Die Idee, das Wirtschaftswachstum zu stoppen oder sogar umzukehren – Degrowth –, hat unter etlichen Ökonomen und Ökologen im globalen Norden stark Fuß gefasst. Die Anhänger von Degrowth kritisieren, dass das Streben nach Wachstum um jeden Preis zu wachsenden Umweltschäden und globaler Ungleichheit führt. Obwohl die Vertreter dieses Ansatzes Klima- und Umweltgerechtigkeit für Afrika fordern, bin ich der Meinung, dass Degrowth den Zielen nachhaltiger Entwicklung und der Armutsbekämpfung in Afrika schadet und das Risiko birgt, die Ungerechtigkeit beim Klimaschutz zulasten Afrikas zu verstärken.
Afrika trägt weniger als fünf Prozent zu den weltweiten Treibhausgasemissionen bei, ist aber stark vom Klimawandel betroffen, der auf dem Kontinent heute schon zu Migration, Ressourcenkonflikten und wachsender Armut führt. Der Klimawandel äußert sich außerdem in der Ausbreitung von Wüsten, unregelmäßigen Regenfällen, steigenden Temperaturen und dem Anstieg des Meeresspiegels. Diese Umweltveränderungen verschärfen Probleme wie Ernährungsunsicherheit, Wasserknappheit und wirtschaftliche Instabilität und haben weitreichende soziale und geopolitische Folgen.
Konflikte um schwindende natürliche Ressourcen wie Wasser und Ackerland spitzen sich vor allem in Regionen wie dem Tschadseebecken zu, wo der Klimawandel den Wassermangel und den Wettbewerb zwischen Bauern, Hirten und Fischern um das kostbare Nass verschärft hat. Diese Konflikte überschneiden sich häufig mit ethnischen und politischen Spannungen, was zu weit verbreiteter Instabilität und Gewalt führt. Der Klimawandel vergrößert auch die Armut, indem er wichtige Wirtschaftssektoren wie die Landwirtschaft untergräbt, in der über 60 Prozent der afrikanischen Arbeitskräfte beschäftigt sind. Durch unvorhersehbare Wettermuster und sinkende Ernteerträge sind Millionen von Menschen von Hunger und Elend bedroht.
Im Fokus der globalen Debatten über Klimagerechtigkeit
Über 70 Prozent der afrikanischen Bevölkerung haben keinen Zugang zu Elektrizität, und die meisten sind auf Biomasse wie Holz als Energiequelle angewiesen. In Afrika müssen Armutsbekämpfung und der Klimaschutz in Einklang gebracht werden; deshalb steht der Kontinent im Fokus der globalen Debatten über Klimagerechtigkeit. Die Frage stellt sich: Sollte Degrowth oder aber grünes Wachstum das bevorzugte Wirtschaftsparadigma für Afrika sein?
Autor
Chukwumerije Okereke
ist Professor für Global Governance und Public Policy an der School of Policy Studies der Universität Bristol.Es besteht kein Zweifel, dass das vorherrschende neoliberale kapitalistische Wirtschaftssystem mit seinem Fokus auf Profit um jeden Preis keine gute Grundlage für das Streben nach einer globalen nachhaltigen Entwicklung ist. Das Konzept der Nachhaltigkeit erfordert stattdessen ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Zielen. Es erfordert auch, immaterielle Werte stärker zu betonen, etwa Spiritualität, Gemeinschaft, Ästhetik, Empathie und Verantwortungsbewusstsein.
Sowohl grünes Wachstum als auch der Verzicht auf Wachstum sind Ideen in der Suche nach einem alternativen Wirtschaftsparadigma wegen der globalen Umwelt- und Klimakrise. Beide Konzepte zielen darauf, den Verbrauch natürlicher Ressourcen zu reduzieren und die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu beenden. Beide versuchen, Gleichheit, Gerechtigkeit und alternative Produktions- und Konsummodelle im Streben nach globaler und regionaler Nachhaltigkeit zu fördern. Obwohl also Degrowth und grünes Wachstum dieselben Ziele haben, passen sie nicht gleich gut zu Afrika.
Mit Degrowth keine Entwicklung in Afrika
Degrowth zielt darauf, die Weltwirtschaft zu verkleinern, um die ökologischen Grenzen einzuhalten und die Nachhaltigkeit zu fördern. Das beruht auf der Ansicht, dass es nicht möglich ist, Treibhausgasemissionen und Umweltschäden so stark und so schnell vom Wirtschaftswachstum zu entkoppeln, wie es nötig wäre, um das Pariser Klimaschutzabkommen zu erfüllen. Das Problem ist allerdings, dass die afrikanischen Volkswirtschaften starkes Wachstum benötigen, um die Armut zu lindern und die Widerstandsfähigkeit gegen Folgen des Klimawandels zu stärken, und es ist nicht klar, wie dies unter einem globalen Degrowth-Szenario erreicht werden kann.
Im Jahr 2024 lebten rund 429 Millionen Menschen in Afrika unterhalb der Armutsgrenze von 2,15 US-Dollar pro Tag, das sind mehr als ein Drittel der Gesamtbevölkerung des Kontinents. Afrika braucht Wachstum, damit es Eisenbahnlinien bauen kann, die die Verkehrsemissionen begrenzen, und um große Krankenhäuser zu errichten, die dazu beitragen, die als Folge des Klimawandels angespannte Gesundheitssituation zu verbessern. Es braucht Wachstum, um die landwirtschaftliche Produktion durch Mechanisierung voranzubringen und um Universitäten von Weltrang zu errichten, die Forschung und Innovation stärken.
Führende Degrowth-Wissenschaftler sind sich dessen bewusst und argumentieren deshalb, vor allem Europa und andere Industrieländer wie die USA, Südkorea und Kanada sollten auf Wachstum verzichten. Das könnte ein Kompromiss sein. Dennoch besteht die Gefahr, dass Degrowth in den westlichen Ländern der wirtschaftlichen Entwicklung auch in Afrika schaden könnte. Afrika ist mit anderen Teilen der Welt eng verflochten, viele sind wichtige Ziele für Afrikas Exporte. Wenn der globale Norden mit Degrowth ernst macht, ist es wahrscheinlich, dass sich Regierungen dort auf den Schutz der Lebensgrundlagen ihrer Bevölkerung konzentrieren, während Afrika sich selbst überlassen bleibt.
Die Kluft zwischen Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit überbrücken
Daher ist eine starke Version des grünen Wachstums, die den Schwerpunkt auf soziale Gerechtigkeit, technologischen Fortschritt und globale Zusammenarbeit legt, besser geeignet, in Afrika nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung zu gewährleisten. Strukturelle Reformen des globalen Wirtschaftssystems sind erforderlich, um Gerechtigkeit und Umverteilung zu einem zentralen Bestandteil einer solchen starken Version von grünem Wachstum zu machen. Schuldenerlasse, die Finanzierung von Verlusten und Schäden als Folge des Klimawandels und die gerechte Verteilung von Ressourcen sind für die Verwirklichung von Klimagerechtigkeit entscheidend. Darüber hinaus müssen radikale Demokratie und partizipative Entscheidungsfindung gefördert werden, um die Kluft zwischen ökologischer Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit zu überbrücken.
Das Degrowth-Konzept enthält zwar wertvolle Kritik am derzeitigen Wirtschaftssystem, doch fehlen ihm Ansatzpunkte, wie Afrikas dringender Entwicklungsbedarf gedeckt werden soll. Grünes Wachstum ist besser geeignet, Klimagerechtigkeit in Afrika zu fördern. Um aber wirklich von Gerechtigkeit sprechen zu können, müssen systemische Ungleichheiten beseitigt werden. Und es muss sichergestellt werden, dass Nachhaltigkeitsinitiativen historische Ungerechtigkeiten nicht fortschreiben.
Aus dem Englischen von Tillmann Elliesen.
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