Palästinenser sind in Kairo nur geduldet

Ein Mann steht an einem Hähnchengrill.
Valentin Schmid
Das Restaurant Hay al-Rimal in Kairos Stadtviertel Nasr City bietet neben der arabischen Fleischspezialität Schawarma auch Arbeitsplätze für geflohene Palästinenser, zum Beispiel für Samir al-Hassan.
Flucht aus Gaza
Seit dem Hamas-Massaker in Israel vor anderthalb Jahren und den israelischen Angriffen auf Gaza sind über hunderttausend Palästinenser von dort nach Ägypten geflohen. Viele wollen sich in Kairo eine neue Existenz aufbauen, doch die ägyptische Regierung erschwert das.

Samir al-Hassan möchte lieber über seine Kunst reden als über den Gazakrieg. Der 23-Jährige zeichnet Porträts – etwa vom palästinensischen Schriftsteller Ghassan Kanafani, aber auch von Menschen, die er kennt und vermisst. „Meine Stifte sind meine Waffen“, steht unter einem Bild, das er auf Instagram gepostet hat. Im April 2024 konnte er den Gazastreifen verlassen, obwohl die Grenze offiziell geschlossen war. Jetzt lebt er in Kairo und arbeitet am Hähnchengrill im Restaurant Hay al-Rimal, das auf Schawarma spezialisiert ist, eine arabische Fleischspezialität. „Es ist nach dem Stadtviertel von Gaza City benannt, in dem auch das Schifa-Krankenhaus liegt“, sagt Al-Hassan. 

Er hält eine Serviette mit dem Muster der palästinensischen Kufija hoch, mit der hier alle Speisen serviert werden. Der Eigentümer des Hay al-Rimal heißt Bassem Abu Aoun. Er hat schon in Gaza Schawarma verkauft und möchte nun anderen Gaza-Flüchtlingen Arbeit bieten. Al-Hassan kann sich mit seinen Kollegen also im gewohnten palästinensischen Dialekt unterhalten. Denn obwohl Ägypten direkt an Gaza grenzt, klingt das Arabische hier hörbar anders, Al-Hassan fällt auf der Straße als Ausländer auf.

Schätzungsweise 100.000 Palästinenser sind nach Kairo geflüchtet

Allein in der Metropolregion Kairo waren im Februar über 729.000 Flüchtlinge beim UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) registriert, die Dunkelziffer ist deutlich höher; 70 Prozent kommen aus dem Sudan. Dabei ist Kairo mit über 22 Millionen Einwohnern schon jetzt überfüllt. Bereits in den 1960er Jahren mussten Tausende zugewanderte Familien aus Platznot zwei Friedhofsbezirke im Osten Kairos besiedeln, die heute als „Totenstadt“ bekannt sind. Laut Schätzungen der Weltbank leben gut 30 Prozent der Menschen in Kairo unterhalb der ägyptischen Armutsgrenze.

Auch die Lage vieler Palästinenser, die seit dem Kriegsbeginn in Gaza vor anderthalb Jahren die Flucht nach Ägypten geschafft haben, ist prekär. Vergangenes Jahr schätzte die palästinensische Botschaft in Kairo ihre Zahl auf 100.000. Genauere Angaben sind auch deshalb schwierig, weil nicht das UNHCR, sondern das UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA für palästinensische Flüchtlinge zuständig ist. UNRWA hat aber kein Mandat für die Arbeit in Ägypten und die Flüchtlinge haben somit keine offizielle Anlaufstelle. Das hat zur Folge, dass nur sehr wenige Palästinenser in Ägypten einen Aufenthaltstitel oder eine Arbeitsberechtigung erhalten. 

Firmen kassieren für die Ausreise aus dem Gazastreifen

Als Lina Abudayeh vor zwei Jahren ihr Studium der Finanzbuchhaltung an der Islamischen Universität Gaza abschloss, hatte sie nicht vor, einmal eingelegtes Gemüse im Internet zu verkaufen. Doch dann begleitete sie im Oktober 2023 ihre Mutter zu einer medizinischen Behandlung nach Kairo und konnte wegen des Krieges nicht mehr zurück. 

Heute bereitet die 24-Jährige mit ihrer Mutter und Großmutter palästinensische Spezialitäten zu – Paprikapaste, gefüllte Oliven oder eingelegte Gurken – und findet über Facebook und Instagram Kunden in Kairo. „Ruah Gaza“ – der „Geist von Gaza“ – heißt die Marke, die sie dafür geschaffen hat. Der Name zeige, „dass Gaza nicht nur ein Ort ist, sondern ein Geist, der in den Herzen und Köpfen weiterlebt“, sagt Abudayeh.

Autor

Valentin Schmid

ist freier Journalist und studiert Judaistik an der Universität Tübingen.

Andere Palästinenser haben ihr letztes Geld am Grenzübergang in Rafah gelassen. Eine ägyptische Unternehmensgruppe, die mit der ägyptischen Regierung verbandelt ist, kontrolliert dort schon seit Jahren die Handelswege. Jetzt verlangt die Firma „Hala Consulting and Tourism“ 5000 Dollar oder mehr, damit ein Erwachsener die Grenze passieren kann. Zwar kündigte der ägyptische Außenminister Samih Schukri bereits vor einem Jahr in einem Interview an, das Geschäft zu unterbinden. Doch die horrenden Preise sind geblieben. Auf Crowdfunding-Plattformen wie GoFundMe oder JustGiving laufen deshalb Tausende Kampagnen von Palästinensern, die so die Ausreise aus dem Gazastreifen finanzieren wollen.

In den vergangenen anderthalb Jahren wurden in Kairo eine Reihe von Organisationen gegründet, die geflüchtete Palästinenser unterstützen. Ahfad al Zaytoun zum Beispiel – arabisch für „Enkel der Olivenbäume“ – organisiert Kinderprogramme und psychologische Ersthilfe. Das „Netzwerk für Palästina“ hat in Heliopolis, einem der teuersten Stadtviertel Kairos, eine leere Wohnung angemietet, in der palästinensische Familien gespendete Kleidung abholen können. Beide Organisationen versuchen, möglichst unpolitisch zu sein, und äußern sich ungern gegenüber Medien. „Wir wollen nicht hervorgehoben werden und nicht für einzelne Palästinenser sprechen“, sagt eine Mitarbeiterin des Netzwerks für Palästina, die nicht namentlich genannt werden möchte. Viele der Geflüchteten seien bereits nach Interviews für politische Zwecke instrumentalisiert worden, dabei seien die meisten einfach nur froh, den Krieg hinter sich gelassen zu haben.

Ägypten ist auf Wirtschafts- und Militärhilfe aus den USA angewiesen

Um sich als seriösen Vermittler für Friedensverhandlungen zwischen Israel und der Hamas zu präsentieren, geht Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi hart gegen propalästinensische Demonstrationen in seinem Land vor. Im Juni 2024 beklagte Amnesty International, 95 Personen säßen wegen friedlicher Proteste für Palästina in Untersuchungshaft. 

Der Umgang mit palästinensischen Flüchtlingen ist politisch noch heikler, seit Donald Trump Anfang Februar seine Zukunftspläne für Gaza verkündet hat. Der US-Präsident möchte alle Palästinenser von dort in andere arabische Länder „umsiedeln“, um aus dem Küstenstreifen eine wirtschaftlich florierende „Riviera des Nahen Ostens“ zu machen. 

Ägypten ist auf Wirtschafts- und Militärhilfe aus den USA angewiesen und gehört – neben Israel – zu den wenigen Ländern, die nicht vom Kahlschlag der Auslandshilfen durch die Trump-Administration betroffen sind. Al-Sisi vermeidet deshalb die direkte Konfrontation mit dem US-Präsidenten, betont aber auch den Anspruch der Palästinenser auf ihr Land. Innerhalb der arabischen Welt will Ägypten eine starke Stimme gegen die „Umsiedlung“ sein. Es passt daher nicht ins Bild, aus Gaza geflohenen Palästinensern die Ansiedlung in Ägypten zu erleichtern.

Lina Abudayeh kann sich trotzdem vorstellen, aus ihrer Onlinefirma Ruah Gaza einmal einen richtigen Laden in Kairo zu machen. Und doch: Wenn der Grenzübergang nach Gaza eines Tages wieder geöffnet ist, will sie so schnell wie möglich ihren Vater und ihren älteren Bruder wiedersehen. Und vielleicht auch helfen, ihre zerstörte Heimat wiederaufzubauen. 

Die Namen aller Geflohenen sind geändert; die richtigen Namen liegen der Redaktion vor.

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