"Der Westen ist geblendet von alten Stereotypen"

picture alliance / Xinhua News Agency/Wang Chunyan
Chinesen und Sambier feiern Ende Mai 2024 die Grundsteinlegung für die Straße der Freundschaft zwischen Sambia und China in Lusaka, Sambia. China investiert seit Jahren in sehr große Infrastrukturprojekte in Sambia, zum Beispiel in Flughäfen, Straßen und Stadien.
China in Sambia
Chinesische Unternehmen finanzieren und bauen in vielen afrikanischen Staaten Straßen, Flughäfen oder Eisenbahnen - auch in Sambia. Doch das Land kann die Schulden nicht zurückzahlen. Der Politikwissenschaftler Emmanuel Matambo erklärt, dass China keine „Schuldenfallendiplomatie“ treibt und rassistische Stereotype westliche Staaten in ihrer Afrika-Politik behindern.

Dr. Emmanuel Matambo ist Politikwissenschaftler und Research Director am Centre for Africa-China Studies der Universität Johannesburg. Er stammt aus Lusaka in Sambia. In seiner Dissertation an der Universität KwaZulu-Natal hat er die sambisch-chinesischen Beziehungen untersucht.

In Sambia sieht man überall die Logos chinesischer Unternehmen. Sind die auf dem Vormarsch?
Ja, es gab in den vergangenen Jahren tatsächlich hohe chinesische Investitionen in die sambische Infrastruktur – und sie blicken auch schon auf eine lange Tradition zurück. Die erste große Investition war die Tanzania-Zambia Railway (TaZaRa), die 1967 begonnen wurde. In letzter Zeit kam einiges dazu: Das neue internationale Terminal des Flughafens haben ab dem Jahr 2015 Chinesen gebaut. Eine neue Autobahn ebenfalls, und chinesische Firmen waren generell sehr engagiert im Ausbau des sambischen Straßennetzes. Auch Krankenhäuser haben sie gebaut, dann ab 2010 das Stadion in Lusaka und sogar die Grabstätte der sambischen Präsidenten.

Sind all diese Projekte sinnvoll?
Es gab sowohl sehr sinnvolle als auch verschwenderische. Ein Beispiel für überflüssige Ausgaben ist das neue Stadion. Auch die Grabstätte der Präsidenten halte ich für Verschwendung. Anders sieht es beim Straßenbau aus. Wenn ich als Kleinbauer Tomaten anbaue, halten die nach der Ernte maximal drei Tage. In dieser Zeit muss ich meine Produkte auf Märkten angeboten haben, sonst kann ich kein Geschäft machen. Gute Straßen helfen, attraktive Märkte schneller zu erreichen. Ich denke, die Straßeninfrastruktur, wie sie jetzt geschaffen wurde, wird den Sambiern langfristig helfen. 

Sambische Oppositionspolitiker unterschiedlicher Parteien haben in Wahlkämpfen mehrfach kritisiert, die jeweiligen Regierungen seien zu China-freundlich. Stimmt das? 
Die Sambier zählen zu den engagiertesten Demokraten auf dem afrikanischen Kontinent. In den vergangenen 30 Jahren gab es insgesamt sechs Staatspräsidenten, mehrfach hat die Macht zwischen konkurrierenden politischen Parteien gewechselt. Die Sambier sind also anspruchsvolle Wähler. Zugleich sind die sambischen Politiker, wie Politiker überall, politische Unternehmer, die Stimmen gewinnen müssen. Deshalb haben sie im Wahlkampf manchmal den chinesischen Einfluss übertrieben, verbunden mit dem Versprechen, diesen Einfluss zurückzudrängen, sobald sie selbst gewählt würden. Schon Michael Sata, der Präsident von 2011 bis 2014, warb mit einer anti-chinesischen Kampagne.

Seine Partei Patriotic Front hat aber nach ihrem Wahlsieg diese Meinung geändert und chinesischen Investoren den roten Teppich ausgerollt, oder? Michael Sata hatte im Wahlkampf sehr weitreichende Versprechen für den Ausbau der Infrastruktur gemacht. Weil China bereit war, die nötigen Investitionen zu tätigen, änderte er seine ursprünglich anti-chinesische Haltung. Er begann, eine Menge Schulden in China aufzunehmen, um die Projekte zu finanzieren. Als die Patriotic Front 2021 abgewählt wurde, lag mehr als ein Drittel der sambischen Verbindlichkeiten in China. Schon allein deshalb war die Patriotic Front während ihrer Amtszeit so eilfertig im Versuch, China zu gefallen.

Wie hat sich das geäußert? 
Bisweilen wurden Gesetzesverstöße chinesischer Unternehmen nicht ausreichend geahndet. So wurden beispielsweise sambische Arbeiter von ihren Unternehmen während der Covid-Pandemie an ihren Arbeitsplätzen in einem Zementwerk in Lusaka eingesperrt. Als der Bürgermeister von Lusaka diese Missstände kritisierte, sagte ein Minister, man solle Investoren nicht verschrecken.

Stimmt es, dass mit einigen chinesischen Großprojekten Korruption einherging? 
Die Preise für verschiedene Aufträge wurden künstlich überhöht. So konnten Gelder in die Taschen von korrupten sambischen Regierungsmitgliedern und Unternehmern geleitet werden. Insbesondere die Patriotic Front hat die Korruption auf skandalöse Höhen geführt. Aber dafür tragen nicht in erster Linie die Chinesen die Verantwortung, sondern wir Sambier selbst. Unternehmen reagieren darauf, wie stark die lokalen Institutionen sind. Sind sie zu schwach, werden Firmen das ausnutzen. Übrigens unabhängig davon, wo diese Unternehmen herkommen. 

Politiker im Westen befürchten, dass China sich den Zugriff auf Rohstoffe wie Kupfer sichert, die für Zukunftstechnologien benötigt werden. Warum haben nicht westliche Unternehmen hier in Infrastruktur investiert? 
Wer die chinesischen Investitionen in Sambia sieht, sollte nicht denken, dass Sambia mit der Bitte um diese Investitionen nicht auch auf den Westen zugegangen wäre. Doch sie wurden abgewiesen. Die Chinesen kamen nach Sambia, um über konkrete Infrastrukturprojekte zu sprechen. Als es anschließend Gespräche mit Vertretern westlicher Staaten gab, hatten die ein anderes Thema: China. Sie wollten die sambische Regierung vor China warnen. Aus der Perspektive vieler Afrikaner ergibt das keinen Sinn. Wir wissen selbst, was wir benötigen. 

Es fehlt an Augenhöhe? 
Es fehlt an Vertrauen. Das ist für viele Afrikaner ein Ärgernis. Der Westen wollte nicht glauben, dass Afrikaner eigenverantwortliche Entscheidungen treffen können. Immer wieder und andauernd waren Hilfe und Investitionen mit Konditionen verknüpft, die auf der Annahme beruhen, Afrika müsse an der Hand gehalten werden. Der Westen war geblendet von eigenen alten Stereotypen. Regierende im Westen sahen Afrika als dunklen Kontinent, von dessen Bewohnern man kaum rationale Entscheidungen erwarten konnte. Das ist einfach falsch – und es ist sehr beleidigend.

Haben westliche Regierungen in der Vergangenheit den Fokus zu sehr auf gute Regierungsführung und institutionelle Reformen gesetzt statt auf Projekte wie den Straßenbau? 
Ich glaube fest an eine rechenschaftspflichtige Regierung, die die Interessen der Mehrheit vertritt. Und ich bin ein starker Verfechter der Menschenrechte. Die Afrikaner wollen, dass die Menschenrechte respektiert werden, und sie wollen selbst ihre Regierungen wählen. Die Prioritäten des Westens waren also nicht falsch. Falsch war jedoch die Annahme, dass die Afrikaner nicht wissen, wovon sie reden, wenn sie etwa um Investitionen in die Infrastruktur warben. Dann war die Antwort aus westliche Hauptstädten: Nein, wir denken, dass ihr im Moment keine weitere Infrastruktur braucht.

Sambia ist heute überschuldet. Hat Sambia in China zu viele Kredite aufgenommen? 
Zwischen 2004 und 2014 zählte Sambia zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt. Im Jahr 2011 wurde Sambia deshalb als Lower Middle Income Country eingestuft. Das hatte zur Folge, dass Sambias Zugang zu Krediten der Afrikanischen Entwicklungsbank eingeschränkt wurde. Also ging die Regierung zu einem Land, das weniger bürokratische Hürden aufbaute und Kredite leichter vergab: Sambia begann, Kredite in China aufzunehmen.

Kritiker nennen die Kreditvergabepraxis der Chinesen „Schuldenfallendiplomatie“: chinesische Staatsbanken vergäben Kredite im Wissen, dass die Kreditnehmer sie nie tilgen könnten; bei Zahlungsunfähigkeit verlange China dann weitreichende Konzessionen. Stimmt das? 
Ich halte die chinesischen Kredite an Sambia nicht für eine Falle. Ich denke eher, dass China sie vorher nicht genau genug geprüft hat. Ein bekanntes Beispiel, allerdings aus Kenia, ist die neue Standard Gauge-Eisenbahnverbindung, für die Kenia seit 2016 hohe Kredite aufgenommen hat. Niemand wird behaupten wollen, dass die Bahn niemandem nütze. Viele Kenianer nutzen sie. Aber hat China die wirtschaftliche Tragfähigkeit dieses Projekts ernsthaft überprüft? Ich fürchte nicht. Sie haben das Risiko nicht ausreichend begutachtet. Ähnliches gilt für viele Projekte in Sambia.

Ändert sich die chinesische Kreditvergabepraxis jetzt? 
Ja. Dafür gibt es drei Gründe. Erstens nutzte China früher Kredite, um Staaten wie Malawi, Tschad und Burkina Faso zu bewegen, ihre Beziehungen zu Taiwan abzubrechen. Das hat auch funktioniert, ist jetzt aber weitgehend abgeschlossen, denn außer Eswatini unterhält kein afrikanischer Staat mehr offizielle diplomatische Beziehungen zu Taipeh. Zweitens hat China wegen eigener Wirtschaftsprobleme zurzeit weniger frei verfügbare Mittel als früher, die es als Darlehen ausreichen kann. Und drittens hat China aus den Erfahrungen in Ländern wie Kenia, Äthiopien und Sambia gelernt, in denen viel Lärm um das Thema Schuldenfallendiplomatie entstanden ist. Im Ergebnis ist China vorsichtiger geworden bei der Kreditvergabe. Und das ist zum Vorteil sowohl Chinas als auch der afrikanischen Staaten. 
Mit dem Vorwurf der Schuldenfallendiplomatie ist meiner Ansicht nach zudem oft das Stereotyp verbunden, Afrikaner müssten für ihre Entscheidungen entschuldigt werden, als wären sie einfach versehentlich in eine Falle getappt. Dass sie nicht schlau genug sind zu merken, was um sie herum passiert. Aber wir wissen natürlich, was passiert, und müssen selbst die Verantwortung für unsere Entscheidungen übernehmen. Der Westen behandelt uns oft wie Kinder, die nicht selbst denken können. Ich dagegen bin überzeugt, dass viele der seit der Jahrtausendwende aufgetretenen Probleme – sei es in unseren Beziehungen zu China oder zu den Vereinigten Staaten – von den Afrikanern selbst verursacht wurden. Die Probleme Sambias liegen weder an China noch an den Vereinigten Staaten, sondern an den sambischen Politikern selbst.

Das Gespräch führte Tobias Sauer. 

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