Es gibt etliche stille Formen der Gewalt gegen fettleibige Menschen, sagt die brasilianische Journalistin Lívia Cruz, die selbst schon als Kind fettleibig war: „Sie haben Schwierigkeiten, einen Job zu bekommen, auch wenn sie eine angemessene Ausbildung haben, und auch, Freunde zu finden, weil die Gesellschaft über dicke Menschen lacht und sie abwertet.“ Über 85 Prozent der fettleibigen Brasilianer (mit einem Body-Mass-Index von 30 und mehr) gaben 2022 in einer Umfrage brasilianischer Fachvereinigungen an, dass sie schon einmal wegen ihres Körperumfangs unter Vorurteilen und Diskriminierung gelitten haben. „Im Alltag zeigt sich die Ausgrenzung dicker Menschen auch häufig an Drehkreuzen oder Sitzen in öffentlichen Verkehrsmitteln – dort haben sie in der Regel kaum Platz“, fügt die Journalistin hinzu.
Der Gesetzentwurf, der nun dem Nationalkongress vorliegt, zielt darauf ab, dicke Menschen vor diskriminierenden Praktiken zu schützen. Zu diesem Zweck soll die „Fatphobie“ in den Kreis der Straftaten aufgenommen werden, die in einem bereits geltenden Gesetz vorgesehen sind, das Strafen für Fälle von Diskriminierung aufgrund von Ethnie, Hautfarbe, Religion oder Herkunft vorsieht.
Armut und Fettleibigkeit gehen oft zusammen
Als wichtiger Grund für den Anstieg von Fettleibigkeit in Brasilien gilt, dass ein großer Teil der Bevölkerung arm ist und der Zugang zu gesunden Lebensmitteln teuer. Im Allgemeinen sind hoch verarbeitete und damit sehr salz- und fetthaltige Lebensmittel am billigsten. Zudem hat gerade die arme Bevölkerung weniger Zugang zu Sportstätten und sicheren Orten für die Freizeitgestaltung.
Autorin
Sarah Fernandes
ist Journalistin und Geografin in Brasilien. Sie berichtet über Menschenrechte und entwicklungspolitische Themen in Lateinamerika und Asien.Laut einer Umfrage der Bundesuniversität von Minas Gerais (UFMG) aus dem Jahr 2022 erklärte knapp die Hälfte von 174 online befragten übergewichtigen Personen, sie hätten Fettphobie am Arbeitsplatz erlebt; 60 Prozent fühlten sich bei Auswahlverfahren für Jobs benachteiligt, weil sie dick waren.
Auch der Zugang zur Gesundheitsversorgung ist ein Thema. Krankenhaustragen etwa können in der Regel bis zu 100 Kilogramm halten. „Sind die Patienten schwerer, muss das Gesundheitspersonal improvisieren“, erklärt die Wissenschaftlerin Franciellen Carneiro, die selbst fettleibig ist und sich gegen Diskriminierung engagiert. Für Carneiro ist es wichtig, dass der Kampf gegen Fettphobie mit Änderungen im Verhalten von Fachleuten aus den Bereichen Gesundheit, Mode und Werbung einhergeht.
"Das Gesetz bringt die Menschen zum Nachdenken"
Die Journalistin Cruz stimmt ihr zu: „Die Kulturindustrie verstärkt diese Normen. Auf diese Weise können sie mehr Produkte zur Gewichtsreduzierung und mehr verrückte Diäten verkaufen und extreme Schlankheit romantisieren“, erklärt sie. „Es ist einfach, eine sportliche Person in eine Werbung zu setzen, aber es wäre revolutionär, eine dicke Person zu zeigen.“
Cruz glaubt nicht, dass das vorgeschlagene Gesetz der Fettphobie ein Ende setzen wird. Genauso wenig habe das Gesetz, das LGBT-Phobie oder Rassismus unter Strafe stellt, die Hassreden gegen diese Gruppen beendet. „Aber ich glaube, dass die Möglichkeit, sich zu beschweren, die durch ein Gesetz unterstützt wird, die Menschen zum Nachdenken anregen wird, bevor sie sich feindlich gegenüber dicken Menschen äußern.“
Im Allgemeinen hält ein Teil der brasilianischen Bevölkerung das Gesetzesvorhaben für richtig und erkennt dessen Bedeutung an, während der andere Teil in dem Vorgehen eine ungerechtfertigte Forderung einer einzelnen Gruppierung sieht. Der Termin für die Abstimmung im Kongress muss allerdings erst noch angesetzt werden.
Aus dem Englischen von Barbara Erbe.
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