Die Proteste haben Wirkung gezeigt: Im Mai hat der peruanische Kongress nach langem Ringen ein wichtiges Gesetz zugunsten der indigenen Bevölkerung verabschiedet. Danach müssen Regierungsstellen und Privatunternehmen den Bau von Staudämmen, Straßen oder Häfen, die Gewinnung von Rohstoffen sowie sämtliche öffentlichen Verwaltungsvorgänge mit Auswirkungen auf indigene Gemeinschaften im Voraus mit der Bevölkerung abstimmen. Jahrelang hatten indigene Organisationen mit Streiks, Straßenblockaden und Besetzungen von Ölplattformen ihr Mitspracherecht gefordert. Im vergangenen Juni hatte es sogar Tote, Verletzte und Verhaftungen gegeben. Der indigene Widerstand schaffte es in die Schlagzeilen der internationalen Presse.
Nun muss Präsident Alan García das Gesetz noch unterzeichnen. Doch selbst wenn er seine Unterschrift verweigert, hätte der peruanische Kongress in einer zweiten Abstimmung die Möglichkeit, das Gesetz auch gegen seinen Willen zu verabschieden – ein Vorgang, den es in der Vergangenheit in Peru bereits mehrfach gegeben hat, wenn es um indigene Rechte ging. Damit würde ein erster wichtiger Schritt in Richtung auf eine gerechtere Entwicklung vollzogen, die nicht wie bisher nur einige Wenige begünstigt und die zudem auf die Akzeptanz der Betroffenen träfe. Allerdings ist noch unklar, wie das Gesetz in der Praxis verwirklicht wird.
Autorin
Angela Meentzen
ist promovierte Soziologin und freie Gutachterin für die internationale und deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit langjähriger Forschungs- und Arbeitserfahrung in Peru.Das neue Gesetz überträgt die internationale Konvention zum Schutz der Rechte indigener Völker in nationales Recht; Peru hatte sie bereits 1994 ratifiziert. Ebenfalls auf Druck indigener Organisationen musste der peruanische Kongress zuvor einen Teil eines bereits verabschiedeten Gesetzespakets zum neuen Freihandelsabkommen mit den USA wieder aufheben: Die Gesetze waren nicht der Konvention entsprechend mit den betroffenen indigenen Völkern abgestimmt, deren Rechte stark eingeschränkt worden wären. Im Prinzip sind ohnehin alle von Peru ratifizierten internationalen Konventionen verfassungsrechtlich verbindlich. Doch der Rohstoffboom und die neuen Freihandelsabkommen der vergangenen Jahre hatten schon mehrfach Versuche zur Folge, die Rechte indigener Gemeinschaften zur Nutzung von Land und natürlichen Ressourcen zugunsten von privaten Investitionen einzuschränken.
Die Regierung von Präsident Alan García fördert private Investitionen insbesondere bei der Ausbeutung und beim Export von Bodenschätzen und verfolgt eine Politik der radikalen Marktöffnung. Dank der hohen Weltmarktpreise kletterte Peru in wenigen Jahren an die Spitze der Länder Lateinamerikas mit dem höchsten Wirtschaftswachstum. Die Rechte von Kleinbauern, indigenen Gemeinschaften und anderen Bevölkerungsgruppen wurden dabei nur als Hindernisse auf dem Weg zu mehr Gewinn gesehen. Eine Einschränkung dieser Rechte bedroht jedoch die Existenz ganzer Völker.
García hat in mehreren Artikeln alle, die derzeit nicht vom Freihandel und vom Rohstoffboom profitieren und die Politik der Regierung kritisieren, als „neidische Hunde“ bezeichnet. Sie stünden einer Entwicklung des Landes im Wege, weil sie niemandem etwas gönnten, nicht einmal sich selbst. Hinter dieser Diffamierung verbirgt sich auch die Sorge, dass die Korruption von Regierungsmitgliedern bei der Vergabe von Konzessionen und staatlichen Garantien für private Investoren aufgedeckt werden könnte. Zwei Ministerräte mussten bereits aufgrund von Korruptionsskandalen zurücktreten, und auch der Präsident steht im Verdacht, Unternehmer begünstigt zu haben.
Der indigene Widerstand in Peru zeigt, welche schädlichen Auswirkungen die hohen Rohstoffpreise und der Wettbewerb der armen Länder auf dem Weltmarkt auf die Lebensbedingungen der Menschen, die Umwelt und das Klima haben. Besonders betroffen sind die Naturressourcen des Amazonastieflands. Dazu gehören Anbau- und Weideflächen, Sammel- und Jagdgebiete der indigenen Dorfgemeinschaften und Siedler aus dem Hochland sowie Urwälder, Tropenholz, Koka-Pflanzen, Öl, Gas, Gold, Wasserquellen und Wasserstraßen. Die Lebensumstände von Menschen, Tieren und Pflanzen verschlechtern sich seit den 1960er Jahren rapide. Trinkwasser und Anbauflächen werden verseucht, ansteckende und unheilbare Krankheiten breiten sich aus, der Fisch- und Wildbestand wird dezimiert und die große ökologische Vielfalt geopfert.
Die Lebensweisen und Kulturen von 60 indigenen Völkern mit geschätzten 400.000 Einwohnern im peruanischen Amazonasgebiet sind besonders bedroht. Denn sie leben weitgehend in ländlichen Dorfgemeinschaften ohne Strom, Wasser oder Abwasserentsorgung und ohne Zugang zu Straßen und sind von einer gesunden Natur abhängig, um ihr Überleben zu sichern. Peru zählt zu den Ländern mit der höchsten Artenvielfalt, die aber derzeit durch den Rohstoffboom, die illegale Abholzung der Wälder und durch Monokulturen für den Drogenanbau und von Pflanzen für Biodiesel rapide reduziert wird.
In Peru liegt nur ungefähr ein Drittel des gesamten Amazonasbeckens. Dieser Teil war in der Vergangenheit wenig attraktiv für Investoren, weil auf dem Weg dorthin große Entfernungen auf schlechten Straßen sowie die hohen Berge der Anden überwunden werden mussten. Deshalb gibt es hier noch mehr Urwald als in Brasilien. Doch seit die Weltmarktpreise für Rohstoffe stark gestiegen sind, hat sich Peru zu einem interessanteren Standort entwickelt, zumindest für kleinere Unternehmen, von denen viele nicht mehr wie früher aus den USA oder Europa kommen, sondern aus China, Argentinien oder Brasilien.
Insbesondere die brasilianische Regierung hat nach der Abholzung der eigenen Urwälder in den vergangenen Jahren das peruanische Amazonasgebiet als wichtiges Hinterland für die Versorgung mit Energie, Holz, Soja und für die Viehzucht entdeckt. Chilenische Investoren wiederum eröffnen Supermärkte in Orten, die von der erhöhten Kaufkraft von Minen- und Ölarbeitern profitieren. Während die Landwirtschaft für den Export vor allem an der Küste floriert, bleiben die Kleinbauern im Landesinneren isoliert und weitgehend vom Markt ausgeschlossen.
Viele Rückzugsgebiete der Indigenen drohen für die Stromgewinnung von acht geplanten Stauseen überflutet und infolge von Straßen- und Hafenausbauten für Bodenspekulanten, Holzfirmen und Drogenhändler geöffnet zu werden. Selbst in den unzugänglichen Grenzgebieten des Amazonasgebiets zu Ecuador, Kolumbien, Brasilien und Bolivien, in denen es noch schätzungsweise 14 indigene Völker gibt, die inzwischen offiziell als „nicht kontaktierte und in freiwilliger Isolation“ lebende Sammler, Jäger und Fischer sogar rechtlich anerkannt wurden, schreitet die Ausrottung von ganzen Völkern, Kulturen und Sprachen unaufhaltsam voran. Als Reaktion auf diese Bedrohung haben sich die mehr als 1300 indigenen Dorfgemeinschaften im Amazonasgebiet seit den 1970er Jahren auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene organisiert. Zwei Dachverbände, AIDESEP und CONAP, haben eine ganze Reihe von bisher fehlenden staatlichen Dienstleistungen durch Selbstorganisation ersetzt oder bieten sie gemeinsam mit staatlichen Institutionen und internationalen Entwicklungsorganisationen an. Bis in weit abgelegene Regionen wurden ein zweisprachiger Schulunterricht, eine Gesundheitsversorgung einschließlich Fortbildung und Beteiligung indigener Heiler und Heilerinnen eingerichtet sowie an einer lokalen Trinkwasserversorgung gearbeitet. Das ist kostspielig und erfordert ein großes Durchhaltevermögen, da viele Orte nach wie vor nur nach tagelangen Reisen zu erreichen sind.
Die Konflikte um indigene Rechte, die sich in den vergangenen drei Jahren noch einmal verschärft haben, haben vor allem den Anfang der 1980er Jahre gegründeten Dachverband AIDESEP auf eine harte Probe gestellt. Gegen etliche Führer wurden Haftbefehle ausgestellt, einige mussten ins Exil gehen. Es gab Tote und Verwundete bei Protesten, radikale Kräfte nahmen auf Ölplattformen Sicherheitskräfte als Geiseln; auch Polizisten kamen zu Tode. Die Organisation musste Vorwürfen der Öffentlichkeit sowie Strafanzeigen und Gerichtsverfahren entgegentreten, Vorstandsmitglieder ersetzen, sich um Verfolgte und Verwundete sowie deren Familien kümmern und unzählige Untersuchungskommissionen von Ministerien, Justiz und Kongress mit Informationen und Beweisen versorgen.
Zugleich gelang es jedoch den indigenen Gemeinschaften mit ihren Protesten im vergangenen Jahr wie noch nie zuvor in der Geschichte des Landes, die öffentliche Meinung und die aktive Unterstützung der Mehrheit der städtischen Bevölkerung im Amazonasgebiet für sich zu gewinnen. Auf Druck der Vereinten Nationen sowie internationaler Menschenrechts- und Umweltorganisationen sah sich die Regierung nach zwei Jahren Verweigerung nun nach der Unterzeichnung des Freihandelsabkommens mit den USA im Herbst 2009 zu einem Dialog mit Vertretern der Indigenen gezwungen, um ihr Gesicht zu wahren. Ein Ergebnis der Gespräche war das im Mai verabschiedete neue Gesetz. Ferner verständigten sich beide Seiten auf staatliche Förderungsmaßnahmen für indigene Völker und den Erhalt der Artenvielfalt im Amazonasgebiet. Zudem wurde die Erarbeitung eines Entwicklungsplans für indigene Völker unter Beteiligung der Betroffenen sowie aller relevanten staatlichen Institutionen gefordert. Das ist ein erster Schritt hin zu einer gezielten staatlichen Indigena-Politik, deren Umsetzung jedoch von der Bereitstellung geeigneter und ausreichender finanzieller und personeller Ressourcen abhängt.
Ende Mai konnte nun auch der letzte Führer von AIDESEP, Alberto Pizango, aus Nicaragua nach Peru zurückkehren. Nach mehr als einem Jahr im Exil stellte er sich der peruanischen Justiz, nachdem von mehr als einem Dutzend Haftbefehlen gegen ihn nur noch einer übrig geblieben war. Er wurde gegen Auflagen auf freien Fuß gesetzt und wartet nun darauf, ob auch die letzte Anklage fallen gelassen oder ob ihm der Prozess gemacht wird. Mit seiner Rückkehr, sagte er einem Radiosender, wolle er zur Versöhnung beitragen.