Die Regierung von Gustavo Petro will Kolumbiens Wirtschaft von der Ausrichtung auf Rohstoffexport und fossile Energie wegbringen. Ist das schwierig?
Ja. Die staatlichen Institutionen und das Rechtssystem Kolumbiens sind so gestaltet, dass sie alle extraktiven Sektoren schützen: Erdöl, Erdgas und Bergbau, hier allem von Kohle. Die Volkswirtschaft ist vom Rohstoffsektor abhängig, ebenso wie der Staatshaushalt. Zum Beispiel fließt von den Förderzinsen, die der Staat von den Öl-, Gas- und Kohlefirmen bekommt, ein Großteil an Lokalregierungen oder in lokale Entwicklungsprogramme. Außerdem hängen die Steuereinnahmen von diesen Förderzinsen sowie von den Profiten des kolumbianischen, gemischt staatlich-privaten Ölkonzerns ECOPETROL ab. Präsident Petro will davon wegkommen und insbesondere die fossilen Energien ersetzen – sowohl in der heimischen Nutzung als auch im Export. Die meiste Kohle wird exportiert; das Erdgas nutzen wir selbst in der Stromversorgung, in Haushalten, in einigen Fahrzeugen und in Industriezweigen wie der Düngerproduktion. Der Präsident hat einige radikale Entscheidungen getroffen: erstens keine Suche nach neuen Öl- und Gaslagerstätten mehr zu erlauben und zweitens die Gebiete, in denen Kohle abgebaut wird, nicht auszuweiten. Das ist ein Signal, dass wir ernsthaft das Klima schützen wollen, und gleichzeitig der Anstoß, die Wirtschaft auf neue Grundlagen zu stellen.
Sinken die Einnahmen aus Förderlizenzen, obwohl die laufende Öl-, Gas- oder Kohleerzeugung nicht gestoppt ist?
Wir wissen nicht, ob sie schon gesunken sind, sie werden nur alle zwei Jahre berechnet. Aber wenn heute keine neuen Konzessionen vergeben werden, wird irgendwann, zum Beispiel in fünf Jahren, die Summe der Förderlizenzen sinken. Außerdem hängen sie stark von den Preisen der Fossilen auf dem Weltmarkt ab, und die Regierung Petro geht davon aus, dass der mit der Zeit sinken wird. Denn wichtige Verbraucher wie Europa brauchen immer weniger Kohle und Öl, weil sie erneuerbare Energien ausbauen und den Verkehr elektrifizieren.
Gehen die Förderlizenzen vor allem in Gebiete, wo Öl, Kohle oder Gas gefördert wird?
Ein großer Teil. Aber das System ist stark von Korruption belastet. Eigentlich sollten die Förderlizenzen vom Staat vereinnahmt und dann zum Teil in die Gebiete zurückverteilt werden, wo sich die Minen befinden. Dort ist allerdings jede Entwicklung ausgeblieben. Ein Grund dafür ist, dass die Vorhaben der örtlichen Regierungen nicht den Erwartungen der Menschen dort entsprachen. Ein anderer ist, dass ein Großteil des Geldes von den lokalen Regierungen gestohlen wurde. So haben nach langen Jahren der Förderung die dortigen Gemeinden keinen Nutzen davon. Im Gegenteil, sie sind den schädlichen Umweltfolgen ausgesetzt.
Wie will Kolumbien neue Quellen für Staatseinnahmen finden und neue Grundlagen für die Volkswirtschaft?
Präsident Petro hat klar gemacht, dass Kolumbien internationale Unterstützung in Form einer Schuldenumwandlung benötigt. Die Regierung braucht finanziellen Spielraum, um die sozialen Bedingungen für ein Ende des Krieges im Land zu schaffen und den Druck auf die Umwelt zu mindern. Einer der wichtigsten Schritte muss sein, internationale Schulden umzuwandeln in Geld, das in Kolumbien dem Klimaschutz zugutekommt und den Gemeinschaften, die in ihrem Lebensraum Ökosysteme schützen.
Und hat Kolumbien Schuldenumwandlungen erhalten?
Nein. Dafür ist Präsident Petro auch auf der UN-Biodiversitätskonferenz in Kolumbien im Oktober eingetreten, aber die Verhandlungen mit den Geberländern sind sehr schwierig. Das zeigt, wie sehr das internationale Finanzsystem Länder im Süden einzwängt und dass es verändert werden muss. Leider ist es sehr schwer, eine globale Verständigung zu erreichen, dass der globale Norden seine ökologischen Schulden im Süden abträgt, oder auch die aus der Kolonialzeit stammende Schuld.
Abgesehen von internationaler Unterstützung – was soll statt der Rohstoffe die Grundlage der kolumbianischen Wirtschaft werden?
Die Regierung fördert andere Wirtschaftsbereiche, die vorher vernachlässigt worden sind. Der erste ist Tourismus. Besonders interessiert sind wir an grünem Tourismus, der lokale Gemeinschaften bei der Bewahrung von Landschaften und Ökosystemen unterstützt. Dieser Tourismus ist in den vergangenen zwei Jahren stark gewachsen und hat den Rückgang der Deviseneinnahmen aus dem Export fossiler Energie ausgeglichen. Er ersetzt aber nicht die Staatseinnahmen aus Förderlizenzen, die gibt es im Tourismus ja nicht. Der zweite Sektor, den die Regierung Petro produktiver machen will, ist die Landwirtschaft – in erster Linie nicht große Plantagen, sondern die kleinbäuerliche Landwirtschaft. Auch eine Industrialisierung strebt sie an.
In welchen Sektoren?
Weiterverarbeitung von Agrarprodukten sowie grüne Energien. Die Erzeugung von Strom aus Erneuerbaren soll ausgeweitet werden, um lokale Wirtschaftskreisläufe anzuregen.
Grüner Strom für den eigenen Verbrauch?
Ja, aber nicht nur. Kolumbien hat großes Potenzial, zusätzlich auch grünen Strom für den Export zu erzeugen – zum Beispiel im Norden, in Wüsten nahe der Karibik. Dann können irgendwann die Stromnetze Amerikas verbunden werden. Es laufen Planungen dafür mit Panama und wir exportieren schon Strom nach Ecuador, in Zukunft vielleicht auch nach Nordamerika. Außerdem wird, wenn wir Strom über unseren Bedarf hinaus erzeugen, die Produktion von grünem Wasserstoff möglich – aber erst mittelfristig, nicht in nächster Zeit.
Auf welche Widerstände stoßen die Versuche, umzusteuern? Hat die Regierung eine Mehrheit im Parlament?
Nein, das ist Teil der vielen Schwierigkeiten. Das Parlament ist gespalten in Anhänger und Gegner der Energiewende; es gibt dort Gruppen, die die fossile Ökonomie schützen. Aber auch die Anhänger sind nicht alle dafür, den Kohleabbau einzuschränken: Eine Gruppe tritt stattdessen dafür ein, dass wir zunächst alle Rohstoffe weiter ausbeuten und mit dem Geld daraus die Transition finanzieren.
Welche Widerstände kommen aus der Gesellschaft?
In der Landwirtschaft sind die großen kolumbianischen Firmen gegen den Reformkurs. Bei Öl und Gas ist es komplizierter, weil die Hälfte davon in Kolumbien ECOPETROL fördert, an dem der Staat beteiligt ist. Die andere Hälfte fördern ausländische Konzerne. Und beim Bergbau gibt es im Goldbergbau viele Kleinschürfer, aber der Kohleabbau ist fast völlig in der Hand transnationaler Konzerne, die eigene Interessen verfolgen.
Wie stehen lokale Eliten, die Nutznießer von Bergbau oder Öl- und Gasförderung sind, zu Petros Kurs?
Da gibt es Widerstand, weil es für Menschen schwierig ist, sich eine Zukunft außerhalb des Gewohnten vorzustellen – ohne die Industrien, die in den vergangenen drei Dekaden aufgebaut wurden. Aber das kann man mit Überzeugungsarbeit und lokaler Beteiligung ändern. Da liegt nicht das Hauptproblem. Auch nicht bei lokalen Regierungen. Die mögen Angst haben, dass sie keinen Ersatz für Investitionen an ihrem Ort finden, aber wenn man ihnen eine Alternative aufzeigen kann, werden sie am Aufbau mitmachen. Der größte Widerstand kommt von den Firmen, die den fossilen Wirtschaftssektor beherrschen. Die machen Lobbyarbeit gegen Reformen. Und dann gibt es politische Eliten, die opponieren. Kolumbien ist zweihundert Jahre lang von denselben Familien regiert worden, und die haben die Regeln für die Wirtschaft gemacht. Einige dieser Familien sind auch mit Kapitalinteressen im Ausland verbandelt.
Wie will die Regierung Unterstützung für Reformen mobilisieren?
Wir haben einen guten Austausch mit Gewerkschaften, auch mit Arbeitern aus den extraktiven Industrien. Wir kümmern uns um informelle Goldschürfer, die daran interessiert sind, dass ihre Arbeit formalisiert wird. Unterstützt werden wir natürlich von Gemeinden, die mit Schäden des Bergbaus zu tun haben. In den meisten ländlichen Gebieten haben wir eine Menge Rückhalt oder kommen zumindest in einen konstruktiven Dialog, ebenso in Arbeitervierteln der Städte. Aber das Tempo von Veränderungen ist ein Problem: Wie schnell können wir Institutionen und Gesetze ändern, zumal wir nicht die Mehrheit im Parlament haben? Dies ist die erste linke Regierung in Kolumbien, und man kann nicht alles in vier Jahren ändern. Es gilt, einen Prozess in Gang zu setzen.
Das Gespräch führte Bernd Ludermann am Rande der Konferenz „Development beyond Growth“ in Bonn.
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