An den Rand gedrängt

Die Großstädte im Süden müssen sich für die Folgen des Klimawandels rüsten. Aber die Gefahr besteht, dass Anpassungsprogramme den Vorlieben der Geber folgen und an den Bedürfnissen der Armen vorbeigehen oder sogar ihre Existenz bedrohen. Ihr Leben ist schon ohne zunehmende Unwetter schwierig genug.

Entwicklungsorganisationen haben sich verpflichtet zu prüfen, wie sich eine Abschwächung des Klimawandels sowie eine Anpassung an seine Folgen in die Finanzierung von Entwicklungsvorhaben integrieren lassen. Das scheint vernünftig, hat aber ganz unterschiedliche Auswirkungen auf die Situation vor Ort.

Angesichts der schnellen Urbanisierung im globalen Süden, insbesondere in Asien und Afrika, müssen Städte integrativ und sozial gerecht entwickelt werden. Doch häufig fehlt es ihnen an guter Regierungsführung.

Da stellt sich erst recht die Frage, was geschieht, wenn zusätzlich Geld für den Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel verwaltet und ausgegeben werden muss. Die Regierungen vieler Großstädte sind unfähig, für eine rechtliche Absicherung von Wohnraum und sicheres Wohnen zu sorgen, mit Wasser- und Sanitäreinrichtungen für alle.

Autorin

Sheela Patel

ist Direktorin der Society for the Promotion of Area Resources Centers (SPARC) in Indien und Vorsitzende der internationalen Vereinigung von Slumbewohnern „Slum Dwellers International“ (SDI).

Und jetzt besteht zusätzlich die Gefahr, dass bei der Verwirklichung von Klimaschutzstrategien nicht der tatsächliche Bedarf entscheidend ist, sondern das, was die Geber von Entwicklungshilfe für wichtig halten. Es lässt sich nur schwer abschätzen, in welchem Umfang internationale Entwicklungsorganisationen Geld für die städtische Entwicklung zur Verfügung stellen insbesondere für eine, die auf die Bedürfnisse von einkommensschwachen Gruppen ausgerichtet ist.

Zum Teil liegt das daran, dass sie nicht über ihre Arbeit in den Städten berichten. Bei einigen ist das so, weil sie Hilfe über eine sogenannte „Korbfinanzierung“ leisten – dabei finanzieren Geber die Arbeit der Regierung in einem Sektor, zum Beispiel Bildung, ohne das an einzelne Projekte zu binden. So wird wenig oder gar nicht darüber berichtet, ob das Geld auch Städten zugutekommt.

In vielen armen Ländern hat ein Drittel der Stadtbewohner keinen Anschluss an die Wasserversorgung

Einige dieser Organisationen, insbesondere die Weltbank, erkennen an, dass gut funktionierende und verantwortlich regierte Großstädte wichtig für das Wirtschaftswachstum sind. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass die Bekämpfung der städtischen Armut in ihrem Interesse liegt. In Ländern mit niedrigem Einkommen haben die meisten großen Städte keine funktionierende Infrastruktur. Die Mehrzahl der Städte in Afrika hat keine Kanalisation oder ein Abwassersystem, das weniger als zehn Prozent ihrer Einwohner nutzen können. In vielen armen Ländern sind weniger als 30 Prozent der städtischen Bevölkerung an die Wasserversorgung angeschlossen. Und es gibt wenig Anzeichen dafür, dass diese Defizite mit Unterstützung von Hilfsorganisationen (NGO) und Entwicklungsbanken in Angriff genommen werden.

Es ist unstrittig, dass etwas gegen den Klimawandel unternommen werden sollte. Doch wie sieht das aus dem Blickwinkel der städtischen Armen aus? Viele Behörden versuchen, die Zonen in einer Stadt zu identifizieren, die bei Überschwemmungen, Erdrutschen und Hitzewellen gefährdet sind. Diese Gebiete überschneiden sich weitgehend mit den Vierteln der Armen, denen die Stadt kein Siedlungsgebiet zugewiesen hat und die verzweifelt auf der Suche nach einer Unterkunft sind. In den meisten Fällen ermitteln Gefährdungsanalysen die „Slums“ als bedrohte Bereiche – was dann unter dem Vorwand der Katastrophenvorsorge zu Zwangsräumungen führen kann.

Zahlreiche Fachleute haben sich damit befasst, wie sich Investitionen in die Anpassung an den Klimawandel und der Aufbau sozial gerechter Städte miteinander verbinden lassen. Laut ihren Analysen besteht ein entscheidender Schritt darin, eine funktionierende Infrastruktur und einen effektiven Mechanismus einzurichten, mit dem auf Krisen reagiert werden kann. Außerdem müssten Kommunikationssysteme zwischen den Stadtverwaltungen und den Einwohnern geschaffen werden. In fast jeder Großstadt des globalen Südens ist jedoch mehr als die Hälfte der inoffiziellen Siedlungen nicht erfasst, ihre Namen und ihre Lage tauchen in keinem Stadtplan oder keinem städtischen Register auf. Wie und von wem könnten also die Bewohner gewarnt werden, wenn ein Hurrikan kommt?

Sowohl die Städte als auch die NGOs, die dort arbeiten, richten sich mit ihren Projekten nach dem jeweils aktuellen Lieblingsthema der globalen Entwicklungshilfe. Als der Kampf gegen HIV/Aids ein heißes Thema war, erklärten die Slumbewohner, mit denen wir zusammenarbeiten, dass angesichts der Infektionen und der sexuellen Gewalt in ihren Siedlungen Hygiene und Sicherheit verbessert werden müssten. Diese Aspekte wurden jedoch in den gängigen Aids-Programmen nicht erfasst und so wurde keines ihrer Projekte finanziell unterstützt.

Später, als sich sehr wohl ein Zusammenhang zwischen diesen Problemen herausstellte, war die Welt zum nächsten Thema übergegangen. Heute denken Organisationen der Slumbewohner darüber nach, wie sie ihre Bedürfnisse mit der Finanzierung der Anpassung an den Klimawandeln zusammenbringen können. Keine Organisation wird nur Vorschläge vorlegen, die zwar finanziert werden, aber nicht die Probleme ihrer Gemeinschaft lösen. Allerdings wissen wir, dass viele zu einem solchen Handeln gezwungen sind, weil sie das Geld brauchen.

Strategien der Anpassung gezielt auf die Armen zuschneiden

Wir sehen zwei Möglichkeiten, mit diesem doppelten Problem umzugehen: Zum einen sollte in Anpassungsstrategien investiert werden, die nicht nur die Infrastruktur ärmerer Stadtviertel, sondern auch ihre Beziehungen zu den Stadtverwaltungen verbessern. Zum anderen können politische Reaktionen auf den Klimawandel Möglichkeiten schaffen, saubere Energie zu erzeugen oder neue Formen, Müll zu verwerten. Das kann den städtischen Armen Chancen eröffnen, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Bei allen Investitionsentscheidungen ist aber zu klären, wer davon profitiert. Solche Strategien sollten gezielt auf die Armen zugeschnitten werden und nicht nur Aspekte der Existenzsicherung und der Lebensqualität aufnehmen, sondern die Probleme von Armut grundsätzlich angehen.

Ein weiteres Dilemma tritt bei der breiteren Unterstützung für Maßnahmen und Strategien zur Reduzierung der Treibhausgase auf. Menschen mit geringem Einkommen können dazu kaum etwas beitragen. Sie verbrauchen wenig Energie und ihr Kohlendioxid-Ausstoß pro Kopf ist sehr gering. Auch mit der Ernährung und der Nutzung von Verkehrsmitteln hinterlassen sie einen weitaus kleineren ökologischen Fußabdruck als Gruppen mit mittlerem und hohem Einkommen. Es ist zutiefst ungerecht, dass Staaten, deren Einwohner im Durchschnitt wenig Kohlendioxid-Emissionen verursachen und die deshalb wenig zu den Treibhausgasen in der Atmosphäre beigetragen haben, mithelfen sollen, die Emissionen zu reduzieren. Sie sollten dazu nur dann bereit sein, wenn die Länder mit den höchsten Emissionen pro Einwohner ernsthaft Maßnahmen ergreifen – wofür es bisher kaum Anzeichen gibt.

Doch die Verringerung des vom Menschen verursachten Ausstoßes von Treibhausgasen ist so dringend geboten, dass sich selbst emissionsarme Länder und Städte sowie jeder einzelne Bürger beteiligen müssen. Wir müssen nach Wegen der Förderung dafür suchen, dass einkommensschwache Gruppen Ressourcen effizient nutzen und zugleich das Einkommen und die Arbeitsbedingungen derjenigen verbessert werden, die diese Ressourcen verwerten (das Sammeln von Müll eingeschlossen).

Grundsätzlich müssen wir arme Bevölkerungsgruppen und ihre Organisationen in die Entscheidungen einbeziehen, in welchem Verhältnis Ausgaben für Entwicklung, für die Anpassung an den Klimawandel und für seine Abschwächung zueinander stehen sollen. Wir brauchen finanzielle Systeme, die die Prioritäten und das Potenzial dieser Bevölkerungsgruppen unterstützen, damit sie selbst tätig werden und sich mit der örtlichen Regierung auseinandersetzen können. Die meisten anderen Strategien der „Risikominderung“ führen nur dazu, dass ihre Bedürfnisse übergangen oder, noch schlimmer, ihre Unterkünfte und Wohnviertel zerstört werden.

Aus dem Englischen von Elisabeth Steinweg-Fleckner.

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erschienen in Ausgabe 12 / 2012: Leben mit dem Klimawandel
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