In der Schweiz steht der Gambier Ousman Sonko vor Gericht , weil er in Gambia unter dem Anfang 2017 gestürzten Diktator Yahya Jammeh gefoltert haben soll. Wieso kann er dafür in der Schweiz angeklagt werden?
Die Anklage beruht auf dem Weltrechtsprinzip. Danach können bestimmte, besonders schwere Straftaten auch dann von einem Staat verfolgt werden, wenn die Tat weder eigene Staatsangehörige betrifft noch auf seinem Territorium stattgefunden hat. Das beruht auf dem Gedanken, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völkermord das Gewissen der ganzen Menschheit berühren. Deshalb gibt es im Völkerrecht den Grundsatz, dass derartige Straftaten überall auf der Welt verfolgt werden können. Das muss allerdings in den allermeisten Staaten zunächst in nationales Recht umgesetzt werden. Wie sie das ausgestalten und welche Prozesse sie tatsächlich führen, ist ihre Sache. Die Schweiz hat das Prinzip in innerstaatliches Recht umgesetzt, so dass sie Ousman Sonko vor Gericht stellen kann.
Ist das Weltrechtsprinzip in einer Konvention völkerrechtlich niedergelegt?
So explizit nicht. Es gibt zwar einige völkerrechtliche Bestrafungspflichten, etwa in der Völkermordkonvention oder den Genfer Konventionen , aber die schreiben keine universelle Zuständigkeit jeden Staates für diese Verbrechen fest. Das tut auch das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs nicht. Es hat allerdings die allgemein gültige Rechtsauffassung bestätigt, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie Völkermord und Kriegsverbrechen auch dann bestraft werden müssen, wenn Täter- und Tatortstaat dazu nicht willens oder in der Lage sind. Das hat das völkergewohnheitsrechtliche Fundament des Weltrechtsprinzips gestärkt.
Welche Staaten wenden das Weltrechtsprinzip an?
In Europa nutzen es eine Reihe von Ländern, recht weitgehend etwa Schweden, Deutschland, Frankreich, die Niederlande und die Schweiz. Außerhalb Europas gibt es zum Beispiel Verfahren in Argentinien. In Ostafrika ermöglichen in Kenia und Uganda nationale Gesetze die Anwendung, es gibt aber bisher keine Fälle.
Welche Präzedenzfälle haben das Prinzip vorangebracht?
Der berühmteste ist das Verfahren in London gegen den ehemaligen chilenischen Diktator Augusto Pinochet, nachdem der spanische Ermittlungsrichter Baltasar Garzon einen Haftbefehl ausgestellt hatte. Pinochet ist aber 2006 vor dem Prozess gestorben. Einen großen Schub hat die Anwendung des Weltrechtsprinzips dann durch die Verfahren zu Syrien bekommen. Von dort waren Opfer, aber auch Täter und Zeugen nach Europa geflohen, und schwerste Verbrechen dort während des Bürgerkrieges waren außergewöhnlich gut dokumentiert. Einer der großen Präzedenzfälle war das Verfahren in Koblenz wegen syrischer Staatsfolter , in dem vor zwei Jahren der Haupttäter zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt wurde.
Sie waren an einem Prozess gegen einen Gambier beteiligt. Hing der mit dem Verfahren in der Schweiz zusammen?
Ja. Der Gambier ist in Celle in erster Instanz zu lebenslanger Haft verurteilt worden, weil er als Mitglied einer Killertruppe an drei Tötungen, darunter eine versuchte, beteiligt gewesen sein soll. Ousman Sonko ist in der Schweiz angeklagt, der Befehlshaber eben dieser Truppe gewesen zu sein. Sonko war vorher Innenminister Gambias und ist damit der höchstrangige Beschuldigte, dem bisher nach dem Weltrechtsprinzip in Europa der Prozess gemacht wird.
Der in Celle Angeklagte war der Fahrer der Truppe, oder? Genügt das für eine Verurteilung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit?
Er war der Fahrer, aber der Kontext der einzelnen Tat ist entscheidend. Bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit geht es um weit verbreitete und systematische Angriffe auf die Zivilbevölkerung . Wenn sich jemand im vollen Wissen darum an Tötungen beteiligt, fällt das juristisch unter Menschheitsverbrechen.
Können auch hohe Amtsträger nach dem Weltrechtsprinzip im Ausland angeklagt werden?
Ja. Grundsätzlich genießen die für Verbrechen gegen die Menschlichkeit Verantwortlichen keine Immunität. Aber man fängt eher die kleinen Fische, weil man die Tatverdächtigen erst haben muss, denn sie müssen fast immer am Prozess anwesend sein. Es gibt aber Ausnahmen: In Frankreich kann man Strafprozesse in Abwesenheit führen; dort wurde sogar aufgrund des Weltrechtsprinzips ein Haftbefehl gegen den syrischen Staatschef Bashar al-Assad erlassen.
Das Gespräch führte Bernd Ludermann.
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