Kinder heute in die Schule, und wer krank wird und nicht mit Kräutern geheilt werden kann, muss ins Krankenhaus.
Wo sind im Namen des Waldschutzes Menschen vertrieben worden?
Es gibt Fälle aus Thailand und Kambodscha, wo Nationalparks eingerichtet und die darin lebenden Gemeinschaften aufgefordert wurden, das Gebiet zu verlassen. In Thailand erhielten sie anderes Land, das aber nicht landwirtschaftlich nutzbar war. Daher mussten sie in der Stadt Arbeit suchen und viele Frauen, die keine finden konnten, wurden in die Prostitution gezwungen. Ihre Identität als Gemeinschaft wurde zerstört.
Wo sehen Sie Anzeichen dafür, dass REDD die traditionelle Waldbewirtschaftung in Frage stellt?
In Kambodscha hat mir ein Mitarbeiter aus dem Waldministerium gesagt, sie würden die Nutzung von Waldprodukten einschränken. Von Früchten oder Material zum Korbflechten hängt aber das Leben vieler indigener Völker ab. Die Waldministerien müssten besser verstehen, was REDD eigentlich ist. Da gibt es eine Menge falsche Interpretationen – als würde REDD bedeuten, dass niemand den Wald mehr anrühren darf. Die andere gefährliche Vorstellung ist, REDD werde die Menschen im Wald zu Millionären machen. Man verspricht ihnen: Wir bringen euch aus dem Wald heraus, aber ihr bekommt ein schönes Dorf und viel Geld. Aber es ist noch gar nicht entschieden, wie hoch die Zahlungen unter REDD sein, wozu sie verwendet und wie sie aufgeteilt werden. Kommen sie in den Dörfern an oder bleiben sie in der Bürokratie hängen?
Inwiefern sind die Landrechte von Indigenen zu wenig geschützt?
Wir haben in den Klimaverhandlungen in Cancún Ende 2010 verlangt, dass diese Rechte mit ausdrücklichem Bezug auf die UN-Deklaration der Rechte indigener Völker respektiert werden. Stattdessen wurde eine schwächere Formulierung gewählt, die Grundsätze nennt, sie aber nicht in den Rahmen des internationalen Menschenrechtsschutzes stellt. Das wäre wichtig, weil die nationalen REDD-Pläne dann festlegen müssten, wie diese Rechte geschützt werden sollen und wie das gemessen wird – etwa dass keine Gemeinschaft wegen REDD zwangsumgesiedelt werden darf. Hinzu kommt, dass mit REDD erstmals Landrechte an Rechte am Kohlenstoff geknüpft werden. Die Kompensationszahlungen unter REDD beruhen ja darauf, dass Kohlenstoff im Wald gebunden und so Emissionen der Atmosphäre entzogen werden. Nur wem steht das Recht auf die Entschädigung zu? Einige Staaten sagen, gut, die Indigenen bekommen Landrechte, aber wir haben das Recht am Kohlenstoff. Für uns ist der Wald mehr als eine Kohlenstoffsenke. Wir sind aber nicht einig, wie wir damit umgehen sollen. Einige indigene Gemeinschaften haben nichts dagegen, wenn die Regierung den Kohlenstoff beansprucht, solange das die übrigen Werte des Waldes nicht beeinträchtigt. Andere sagen, natürlich gehört auch der uns: Wir schützen den Wald und müssen deshalb auch die Kompensation erhalten.
Sind mit REDD auch Chancen verbunden, die Rechtslage der Indigenen zu verbessern?
Insofern Walderhaltung das Ziel von REDD ist, liegt darin die Chance, dass unser Beitrag zur nachhaltigen Waldnutzung anerkannt und geschützt wird. REDD eröffnet auch die Chance, über die besten Wege des Waldschutzes unter dem Blickwinkel der Menschen zu diskutieren, die im Wald leben. Wir versuchen den REDD-Prozess zu nutzen, um die Rechtsstellung indigener Völker zu verbessern.
Ändern Regierungen, besonders in Asien, infolge der Verhandlungen ihre Haltung gegenüber Indigenen?
Es gibt erfreuliche Anzeichen. Als Folge unseres internationalen Einsatzes für die Rechte indigener Völker beginnen einige Regierungen in Asien mit uns zu sprechen. Vietnams Regierung etwa hat unter ethnischen Minderheiten einen partizipativen Prozess zugelassen. In Indonesien führt die Regierung jetzt einen Dialog mit der nationalen Allianz der indigenen Völker. Und in Nepal ist das Bündnis der indigenen Völker an der Arbeitsgruppe beteiligt, die eine REDD-Strategie ausarbeitet.
Das Gespräch führte Bernd Ludermann.
Joan Carling
ist Generalsekretärin des Paktes der Indigenen Völker in Asien (AIPP). Sie gehört zur Volksgruppe der Kankanaey auf den Philippinen und vertritt die Interessen indigener Völker in internationalen Foren, unter anderm zum Klimaschutz.
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