Einkaufstour im Dienste Pekings?

Chinesische Konzerne haben 2012 zwei führende deutsche Betonmaschinen-Hersteller gekauft, die Firmen Putzmeister und Schwing. Auch mehrere deutsche Solarfirmen, Autozulieferer und Maschinenbauer sind heute ganz oder teilweise in chinesischem Besitz. Das sind Ergebnisse einer neuen chinesischen Strategie: Konzerne, auch staatliche, investieren vermehrt im Ausland und werden dabei von der Regierung unterstützt. Dies heißt aber nicht unbedingt, dass die Firmen politischen Vorgaben folgen.

Seit einigen Jahren beschäftigt Chinas wirtschaftliche Entwicklung die Welt auf eine neue Weise. Die Volksrepublik ist nicht mehr nur ein großes und dynamisches Land, das sich als Produktionsstandort und Absatzmarkt anbietet. Sie ist auch zur Konkurrenz geworden. Genauer gesagt: Chinesische Unternehmen sind zu Konkurrenten auf dem Weltmarkt geworden. Und dabei exportieren sie nicht nur, sie investieren auch zunehmend rund um den Globus.

Investitionen chinesischer Unternehmen im Ausland sollten in einer globalisierten Welt eigentlich nicht überraschen. Dass sie trotzdem für Aufmerksamkeit und Aufregung sorgen, liegt vor allem an zwei Gründen. Zum einen ist die Investitionstätigkeit relativ neu, da sie auf Änderungen in der chinesischen Außenpolitik seit der Jahrhundertwende zurückgeht. Dabei kommt der neuen Politik in den vergangenen Jahren die globale Finanzkrise zugute: Letztere hat viele Unternehmen in den Industrieländern in Schwierigkeiten gebracht, so dass es für chinesische Unternehmen tendenziell leichter geworden ist, Firmen im Ausland zu erwerben.

Autorin

Doris Fischer

ist Professorin für China Business and Economics an der Universität Würzburg.

Zum zweiten wirft die politische und wirtschaftliche Ordnung Chinas die Frage auf, wie unabhängig chinesische Firmen in ihren Investitionsentscheidungen im Ausland sind. Werden sie vom Staat gelenkt? Überwiegen geopolitische Erwägungen anstelle von betriebswirtschaftlichen? Sind die chinesischen Unternehmen faire Konkurrenten oder haben sie Vorteile im Wettbewerb dank staatlicher Unterstützung?

Die chinesische Politik der außenwirtschaftlichen Öffnung seit Beginn der Wirtschaftsreformen im Jahr 1978 beschränkte sich bis zur Jahrhundertwende darauf, den Binnenmarkt für ausländische Investoren zu öffnen und den Außenhandel zu erleichtern. Investitionen chinesischer Unternehmen im Ausland zielten lediglich darauf, diesen Außenhandel zu ermöglichen: Es handelte sich vor allem um ausgewählte Auslandsoperationen von Banken sowie Handels- und Transportunternehmen.

Investitionen im Ausland sind politisch gewünscht

Mit dem Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation im Jahr 2001 passte die chinesische Regierung ihre Außenwirtschaftspolitik an und entwarf die sogenannte„Nach-Außen-Gehen“-Politik. Obwohl der Beitritt Chinas zur WTO häufig nur als eine weitere Öffnung des chinesisches Marktes für ausländische Waren und Investitionen wahrgenommen wurde, erleichterte er auch chinesischen Waren und Investoren den Zugang zu neuen Märkten. Seit dem zehnten Fünfjahresplan für die Periode 2001 bis 2005 sind chinesische Investitionen im Ausland politisch gewünscht. Ihre Funktion wurde zunächst darin gesehen, die neue Offenheit der Auslandsmärkte in Folge des WTO-Beitritts zu nutzen und wichtige Rohstoffe für die wirtschaftliche Entwicklung in China zu erschließen.

Im elften Fünfjahresplan für 2006 bis 2010 wurde die Politik des „Nach-Außen-Gehens“ bereits stärker mit dem Ziel verfolgt, die Investitionstätigkeit global auszudehnen, wobei Infrastrukturprojekte wie Hafenanlagen und Großanlagen wie Stahlfabriken vor allem in Entwicklungsländern einen Schwerpunkt bildeten. Im gegenwärtigen zwölften Fünfjahresplan wird ein beschleunigtes Wachstum der Auslandsinvestitionen angestrebt, wobei der Fokus auf dem Ausbau der internationalen Vertriebswege und der Verbreitung chinesischer Markenprodukte liegen soll. Gleichzeitig wurden in den letzten Jahren das Genehmigungsverfahren für Auslandsinvestitionen sowie der Zugang zu Devisen erleichtert. Kompetenzen für die Genehmigung von Investitionen wurden vermehrt an die Provinzregierungen abgegeben. Spezielle Internetportale dienen dazu, Unternehmen für ihren Weg in die internationalen Märkte mit Informationen zu rüsten.

Die Außenwirtschaftspolitik unterstützt also ganz offensichtlich Investitionen im Ausland. Weniger klar ist, inwieweit diese Politik tatsächlich in der Lage ist, das Investitionsverhalten von chinesischen Unternehmen zu steuern. Die offiziellen Statistiken zeigen, dass die chinesischen Auslandsinvestitionen in den vergangenen Jahren rasch gestiegen sind. Besonders seit Ausbruch der globalen Finanzkrise verzeichnen sie ein geradezu antizyklisches Verhalten: Im Jahr 2008 stiegen sie stark an, stagnierten etwas in 2009, nur um China im Jahr 2010 zum fünftgrößten Quellenland von Direktinvestitionen im Ausland zu machen. Im Ergebnis ist laut den Zahlen der UN-Handels- und Entwicklungskonferenz UNCTAD der Anteil der chinesischen Investitionen an den gesamten globalen Auslandsanlagen von weniger als einem Prozent im Jahr 2001 auf mehr als fünf Prozent im Jahr 2010 gestiegen.

Die Statistiken weisen allerdings eine Reihe von Problemen auf: So werden nicht alle Investitionen chinesischer Unternehmen im Ausland erfasst, da sich kleinere Firmen der Registrierung ihrer Auslandstätigkeiten entziehen und auch nicht vollständig erfasst wird, wenn chinesische Unternehmen im Ausland dort Gewinne reinvestieren. Andererseits zeigt das vom chinesischen Handelsministerium 2011 veröffentlichte „2010 Statistical Bulletin of China’s Outward Foreign Direct Investment“: Der größte Teil der in den Statistiken erfassten Investitionen– 2010 waren es 70 Prozent – fließt nach Hongkong und in Steueroasen wie die Virgin und Cayman Islands oder Luxemburg. Dieses Kapital fließt teilweise weiter in Drittländer, häufig aber auch wieder als „Investitionen aus dem Ausland“ nach China zurück (sogenanntes round tripping). Andere Statistiken zu chinesischen Auslandinvestitionen wie der China Investment Tracker der US-amerikanischen Heritage Foundation erfassen Investitionen erst ab einer bestimmten Größe. Sie bestätigen den Wachstumstrend, verzerren aber das Gesamtbild zugunsten von Großprojekten und staatlichen Unternehmen.

Geschäftsgebaren schadet Chinas Image

Anhand dieser Statistiken lässt sich eine Frage nicht klären: Ist der jüngste Boom der chinesischen Investitionen auf eine aktive Steuerung durch die chinesische Regierung zurückzuführen, die chinesischen Unternehmen vorschreibt, wann sie wo und wie investieren sollen? Oder doch eher auf unternehmerische Entscheidungen? In letzterem Falle wäre der Hauptgrund für den raschen Anstieg der Auslandsinvestitionen die Liberalisierung des Kapitalexports, also der Wegfall früherer Beschränkungen und bürokratischer Hürden. Der Anstieg wäre also mehr eine nachholende Entwicklung in Folge der Liberalisierung als Ausdruck einer neuen chinesischen Geostrategie.

Für beide Deutungen lassen sich Argumente finden. Für die Auffassung, dass die lenkende Hand des Staates dahinter steht, spricht die Tatsache, dass es sich zumindest bei den statistisch erfassten Investitionen mehrheitlich – der Anteil liegt über 70 Prozent– um solche handelt, die von der Zentralregierung genehmigt werden müssen. Allerdings sind die investierenden Unternehmen deswegen nicht unbedingt rein staatliche. Die Staatsunternehmen überwiegen in Branchen wie Bergbau, Finanzen und Infrastruktur. Diese Branchen, in denen ein großer Einfluss des Staates vermutet werden muss, waren im Jahr 2010 für etwa 40 Prozent des chinesischen Investitionsbestands im Ausland verantwortlich.

Im produzierenden Gewerbe dagegen ist der Anteil von Firmen im Staatsbesitz, insbesondere im Besitz der Zentralregierung, in der Regel eher gering. Im Jahr 2010 hat die chinesische Regierung insgesamt mehr als 13.000 Unternehmen gezählt, die im Ausland in mehr als 16.000 Unternehmen investiert hatten. Die Mehrheit davon kam aus dem produzierenden Gewerbe oder dem Groß- und Einzelhandel (8367). Es ist nicht anzunehmen, dass die chinesische Regierung diese wirklich in ihren Investitionsentscheidungen steuern kann. Erstens würde das schon die Möglichkeiten der Regierung im Inland übersteigen. Viel schwerer wird noch die Kontrolle im Ausland. Zweitens stammt die Mehrheit dieser Unternehmen aus Küstenprovinzen wie Zhejiang, Fujian und Guangdong, deren wirtschaftliche Entwicklung von der wirtschaftlichen Liberalisierung und der daraus entstandenen Privatwirtschaft geprägt ist.

Drittens wäre die chinesische Regierung gar nicht gewillt, die Investitionsrisiken für all diese Unternehmen zu übernehmen. Ausdrücklich wird in den Bestimmungen zu Direktinvestitionen im Ausland von 2009 gesagt, dass die betriebswirtschaftliche Prüfung des Investitionsrisikos Aufgabe und Verantwortung der Unternehmen ist. Nicht zuletzt hört man in China immer wieder Klagen aus Regierungskreisen, dass chinesische Unternehmer im Ausland sich nicht angemessen „benehmen“, also durch ihr Geschäftsgebaren dem Image Chinas Schaden zufügten. Auch dies spricht nicht für eine autoritäre Zentralaufsicht über chinesische Investoren.

Chinesische Steuerzahler schauen kritisch darauf, was der Staat mit ihrem Geld macht

Es kann vielmehr als Faustregel gelten, dass Unternehmen, die im Ausland nicht offiziell unter dem Namen „China XX Company“ oder „Provinz XX Company“ auftreten, weitgehend unabhängig vom Staat handeln. Dagegen sind alle Unternehmen, die „China“ im Firmennamen tragen, der Zentralregierung unterstellt und alle Unternehmen, die einen Provinznamen in der Firmenbezeichnung tragen, der entsprechenden Provinz zugeordnet und gehören ihr in der Regel mehrheitlich. Auch bei diesen Unternehmen kann nicht immer unterstellt werden, dass sich die jeweils zuständige Regierungsebene unmittelbar in die Geschäfte einmischt. Aber man kann davon ausgehen, dass sie für die Unternehmen erreichbar ist, wenn es Probleme gibt.

Was folgt aus diesen Überlegungen für unsere Einschätzung chinesischer Unternehmen, die im Ausland investieren oder gar ausländische Firmen übernehmen? Es kommt auf den Einzelfall an. Chinesische Privatunternehmen aus dem produzieren-den Gewerbe werden in erster Linie vorgehen wie viele Konkurrenten im Markt: Sie orientieren sich an betriebswirtschaftlichen Kriterien. Das schließt nicht aus, dass sie sich, sofern sie eine bestimmte Größe haben, in kritischen Zeiten die Unterstützung von Banken oder ihrer (Lokal-) Regierung zu sichern versuchen. Das versuchen auch private Unternehmen anderer Marktwirtschaften. Investiert dagegen ein großes Staatsunternehmen in ein großes Projekt, so geht das nicht ohne Zustimmung der chinesischen Zentralregierung. Dieses Unternehmen kann sich einer politischen Unterstützung sicher sein, solange es nicht ökonomisch oder diplomatisch grob fahrlässig handelt.

Interessanterweise ist zu beobachten, dass die chinesische Politik diesen letzten Aspekt zunehmend im Blick hat. Denn die chinesischen Steuerzahler schauen kritisch darauf, was der Staat mit ihrem Geld im Ausland macht. In Libyen, Afghanistan und anderen Ländern hat die chinesische Regierung schon schmerzlich erfahren müssen, wie hoch die politischen Investitionsrisiken sein können. Die anhaltende Schuldenkrise in Europa wird ebenfalls als Risiko empfunden. Strategisch und sicher im Ausland zu investieren, ist in heutigen Zeiten nicht einfach – auch nicht für chinesische Unternehmen oder den chinesischen Staat.

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erschienen in Ausgabe 7 / 2012: Konzerne: Profit ohne Grenzen
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