Am Trog der Geber

Die militärischen Erfolge in Somalia gegen die Islamisten von al-Shabaab bieten die Chance, das Land zu stabilisieren. Allerdings versuchen der Westen und die Vereinten Nationen schon seit mehr als zwanzig Jahren, am Horn von Afrika Frieden zu schaffen. Bislang ohne Erfolg, denn bisher wurden grundlegende Konfliktursachen ignoriert und die Bevölkerung nicht beteiligt.

Die Amtszeit der Übergangsregierung (Transitional Federal Government, TFG) von Präsident Sheikh Sharif Ahmed in Somalia läuft im August ab. Das hat ein eher unappetitliches Rennen um die Einsetzung einer „dauerhaften" und damit „legitimen" Nachfolgeregierung ausgelöst und ist zugleich ein ernster Test für die Somaliapolitik des Westens. Wenn man es denn Politik nennen will: diesen Wechsel zwischen Schläfrigkeit und Ignoranz einerseits und andererseits Hyperaktivität. Die führt zu nicht durchdachten Konferenzen, auf denen die Geber Allgemeinplätze zur somalischen „Eigenverantwortung" (ownership) für den Übergangsprozess abgeben und die Leiden des Volkes in diesem gottverlassenen Land beklagen, während die von ihnen bezahlten Bonzen in der TFG gehorsam mit den Köpfen nicken, gutes Regieren versprechen und sich zugleich in eine vorteilhafte Position am Trog der Geber zu bringen versuchen.

Dem Westen wäre es am liebsten, das Problem Somalia würde einfach verschwinden. Aber der Aufstieg der Islamisten von al-Shabaab und der Piraten, die die Schifffahrtslinien entlang der somalischen Küste unsicher machen, haben die einfache Lösung vereitelt, Somalia und sein Volk dem Vergessen zu überlassen. Der Westen ist gezwungen, irgendeine Lösung zu finden.

Autor

Ahmed M.I. Egal

ist Ökonom und hat bei Banken in London und in Golfstaaten gearbeitet. Zurzeit ist er als Berater für Finanz- und Entwicklungspolitik tätig.

Die Übergangsregierung ist grandios mit dem Versuch gescheitert, wirksam Führung zu übernehmen, selbst in den Landesteilen, die sie kontrolliert. Vor diesem Hintergrund hat der Westen einen Plan, die sogenannte Roadmap, für das Ende der Übergangszeit vorgelegt. Er soll die erforderlichen Schritte beschreiben, um eine dauerhafte Regierung einzusetzen und den ständigen Wechsel von einer Übergangsregierung zur nächsten seit dem Kollaps der Diktatur von Siad Barre 1991 zu beenden. Das Verfahren, nach dem jetzt eine stabile Regierung installiert werden soll, ähnelt allerdings dem, nach dem auch die TFG 2004 ursprünglich eingesetzt wurde. Die Frage stellt sich deshalb, warum eine neue Regierung nach der Roadmap dauerhafter und legitimer sein sollte als die jetzige Übergangsregierung, die sie ersetzen soll. Die wichtigsten Spieler in dieser politischen Farce sind ehemalige Kriegsfürsten, frühere Schergen von Siad Barre, selbsternannte Führer der Zivilgesellschaft, frischgebackene Clan-Älteste und Spekulanten aus der Diaspora -ich nenne sie die „üblichen Verdächtigen". Sie werden ihre Rollen in dem Drama spielen, die Mitglieder des sogenannten Parlaments bestimmen und einen Präsidenten „wählen"; alles wie auf dem Markt, wo die höchsten Gebote über die Mehrheit der Parlamentssitze und über die Präsidentschaft entscheiden.

Ärgerlich daran ist, dass die Lage in Somalia derzeit aus mehreren Gründen viel günstiger ist als früher für den Versuch, eine wirklich nationale und legitime Regierung einzuführen. Zum einen erzielt die verstärkte Somalia-Truppe der Afrikanischen Union, die AMISOM, erstmals stabile militärische Erfolge gegen die Nihilisten von al-Shabaab, während deren Organisation sich langsam von innen aufzulösen beginnt. Zum anderen ist in der Zivilgesellschaft eine Dynamik entstanden, die eine echte, landesweite Aussöhnung auf Graswurzelebene und eine wirklich legitime Regierung möglich machen könnte. Es herrscht eine vorsichtig optimistische Stimmung in der Öffentlichkeit wie zuletzt 2006 während der kurzen, aber aufregenden Tage, als die Union der Islamischen Gerichte die Warlords besiegt hatte.

Diesmal sollten die Somalier selbst von unten nach oben ihren Staat wiederaufbauen

Der militärische Niedergang der al-Shabaab, vor allem ihre Vertreibung aus Mogadischu und Umgebung, macht normales Leben überhaupt erst wieder möglich. Ein Beleg dafür ist der Zufluss von Kapital aus der Diaspora, vor allem in den Immobiliensektor: In Mogadischu gibt es so etwas wie einen Bauboom, weil die Leute ihre Häuser wieder errichten. Somalier sind instinktiv Geschäftsleute und das Wiederaufleben von Handel und Märkten in der Hauptstadt hat die öffentliche Psyche stark beeinflusst. Die günstige Wirkung dieser vorsichtigen Schritte in Richtung Normalität wird sich verstärken und den Optimismus nähren, solange die militärische Erfolge gegen die Nihilisten anhalten.

Die Leute haben endgültig die Nase voll vom brutalen Feudalismus der al-Shabaab, aber auch von der weit verbreiteten Korruption und den zynischen Machenschaften der Übergangsregierung und der politischen Klasse. Man vergleiche nur einmal die Euphorie, mit der Präsident Sheikh Sharif Ahmed 2008 im Amt in Mogadischu begrüßt wurde, mit der Mischung aus Zynismus und höhnischer Verachtung, die ihm heute entgegenschlägt - angesichts seiner Verwandlung von einem würdigen, weltfernen Kleriker zu einem Politiker im Designeranzug, der verzweifelt alle ihm zur Verfügung stehenden Hebel in Bewegung setzt, um über das Ende seiner Amtszeit im August hinaus Präsident zu bleiben.

Die gute Stimmung im Land muss genutzt werden, um einen Prozess in Gang zu bringen, bei dem dieses Mal wirklich die Somalier selbst von unten nach oben ihre Nation und ihren Staat wiederaufbauen. Aber genau das sieht die sogenannte Roadmap nicht vor. Ihr zufolge soll ein weiteres Scheinparlament eingerichtet werden, dessen Mitglieder sich ihre Sitze entweder selbst gekauft haben oder aber von anderen gekauft wurden. Dieses Parlament wiederum wird eine Verfassung beschließen, ohne sie vorher dem Volk vorzulegen, und einen Präsidenten „wählen", der zuvor erfolgreich die meisten Stimmen gekauft hat. Bezahlt wird in bar, mit Appellen an die Stammessolidarität oder mit der Aussicht auf Unterstützung und einen Anteil an den Hilfsgeldern aus dem Ausland. Es ist Zeit, mit diesem unwürdigen und korrupten Muster des Staatsaufbaus in Somalia zu brechen und stattdessen ein Verfahren in Gang zu setzen, das auf echten politischen Konsens zielt und eine wirklich legitime Regierung in Somalia hervorbringen kann.

Die wichtigste soziopolitische Einheit in Somalia ist der Clan

Die westlichen Mächte haben stur ignoriert, dass sich der Staat in Somalia nach dem Kollaps der Diktatur von Siad Barre aufgelöst hat, weil bereits vor dessen Sturz der politische Konsens im Land zusammengebrochen war. Die wichtigste soziopolitische Einheit in Somalia ist der Clan; politischer Austausch und Vermittlung finden auf der Ebene der Clans und der Subclans statt. Es ist lächerlich und gefährlich naiv anzunehmen, man könne in Somalia der Politik und der Gesellschaft einfach einen Staat und eine Regierung überstülpen, ohne die tief liegenden Missstände, Feindschaften und Forderungen nach Blutzoll zwischen den verschiedenen Gemeinschaften anzugehen - sowohl zwischen als auch innerhalb von Clans.

Solange diese tief sitzenden und gravierenden Lasten aus der jüngeren Vergangenheit nicht angesprochen und von den Beteiligten gelöst werden, solange Verbrechen und Grausamkeiten nicht offen gelegt und Ansprüche auf Blut und Ehre anerkannt und befriedigt werden, so lange wird es keine Versöhnung geben. Ein politischer Konsens über den Wiederaufbau des Staates und der Regierung wird dann ein unerfüllbarer Traum bleiben. Erforderlich dafür sind traditionelle Formen der Diplomatie, gut durchdachte Vertrauensbildung zwischen den Konfliktparteien - und viel Geduld. Aber die zuträgliche Stimmung derzeit und der politische Raum, der durch den Niedergang von al-Shabaab freigeworden ist, machen es möglich, dass ein solches Unterfangen jetzt Früchte tragen könnte.

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erschienen in Ausgabe 7 / 2012: Konzerne: Profit ohne Grenzen
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