Europa geht das Heroin aus, afghanischen Bauern das Geld

Auf einem Mohnblumenfeld schlagen bewaffnete Talibankämpfer auf Mohnblumen ein, um sie zu zerstören.
picture alliance / AA/Mohammad Noori
Landwirte und Taliban-Kämpfer zerstören im März 2023 auf einem Mohnfeld in Kandahar, Afghanistan, blühende Mohnpflanzen. Ende 2022 haben die radikalislamischen Taliban den afghanischen Bauern verboten, Mohn anzubauen.
Opium aus Afghanistan
Seit die Taliban den Schlafmohn-Anbau verboten haben, ist die Opiumproduktion in Afghanistan eingebrochen. Die Bauern stellt das vor existenzielle Probleme. Aber auch Europa spürt die Auswirkungen.

Es ist vorbei mit dem Blütenmeer in Violett, Weiß und Rot. Die endlosen Schlafmohnfelder von Winter bis Frühjahr im Süden Afghanistans waren weltberühmt. Doch den Taliban ist gelungen, woran die internationale Gemeinschaft und die afghanische Regierung fast zwei Jahrzehnte lang gescheitert sind: den Opiumanbau zu stoppen. Allerdings zu einem hohen Preis für die Menschen.

Zeitweise wurden hier über 80 Prozent des weltweiten Opiumbedarfs produziert. Bis die radikalislamischen Taliban 2021 die Kontrolle über das Land übernahmen und den Mohnanbau ab Ende 2022 verboten. Dies sorgte 2023 laut dem UN-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) für einen Rückgang der landesweiten Anbaufläche um 95 Prozent auf 10.800 Hektar. In der südlichen Provinz Helmand, aus der etwa die Hälfte des afghanischen Opiums stammt, fiel die Anbaufläche von 120.000 auf unter 1.000 Hektar.

UNODC zufolge dürfte sich das künftig auch international deutlich bemerkbar machen: Es ist unwahrscheinlich, dass andere Anbauländer wie Myanmar und Laos die Lücke kurzfristig füllen können. Aus afghanischem Opium wurden bislang knapp 95 Prozent des in Europa konsumierten Heroins hergestellt. Die UN-Experten warnen davor, dass die Konsumenten nun verstärkt auf noch schädlichere Substanzen wie etwa Fentanyl ausweichen könnten.

Die Erträge aus dem Getreideanbau sind viel geringer 

Zugleich bedeutet das Verbot für Millionen Afghaninnen und Afghanen existenzielle Einkommenseinbußen. Zwar sind viele Kleinbauern mittlerweile auf den Anbau von Getreide ausgewichen. Doch die Erträge sind auch ohne die derzeitigen Überschwemmungen deutlich geringer: Nach UN-Angaben brachte Weizen zuletzt pro Hektar nur ein Neuntel des Opiumertrags 2023 ein. Insgesamt seien den Bauern Einnahmen von etwa einer Milliarde US-Dollar entgangen.

Auch Esa Kahn kann nicht von seinen zwei Hektar Land im von Dürre geplagten Helmand leben. „Früher konnten wir nach jeder Ernte die Schulden zurückzahlen, die wir während der Aussaatzeit gemacht hatten“, sagt der 35-Jährige, der fast 20 Jahre lang Schlafmohn angebaut hat. Auch die Hochzeitsfeiern und Brautlöhne der drei ältesten Söhne konnte die Familie bezahlen. Doch der jüngste Sohn, der kurz nach dem Anbauverbot verlobt wurde, warte seitdem vergeblich. Die Erträge vom Getreideanbau reichten kaum aus, um die dringend benötigten Solarmodule für die Wasserpumpen zur Bewässerung der Felder zu bezahlen. „Wir haben fast 90 Prozent unseres Jahreseinkommens verloren.“

Inzwischen ist der Weltmarktpreis für afghanisches Opium in die Höhe geschnellt. Lag er 2019 bis 2021 pro Kilo Rohopium noch bei knapp 60 US-Dollar, stieg er nach dem Anbauverbot bis August 2023 auf knapp 408 Dollar. Das war der höchste Preis seit zwei Jahrzehnten. Mittlerweile dürften die Preise in vielen Regionen noch weiter gestiegen sein.

Bauern versuchen heimlich, Schlafmohn anzubauen

Davon profitieren dürften vor allem jene Bauern mit mehreren Hektar Anbaufläche, die es vor dem Verbot geschafft haben, große Mengen des haltbaren Rohopiums einzulagern, das sie nun Stück für Stück verkaufen. Vermutlich deshalb sind die wirtschaftlichen Auswirkungen des Verbots und der Protest innerhalb der Bevölkerung bisher gering geblieben.

Doch die Vorräte werden bald zur Neige gehen und damit die relative Ruhe. Denn Unmut regt sich vor allem dort, wo begrenzte Bewässerungsmöglichkeiten und kleine Anbauflächen es den Bauern schwer machen, ausreichend Nahrungsmittel für ihre Familien anzubauen. Dazu gehört neben Helmand auch die nordöstliche Provinz Badakhshan. Dort gab es kürzlich heftigen Proteste, als die Taliban erneut die Mohnfelder der Bauern zerstörten.

In seinem Dorf seien bereits mehr als zwei Drittel der Menschen in Armut gefallen, sagt Bauer Esa Khan am Telefon. Sie hätten daher auch in diesem Jahr versucht, heimlich Schlafmohn anzubauen, teils versteckt hinter Mauern, in ihren Gehöften. Doch die Taliban hätten dies stets unterbunden. Und wer gegen das Verbot verstoße, riskiere Geld- oder gar Haftstrafen. Die Machthaber begründen das Verbot vor allem mit religiösen Prinzipien. Dabei haben sie selbst jahrzehntelang von der Besteuerung des Opiumhandels profitiert. 

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