Warum ist Schulspeisung wichtig?
Für viele Familien in armen Ländern ist sie mit der wichtigste Grund, die Kinder überhaupt in die Schule zu schicken, statt sie arbeiten lassen zu müssen.
Ist empirisch belegt, dass mehr Kinder zur Schule gehen, wenn Schulspeisung angeboten wird?
Ja, ich habe einen Nachweis aus dem Tschad aus der Evaluation eines Vorhabens der KfW Entwicklungsbank von vor zehn Jahren. Dort hatte die KfW im Osten des Landes einige Schulgebäude errichtet. Ich kam dorthin, einige Monate nachdem UNICEF ein Programm zur Schulspeisung beendet hatte. Als Folge stellten drei von vier der rund 20 Schulen den Betrieb ein, weil keine Schülerinnen und Schüler mehr kamen. In Äthiopien haben wir im vergangenen Jahr Schulspeisung in der relativ armen Region Sidama untersucht. Dort hatte sich wegen Problemen mit der Ausschreibung die Lieferung von Lebensmitteln einige Wochen verzögert. Ergebnis: Es kamen rund 25 Prozent weniger Kinder in die Schulen. Weil es nichts mehr zu essen gab, wurden sie von den Eltern zumindest vorübergehend aus der Schule genommen.
Profitieren Mädchen noch einmal besonders von der Schulspeisung?
Ja. In Äthiopien, Benin und Kambodscha, wo wir vergangenes Jahr das Thema untersucht haben, wurde uns bestätigt, dass die Zahl der Schulabbrecher (drop-out) gerade bei Mädchen wegen der angebotenen Schulspeisung gegen Null gehen. Der lockere Umgang von Eltern mit Schule, also dass die Tochter mal zu Hause bleibt, weil sie auf Kleinkinder aufpassen muss oder so, hat praktisch aufgehört. Hinzu kommt: Die Schulspeisung trägt auch dazu bei, dass Mädchen nach der Grundschule auf weiterführende Schulen geschickt werden. Das haben uns Lehrer vor allem in Benin und in Äthiopien bestätigt. Das ist gewissermaßen eine langfristige Folge der Schulspeisung in Grundschulen: Der Erfolg dort von Mädchen überzeugt so manche zögerlichen Eltern, dass die Schule für ihre Töchter eine gute Sache ist.
Wo stehen Äthiopien, Benin und Kambodscha heute jeweils in Sachen Schulspeisung? Gibt es in Politik und Gesellschaft ein Bewusstsein für den Nutzen?
In allen drei Ländern hat vor allem die Covid-Pandemie viel geändert. Als die Schulen nach der Pandemie wieder geöffnet wurden, hat die angebotene Schulspeisung maßgeblich geholfen, dass die Eltern ihre Kinder wieder in die Schulen geschickt haben. In Kambodscha war Schulspeisung schon vor Covid landesweit relativ gut etabliert. Der Staat bietet gemeinsam mit dem Welternährungsprogramm (WFP) in mehr als 1200 Schulen vor allem in ärmeren Regionen Schulspeisung an, seit 2015/2016 sogar bevorzugt mit Lebensmitteln aus dem eigenen Land beziehungsweise sogar von lokalen Erzeugern statt vom Weltmarkt. In Äthiopien und in Benin hingegen gab es bis Covid Schulspeisung nur auf Projektbasis, also etwa als Reaktion auf Dürren oder als Angebot in besonders armen Gebieten. Eine institutionalisierte Schulspeisung im ganzen Land oder zumindest flächendeckend in einzelnen Provinzen gibt es dort erst seit der Pandemie.
Wie stark verankert ist sie heute in diesen beiden Ländern?
In Benin sind die institutionellen Voraussetzungen gut, im Präsidentenpalast gibt es eine Arbeitsstelle dafür. Der Plan ist, dass spätestens nächstes Jahr alle Grundschulen im Land Schulspeisung anbieten. Gearbeitet wird außerdem daran, den Anteil der Lebensmittel aus dem eigenen Land zu erhöhen. In Äthiopien ist die Schulspeisung in der Hauptstadt Addis Ababa hervorragend organisiert, im Bundesstaat Oromia gut und in den anderen Regionen eher noch im Aufbau und mit erheblichen Problemen kämpfend.
Welche Merkmale zeichnen ein gelungenes Programm zur Schulspeisung aus?
Vor allem das Engagement der Gemeinden und der Eltern, etwa wenn sie zur Finanzierung beitragen oder selbst Feuerholz oder Wasser beschaffen. Das funktioniert auf dem Land besser als in Städten. In Kambodscha ist diese Art Dezentralisierung und Partizipation gesetzlich geregelt. Die Schule ist verantwortlich und wird von der Gemeinde unterstützt. Die Gemeinde ist letztlich die zentrale Instanz, die die Schulspeisung verwaltet und beaufsichtigt. Wir haben uns Schulen in 15 Gemeinden angesehen. Überall wurde das sehr ernst genommen, also dass etwa die Lebensmittel lokal erzeugt werden. Diese dezentralisierte Verantwortung stärkt das Programm ungemein.
Ist es schwer, Eltern dazu zu bringen, dass sie sich beteiligen?
Das ist sehr unterschiedlich. Die Oromo in Äthiopien etwa gelten als außergewöhnlich solidarisch. In Oromia ist das Engagement für Schulspeisung sehr groß, die Leute sammeln Lebensmittel und spenden sie. Da kommen Zehntausende Tonnen zusammen, die zumindest zur Grundversorgung erheblich beitragen.
Wie sieht eine kluge Förderung von Schulspeisung im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit aus?
Gefragt ist vor allem Beratung, die darauf zielt, dass Good-Practice-Beispiele wie in Kambodscha anderswo übernommen werden. Das umfasst auch die Frage, wie Programme zur Schulspeisung möglichst aus eigenen Mitteln und unabhängig von Entwicklungshilfe finanziert werden können. Gefragt ist aber natürlich auch noch finanzielle Unterstützung, denn gerade sehr arme Länder sind nicht in der Lage flächendeckende Schulspeisung aus ihren Budgets für soziale Sicherung zu bezahlen.
Gibt es auch bei der Schulspeisung das Phänomen, dass sich ausländische Hilfsorganisationen für unverzichtbar halten und sich nicht zurückziehen wollen, obwohl das besser wäre?
Ja, das gibt es. In Benin etwa wird Schulspeisung noch sehr stark von nichtstaatlichen Hilfsorganisationen betrieben – also nicht von lokalen Organisationen, sondern von international tätigen Dienstleistern. Das haben wir kritisiert. Da müsste stärker dezentralisiert werden, so dass die Kommunen mehr Verantwortung übernehmen können.
Was sind die größten Hürden für eine gelungene Schulspeisung?
Außer einer guten institutionellen Verankerung und der Akquise von Lebensmitteln muss auch die Wasser- und Energieversorgung gesichert sein. In Kambodscha ist Wasser kein Problem, in Benin ist es ein mittleres und in Äthiopien ein großes Problem. Schulspeisung ohne Wasserversorgung funktioniert nicht. Man muss mindestens in eine Handpumpe investieren. In Äthiopien musste das Wasser teilweise gekauft und auf Eseln kilometerweit herangeschafft werden. Wasser wird nicht nur für die Zubereitung der Speisen gebraucht, sondern auch für die Hygiene. Zweitens Energie: In Äthiopien haben die Schulen oft mehrere Hektar Land, die sie für Feuerholz aufforsten können. In Kambodscha könnte man anfangen mit Biogasanlagen zu arbeiten, weil es bereits Firmen gibt, die die Anlagen liefern und warten könnten. Nicht so in Äthiopien und Benin, da gibt es das nicht. Zudem gibt es dort oft zu wenig Wasser für den Betrieb von Biogasanlagen. In beiden Ländern kann bislang nur mit verbesserten energiesparenden Herden gearbeitet werden.
Sollte man nicht gleich in erneuerbare Energien investieren, etwa in Solaranlagen?
Für einen Kochtopf, in dem für 200 Schülerinnen und Schüler gekocht wird, brauchen Sie mindestens 5 Kilowatt Energie. In Äthiopien gibt es Schulen mit bis zu 2000 Kindern. Da müssen Sie Solarkapazitäten für mindestens 30 Kilowatt investieren, was extrem teuer wäre. Außer Wasser und Energie ist mir aber noch ein anderer Punkt wichtig.
Nämlich?
Die Köchinnen und die Küche. In vielen Schulen, die wir untersucht haben, wurde das Kochen vom WFP und seinen Gebern als freiwillige Arbeit betrachtet. In Kambodscha bekommen die Köchinnen noch nicht einmal die Hälfte vom Mindestlohn. Die fangen um 3 Uhr nachts an zu kochen, spätestens um halb 9 wird das Essen serviert und danach abgewaschen und die Küche erneut vorbereitet. In Benin und in Äthiopien kriegen die Frauen noch weniger, eigentlich nur einen symbolischen Lohn. Das geht nicht. In der Regel sind es ärmere Frauen, die überhaupt zu dieser Arbeit bereit sind und die deshalb nur noch am Samstag und Sonntag für sich selbst arbeiten können. Wer in Benin freiwillig kocht und keine Einkommensquelle hat, wird noch ärmer, als er vorher war.
Engagement der Gemeinde ist wichtig, aber es darf nicht in solche Ausbeutung münden …
Ja, und leider ist das häufig der Fall. Hinzu kommt, dass die Küchen oft völlig falsch konstruiert sind: Wir haben geschlossene Räume vorgefunden, in denen die Köchinnen buchstäblich vergiftet werden, wenn sie mit Feuer kochen. Das muss partizipativ gelöst werden, ebenso die Einführung verbesserter Kochherde. Das darf nicht im „Labor“ in der Hauptstadt entwickelt werden, sondern muss mit den Köchinnen vor Ort gemacht werden.
Die Entwicklungszusammenarbeit setzt generell verstärkt auf die Mobilisierung von Privatkapital. Wäre das auch ein Weg, um mehr Geld für Schulspeisung zu bekommen?
Von Privatisierung würde ich prinzipiell abraten, weil dann ja das kommunale Engagement wegfällt, das extrem wichtig ist. Zudem will ein privater Anbieter ja auch noch Gewinn erzielen. Privates Kapital spielt aber etwa in Oromia in Äthiopien insofern eine Rolle, dass sehr viel gespendet wird – und das nicht nur von Eltern, die Holz oder Wasser beisteuern. Auch große Farmen spenden Lebensmittel. Hinzu kommen Spenden von Äthiopiern aus dem Ausland. Davon profitieren natürlich vor allem Schulen in den Städten, aus denen die meisten ins Ausland emigrierten Äthiopier kommen.
In Ihrer Studie geht es auch um das Problem von Junk Food. Wie kommt das denn in die Schulen?
Denken Sie mal an Ihre Schulzeit: Auch bei uns gab es immer Läden unweit der Schule, wo wir uns in der Pause oder nach der Schule mit nicht gerade gesunder Nahrung versorgt haben. In Kambodscha war es vor Einführung der landesweiten Schulspeisung normal, dass Händler mit Junk Food auf dem Schulgelände ihre Stände hatten, von morgens bis abends. Das wurde jetzt beendet, und wo es besonders gut gelungen ist, hat man die Händler in die Schulspeisung integriert, nur dass sie jetzt eben nicht mehr Schokolade, süße Kuchen und Limonade verkaufen, sondern lokale Küche wie in Bananenblätter eingewickelten Reis.
Das Gespräch führte Tillmann Elliesen.
Neuen Kommentar hinzufügen