Der Terror in Indien ist auch hausgemacht

Gut ein Dutzend Bewaffnete haben im Dezember in der indischen Metropole Mumbai zweieinhalb Tage Angst und Schrecken verbreitet. Sie griffen einen Bahnhof, ein Krankenhaus, zwei Luxushotels und ein jüdisches Zentrum an und töteten über 170 Menschen. Indien sieht die Hintermänner in Pakistan – wohl zu Recht. Doch man darf nicht übersehen, dass auch Quellen des Terrors in Indien selbst den Zusammenhalt im Vielvölkerstaat zunehmend gefährden.

Die indischen Behörden suchen die Urheber des jüngsten Terrors in Mumbai in Pakistan. Das ist nicht abwegig. Beide Länder streiten seit ihrer Unabhängigkeit um die mehrheitlich muslimische Region Kaschmir, noch 1999 haben sie deshalb Krieg geführt. Der pakistanische Militärgeheimdienst ISI fördert militante Islamisten, die für einen islamischen Staat in Kaschmir kämpfen.

Eine dieser Hilfstruppen ist die „Armee der Reinen“ (Laskkar-e-Toiba, LeT). Obwohl sie auch in Pakistan Anschläge verübt hat und verboten ist, scheinen Teile des ISI sie noch immer zu stützen. Sie soll in die Anschläge in Mumbai verwickelt sein, die besonders auf US-Bürger, Briten und Juden zielten (auch wenn die meisten Opfer Inder waren). Das entspricht der Ideologie der LeT und ist in Indien etwas Neues.

Die Vorstellung, der Terror komme nur von außen, ist aber falsch. Im Februar hat die Polizei in Nordindien vier indische Muslime wegen eines Anschlags auf eine Polizeistation verhaftet. Einer war in Mumbai geboren und im pakistanischen Teil Kaschmirs militärisch ausgebildet worden. Bei der Gruppe fanden sich Pläne für Anschläge in Mumbai – darunter auf zwei der nun getroffenen Ziele. Dies wirft nicht nur ein Schlaglicht auf schwere Mängel bei der Polizei, die diese Warnungen ignoriert hat. Es zeigt außerdem, dass Islamisten heute auch unter indischen Muslimen außerhalb Kaschmirs rekrutieren können – mit oder ohne Unterstützung aus Pakistan.

Terror verüben in Indien zudem nicht nur Muslime. Seit 2004 sind dort mehr Menschen Anschlägen zum Opfer gefallen als in jedem anderen Land der Welt außer dem Irak. Neben Kaschmir sind schwelende Konflikte mit Minderheitenvölkern im Nordosten Indiens sowie mit der maoistischen Bewegung der Naxaliten die größten Ursachen der vielen Anschläge. Dass Sicherheitskräfte in allen drei Konflikten straflos Übergriffe begehen können und Muslime sowie Kastenlose unter Diskriminierung leiden, fördert die Gewaltbereitschaft. Der Staat duldet zudem Hindu-fundamentalistische Organisationen und schaut oft weg, wenn Hindu-Mobs Minderheiten angreifen wie zuletzt Christen in Orissa. Anfang November wurde erstmals eine regelrechte hinduistische Terrorgruppe ausgehoben. In diesem Klima der Gewalt könnten die Anschläge in Mumbai die Polarisierung der Religionsgruppen in Indien weiter fördern. Dann hätten sie eins ihrer Ziele erreicht. (bl)

erschienen in Ausgabe 12 / 2008: Wirkung der Entwicklungshilfe

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