Mit einem Lächeln im Gesicht hält die Transfrau Ishani Choudhary ihr Smartphone mit einem QR-Code auf dem Bildschirm in der Hand, während sie an einer belebten Kreuzung geduldig darauf wartet, dass die Ampel auf Rot springt. Die 26-Jährige, die in einem Slum in der Nähe lebt, bettelt seit fünf Jahren in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi, um über die Runden zu kommen. Einen Job hat sie wegen der regelmäßigen Schikanen und Diskriminierungen, denen die Trans-Gemeinschaft ausgesetzt ist, nicht, sagt sie. Sobald die Ampel auf Rot schaltet und die Fahrzeuge anhalten, geht Choudhary schnell zwischen ihnen hindurch, um nach Geld zu fragen. Bald scannt ein Fahrgast in einem Bus den Code, und sie erhält sofort 20 Rupien auf ihr Konto, während ein anderer Pendler ihr eine Fünf-Rupien-Münze in die Hand gibt. Choudhary bekommt so täglich zwischen 400 und 500 Rupien, was etwa fünf Euro entspricht, die meist digital bezahlt werden.
Nachdem Indiens Regierungschef Narendra Modi 2016 plötzlich alle 500-1000 Rupien-Banknoten für ungültig erklärt hat, um so Schwarzgeld, Korruption und Geldfälscherei zu bekämpfen, hat der digitale Zahlungsverkehr in ganz Indien deutlich zugenommen. Die Covid-19-Pandemie befeuerte diese Entwicklung weiter.
Weniger Stigmatisierung von Transpersonen
Für Transpersonen - laut dem indischen Sozialministerium identifizieren sich knapp 500.000 Menschen im Land als Transgender – hat das etwas Gutes. Denn die Digitalisierung des Zahlungsverkehrs habe Diskriminierung und Stigmatisierung bis zu einem gewissen Grad ein Ende gesetzt, berichtet Choudhary. „Früher beschimpften und verspotteten uns viele Leute, bevor sie uns Geld gaben, auch wenn sie uns grundsätzlich helfen wollten. Jetzt geben sie uns das Geld ohne Worte aus der Ferne.“ Außerdem sei eine virtuelle Geldbörse sicherer, erklärt sie, während sie einen streunenden Hund füttert. Vor ein paar Jahren habe ihr ein Teenager ihre gesamten Tageseinnahmen gestohlen. „Ich habe mich nicht beschwert, weil ich wusste, dass es nichts bringt und nur mein Trauma vergrößert. Jetzt, durch die digitalen Zahlungen, fühle ich mich sicher. Selbst wenn ich mein Handy verliere oder es gestohlen wird, behalte ich mein Geld.“ Zwar hat der Oberste Gerichtshof Indiens im Jahr 2019 die Existenz der Transgender-Gemeinschaft anerkannt und deren Schutz vor Verbrechen und Diskriminierung angemahnt. Allerdings hat das kaum dazu beigetragen, die Stigmatisierung einzudämmen.
Auf der anderen Straßenseite bettelt Choudharys Freundin, die nicht namentlich genannt werden möchte. Sie ist ebenfalls eine Transfrau, die von ihrer Familie rausgeworfen wurde, weil sie sich als Transperson identifizierte. Im Gegensatz zu Chaudhary hat sie kein Bankkonto: „Jedes Mal, wenn mir dieselben Fragen zu meinem Geschlecht gestellt werden, nimmt mich das psychisch sehr stark mit.“ Jetzt benutzt sie den QR-Code ihrer Freundin, die ihr eine Provision für den täglichen Geldeingang berechnet. „Zweifellos bin ich eine Bettlerin, aber ich bin auch ein Mensch wie jeder andere“, sagt sie später, als sie an einem Stand am Straßenrand Tee trinkt.
Aus dem Englischen von Barbara Erbe.
Shoaib Mir kommt aus dem indischen Teil von Kaschmir und ist freier Journalist in Neu Delhi. Er arbeitet unter anderem für Al Jazeera, Foreign Policy, ITV, die Japan Times, CBC.
Parthu Venkatesh arbeitet als freier Journalist in Neu Delhi, unter anderem für in Al Jazeera, WMC, die Japan Times und das Online-Magazin Slate.
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