„Es ist nicht mehr viel da, was man teilen könnte“

Auf die Afar-Nomaden im Nordosten von Äthiopien wirkt sich der Klimawandel schon heute aus. Dabei war ihre Region schon immer eine der heißesten und unwirtlichsten der Welt. Valerie Browning und Abdu Yusuf Mohammed von der Afar Pastoralist Development Association (APDA) berichten, wie Umweltveränderungen und eine falsche Politik den knapp 1,5 Millionen Viehhirten in der Region die Lebensgrundlage entziehen.

Spüren Sie den Klimawandel?

Browning: Ja, in der Afar-Region beobachten wir, wie sich die Jahreszeiten verändern. Die Regenzeit im Winter bleibt seit Jahren aus, von September bis April gibt es jetzt keinen Niederschlag mehr. Seit 1999 erleben wir immer wieder Dürren. Es ist auch noch heißer geworden, im Sommer steigen die Temperaturen jetzt öfter über 50 Grad, früher war das eher selten der Fall. Auf der anderen Seite sind die Regenzeiten unberechenbarer geworden. In manchen Jahren gab es nur einen einzigen Sturm. Wenn es dann mal regnet, sind es richtige Wolkenbrüche. 2010 wurden nach einem heftigen Regenfall acht große Betonbrücken von der Flut zerstört. Es sterben auch immer mehr Leute durch solche heftigen Gewitter.

Was bedeuten diese klimatischen Veränderungen für das Leben der Afar?

Browning: Die natürliche Umwelt ist die Lebensgrundlage der Menschen, sie sind abhängig vom Zugang zu Wasser und zu Weiden für ihre Tiere. Durch die Dürren ist der Viehbestand seit 1999 auf ungefähr ein Drittel geschrumpft. Es gibt viel weniger Milch, und ohne Milch gibt es Mangelernährung. Vor 2008 war das noch nicht so dramatisch, aber jetzt leiden über 4000 Kinder an akuter Unterernährung. Das sind ungefähr fünf Prozent aller Kinder unter fünf Jahren in den betroffenen Gebieten.

Mohammed: Traditionell wird bei den Afar in den Clans und Familien alles geteilt. Aber in den vergangen drei, vier Jahren konnte dieses System die Viehverluste nicht mehr auffangen. Es ist einfach nicht mehr viel da, was man teilen könnte. Unsere Organisation APDA hat inzwischen den Viehbestand von rund 3000 Haushalten erneuert.

Die traditionellen Wege, mit denen sich die Afar an Umweltveränderungen anpassen, greifen also nicht mehr?

Mohammed: Die Nomaden haben viele traditionelle Gesetze und Methoden, um die Umwelt zu schützen. Bevor sie den Boden überstrapazieren, wandern sie weiter. Sie haben Gebiete, in denen sie ihr Vieh während der feuchten Jahreszeit weiden lassen, und andere für die Trockenzeit. Das Problem ist, dass dieser Weidewechsel zunehmend auf Hindernisse stößt. Ein Grund dafür sind die Investoren, denen die natürlichen Feuchtgebiete am Fluss zur landwirtschaftlichen Nutzung überlassen wurden. Diese Gebiete sind aber auch sehr wichtig für die Viehnomaden.

Browning: Die Regierung hat 2008 einen Staudamm am Awash errichtet. Jetzt bauen Landwirte dort  Pflanzen an, die sehr viel Wasser brauchen, vor allem Zuckerrohr und Baumwolle; es gab sogar schon Versuche, Reis anzupflanzen. Allein die Zuckerrohrplantagen dehnen sich inzwischen auf 60.000 Hektar aus. Das ist wahnwitzig, wenn man bedenkt, dass es nur eine Wasserquelle in der Region gibt – und zu der haben die Nomaden keinen Zugang mehr. Zusätzlich sind große Landflächen von einer unkontrolliert wachsenden Buschsorte überwuchert. Die wurde in den 1980er Jahren zur Aufforstung eingeführt und verdrängt jetzt die natürliche Vegetation. Das ist ein undurchdringbares Dickicht, weder Mensch noch Tier kommen da durch. All diese Dinge erschweren die traditionelle Lebensweise der Viehhirten.

Ist sesshaft zu werden eine Option für die Nomaden?

Browning: Es gibt ein paar, die in die Städte gehen, aber dort gibt es keine Arbeitsplätze. Für die Afar ist zudem ihre traditionelle Gemeinschaft sehr wichtig. Die Regierung will die Nomaden an einen Ort binden; sie erkennt den Pastoralismus kaum als praktikable Lebensform an.
Mohammed: Die Leute kommen nicht damit zurecht, wenn du sie einfach packst und irgendwohin steckst. Sie wollen nicht sesshaft leben. Das Land ist sehr trocken, es ist nicht für die Landwirtschaft geeignet. Aber man kann es als Weideland nutzen und das Vieh dort grasen lassen. 

Wie unterstützt die Politik die Nomaden?

Mohammed: Die äthiopische Regierung tut nichts für die Nomaden in der Afar-Region. Die Regionalregierung ist sich der Umweltproblematik gar nicht bewusst, sie zerstört sehr viel Land und einheimische Bäume, die mehr als 300 Jahre alt sind. Die Politiker sind nur an Exporten interessiert, aber in die lokale Infrastruktur wird überhaupt nicht investiert. Es gibt in der Afar-Region auf äthiopischer Seite kein einziges Schlachthaus. Die Tiere müssen zum Schlachten in die angrenzenden Regionen transportiert werden. Es gibt auch keine Düngemittelfabrik, an die die Nomaden die Knochen ihrer Tiere verkaufen könnten. Auch eine richtige Gesundheitsversorgung und Impfungen für das Vieh fehlen. Die Leute wollen Medizin für ihre Tiere kaufen, aber es gibt keine.

Welche Hilfe kann Ihre Organisation bieten?

Browning: Als wir 1994 unsere Arbeit aufnahmen, lag die Alphabetisierung bei zwei Prozent, es gab kein Gesundheitswesen und keine Wasserversorgung. Da der Zugang zu Wasser ein drängendes Problem ist, machen wir sehr viel in diesem Bereich. Dabei nutzen wir Methoden, die den Leuten schon bekannt sind. Zum Beispiel haben die Afar eine Art Dampf-Brunnen entwickelt, mit dem in vulkanischem Gestein der Dampf des Grundwassers gewonnen wird. Solche Technologien bauen wir aus. Wir betreiben auch das sogenannte Wasserscheidenmanagement, um das Regenwasser auf die Weiden zu leiten und Bodenerosion und Überflutungen zu verhindern. Es geht aber auch darum, das Wissen um traditionelle Methoden und Gesetze zu stärken, die von der Regierung unterdrückt werden.

Haben die Nomaden eine Zukunft in der Afar-Region? 

Browning: Ich bin mir sicher, die Afar würden mit der Zeit freiwillig ihre nomadische Lebensweise modernisieren, wenn Sie es so nennen wollen. Helfen würde dabei ein richtiges Vertriebssystem. Die grenzüberschreitende Vermarktung der Tiere nach Dschibuti würde den Nomaden eine sichere und gute Einnahmequelle verschaffen. Dann könnten sie mit kleineren Herden überleben. Die Afar müssen ihre Zukunft aber selbst bestimmen können. Ihre Lage hat sich so verschlechtert, weil sie nicht an der Politikgestaltung beteiligt werden. Sie werden ja nicht einmal nach ihrer Meinung gefragt. Die Leute müssen wieder in die Lage versetzt werden, ihr Leben selbst in den Griff zu bekommen. Die nomadische Lebensweise ist vernünftig und ökologisch sinnvoll. Die Menschen leben so seit Tausenden von Jahren.

Das Gespräch führte Sebastian Drescher.
 

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erschienen in Ausgabe 12 / 2012: Leben mit dem Klimawandel
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