Das 4500 Quadratmeter große Grundstück von Tierra Viva liegt im Departamento Boyacá im Zentrum von Kolumbien in einer Senke, eingefasst von einer Hügellandschaft, auf denen Kartoffeln und anderes Gemüse gezogen wird. Germán Viasus Tibamoso lenkt den klapprigen Geländewagen geschickt den Feldweg in die Senke hinunter. „Boyacá lebt von der Landwirtschaft; Dünger ist gefragt. Für uns ist das eine Chance“, erklärt er. Vor einer Halle bremst er den Wagen und steigt aus. Auf dem Tor klebt ein Aufkleber „Produktionszone“ und darüber ein Bild eines Herkuleskäfers.
Der 53-jährige Umweltingenieur, ein hagerer Typ mit schütterem Haupthaar, öffnet das Tor. Dahinter kommen fünf lange betonierte Mulden zum Vorschein, die randvoll mit organischem Müll gefüllt sind. Zwischen den ersten beiden Mulden steht ein kreisrundes grünes Schild, auf dem ein Herkuleskäfer, Pflanzenreste und in dicken Lettern der Schriftzug „Tierra Viva“ zu sehen sind – daneben ist ein Bar-Code aufgedruckt. „Jede der fünf Kammern hat Platz für 60 Tonnen organischen Abfall“, sagt Tibamoso und zeigt auf die Mulden. „Jeden Monat füllen wir eine Kammer auf, durch die sich die Käferlarven langsam fressen. Vier Monate später ist die Kompostierung abgeschlossen. Dann sieben wir den Kompost, separieren die dicken Larven und jungen Käfer vom Kompost und vom Restmüll.“
Durch einen Zufall ist der Umwelt- und Agrarexperte auf die Herkuleskäfer als überaus effektive Kompostierungshelfer gekommen. Vor gut zwanzig Jahren begann Tibamoso mit ersten Experimenten, um den in großen Mengen anfallenden organischen Müll in kolumbianischen Haushalten zu kompostieren. Wie in vielen anderen Ländern rund um den Globus vertraute er den Regenwürmern, die ihn aber enttäuschten: „Ich bin dann auf die Larven der Herkuleskäfer gestoßen. Das war im Jahr 2000, und seitdem beschäftige ich mich mit diesen Käfern.“
Die Larven liefern ab – bei jedem Wetter
Von dieser Spezies gibt es weltweit 375.000 verschiedene Arten, vorwiegend in Regenwäldern, hat Tibamoso recherchiert. Er arbeitet mit seinem achtköpfigen Team mit einer Unterart der Herkuleskäfer, die rund 20.000 Spezies umfasst und exzellente Ergebnisse bei der Kompostierung liefert. Seine Tests in verschiedenen Gebieten Kolumbiens haben ergeben, dass die weltweit größte und sowohl in Latein- als auch Mittelamerika präsente Käferart in allen Klimazonen Kolumbiens gute Resultate bringt: „Bei drei und bei 38 Grad. Die Studien dazu haben wir dem zuständigen staatlichen landwirtschaftlichen Institut gesendet. Dort ist unser Verfahren registriert und zertifiziert“, sagt Tibamoso stolz.
120 bis 150 Tonnen Kompost produzieren die fleißigen Käferlarven für Tierra Viva im Jahr. Die Nachfrage sei da, manchmal verkaufe sich nicht die gesamte Produktion, aber der Kompost lasse sich einfach lagern, sagt der Ingenieur. Er hofft auf die Regierung in Bogotá, denn die hat angekündigt, Kleinbauern und nachhaltige Agrarproduktion ganz oben auf die Agenda ihrer Landwirtschaftspolitik zu setzen. Bisher ist Kolumbien im Vergleich zu Ländern wie Argentinien, Ecuador oder Peru ein Nachzügler beim Bioanbau. Doch das kann sich ändern und ein Faktor dabei könnte der stark gestiegene Preis für chemischen Dünger sein. Der hat sich in Lateinamerika je nach Region seit 2020 verdoppelt oder auch verdreifacht.
Das weiß auch der Chef von Tierra Viva: „Unser Preis für 50 Zentner Herkuleskäfer-Kompost liegt bei etwa 20 US-Dollar. Die gleiche Menge chemischer Dünger kostet etwa das doppelte.“ Das ist der Trumpf von Tibamoso, der belegen kann, dass sein Biodünger wirkt: „Er enthält Nitrat, Phosphor und Kalium in hoher Konzentration. Hinzu kommen Kalcium, Magnesium, Bor und andere Stoffe. Das haben wir mehrfach von Laboren bestätigen lassen.“
Warten auf das Agrarministerium
Trotzdem ist Tierra Viva außerhalb von Tunja, dem Hauptstadt-Bezirk in Boyacá, kaum bekannt, und genau das soll sich ändern. Bisher liefert das Unternehmen mit acht Angestellten in der Produktion sowie weiteren sieben in Verwaltung und Marketing vor allen an kleine Produzenten: Biobetriebe aus der Region Tunja, die Tomaten, Paprika, Gurken und anderes Gemüse anbauen, sowie ein paar Kaffeebauern in den Verwaltungsbezirken Caldas und Tolima. Für Werbung fehlt Tibamoso, der aus Tunja stammt und nach ein paar Jahren in Kolumbiens wichtigster Erdölregion um Barrancabermeja dahin zurückkehrte, das Geld.
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Also setzt er auf Online-Präsenz und wartet darauf, dass das Agrarministerium auf ihn zukommt. Das kann dauern, denn die Regierung in Bogotá hat keine parlamentarische Mehrheit und muss jede Reform aushandeln. Auch die Kommunalwahlen 2023 hat sie verloren. Gleichwohl hat das lateinamerikanische Land exzellente Voraussetzungen, um den Düngemittel-Bedarf komplett auf bio umzustellen, meint der Umweltingenieur: „Wenn man sämtlichen Bioabfall des Landes mit unserem Verfahren kompostieren würde, könnten theoretisch 3,6 Millionen Tonnen Biodünger gewonnen werden.“
Derzeit liegt der Einsatz chemischer Düngemittel in Kolumbien bei rund 1,8 Millionen Tonnen, also wäre nach Tibamosos Rechnung theoretisch für den Export auch noch einiges übrig. Warum Kolumbien derartige Mengen produzieren könnte und warum das Land dafür gar nicht so schlecht vorbereitet ist, kann Tibamoso, der mit einigen Universitäten lose zusammenarbeitet und ein eigenes Labor aufbauen will, auch begründen: „Rund die Hälfte des anfallenden Hausmülls in Kolumbien ist organisch. In vielen Gemeinden und Städten gibt es Kompostierungsanlagen, die nach einem Boom vor zehn Jahren aber oft nicht mehr funktionieren. Vor allem fehlt qualifiziertes Personal, und in Kolumbien wird zu oft die Hand aufgehalten. Die Korruption ist ein immenses Problem.“
Herkuleskäfer-Männchen exportiert Tibamoso als Haustiere
Der schnelle Peso nebenbei ist auch der Grund, weshalb er und sein Team nur von einigen Müllentsorgungsunternmen mit organischen Abfällen versorgt werden, obwohl alle Gemeinden gesetzlich zur Mülltrennung verpflichtet sind. Da Tierra Viva sich auf das korrupte Spiel nicht einlassen will und nicht noch für die Anlieferung von Biomüll einen Obulus zahlen will, sucht das Kleinunternehmen nach alternativen Quellen und pflegt den Kontakt zu Kunden. Die werden auf das rund 4500 Quadratmeter große Grundstück des Unternehmens eingeladen, wo ein kleines Schutzgebiet entstanden ist, wo Bäume aus der Region gezogen werden und Kolibris herumschwirren. Das macht Eindruck bei Besuchern, sagt Tibamoso.
Er hat sich inzwischen noch eine weitere Einnahmequelle erschlossen: Die bis zu 17 Zentimeter großen Herkuleskäfer-Männchen mit den langen Hörnern exportiert er nach Japan, wo die Tiere als Haustiere gehalten werden. In Asien genauso wie im benachbarten Ecuador gilt: je größer die Käfer, desto teurer. Während in Ecuador bis zu 40 US-Dollar pro Exemplar gezahlt werden, sind in Japan Summen von 300 US-Dollar und mehr keine Seltenheit. Für den Käferexport hat der gewiefte Ingenieur eine ausgeklügelte Infrastruktur aufgebaut.
Gleiches gilt jedoch auch für sein Kerngeschäft: den Dünger. Den gibt es fest und auch flüssig, vom kleinen Päckchen bis zum 50-Zentner-Sack, von der 250-Milliliter-Flasche bis zum Kunststofffass mit 20 Litern, per Versand oder zum Selbstabholen. Die Infrastruktur steht, nun hofft der Herr der Herkuleskäfer auf staatliche Unterstützung und entfernt eins der stattlichen Krabbeltiere von seiner Jacke. Dann packt er es zurück in eine Box mit Holzspänen. In zwei Tagen soll das Prachtexemplar im Spezialkarton per Flieger nach Tokio umsiedeln.
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